1935 Der Bau der Glocknerstraße als Beweis der Stärke
Nach fünf Jahren Bauzeit wird am 3. August 1935 die Glocknerstraße eröffnet. Der Ständestaat versucht, den Kraftakt propagandistisch zu nutzen.
Der Aufwand war für die damalige Zeit enorm. 3000 Arbeiter hatten fünf Jahre an der Tauernquerung gearbeitet. Elf von ihnen kamen dabei ums Leben. Von 1930 bis 1935 wurden 14 Prozent der gesamten Straßenbauausgaben Österreichs auf die Glocknerstraße konzentriert. Zur Eröffnung am 3. August 1935 druckte man 110.000 zwölfseitige Werbeprospekte mit Panoramakarte in sechs Sprachen. Für die Medien wurden 16 verschiedene Aufsätze und 1000 Fotoabzüge zur Verfügung gestellt. 150 Journalisten aus dem In- und Ausland brachte man zur Feier zum Südportal des Hochtortunnels. In ganz Europa wurde das Wunder beworben, darunter auf der gleichzeitig laufenden Weltausstellung in Brüssel. Sogar ein Roman und ein Bühnenstück zur Glocknerstraße entstanden. Und einen Tag nach der im Radio übertragenen Eröffnung wurde auf der Strecke ein spektakuläres Bergrennen veranstaltet.
Die regierenden Politiker und viele Kommentatoren feierten das Ereignis als Triumph Österreichs, als Beweis seiner Lebensfähigkeit, Kraft und seiner Mission in der Mitte Europas. Gehört werden sollten diese Worte vor allem im nationalsozialistischen Deutschland und bei den Befürwortern des „Anschlusses“in Österreich. Bundespräsident Wilhelm Miklas sagte bei der Eröffnung: „Zu diesem großen Werk haben wir die Mittel aus eigener Kraft aufgebracht. Die schweren Opfer, die dabei gebracht wurden, sind ein Beweis unseres Willens, unsere Unabhängigkeit mit allen Mitteln zu schützen.“Schon am 23. September 1934, anlässlich der Eröffnung des vorletzten Teilstücks, sagte der Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl in Anspielung auf den Putschversuch der Nationalsozialisten im Juli 1934: „So standen wir, in der einen Hand das Schwert, in der anderen die Werkzeuge des Friedens. Die Sprengstoffe, die wir anwendeten, bahnten dem kulturellen Fortschritt den Weg und brachen diese Straße in den Fels, diese Straße, die wir auch zu den Mitteln zählen, unsere für Europa und die Welt notwendige Unabhängigkeit zu erhalten.“
Der frühere Landeshauptmann von Salzburg und Universitätsprofessor für Neuere Österreichische Geschichte Franz Schausberger hat sich wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigt. Er sagt: „Die Errichtung dieser Straße war beschäftigungspolitisch und propagandistisch für die Regierungen Dollfuß und Schuschnigg ungeheuer wichtig.“Auch die Wiener Höhenstraße, die Packstraße, die Gerlosstraße und die Plöckenstraße seien zu dieser Zeit gebaut worden. „Dem Autobahnbau im nationalsozialistischen Deutschland wurde der Gebirgsstraßenbau im Ständestaat entgegengesetzt.“Der Beschäftigungseffekt sei aber nach der Eröffnung schnell verpufft. Es blieben die positive Auswirkung auf den Fremdenverkehr und die für Österreich identitätsstiftende Funktion, die bis heute anhält.
Die Straße war aber keine Erfindung des Ständestaats. Am Beginn der 1920er-Jahre nahm der Fremdenverkehr wieder zu. Bei einer Konferenz im September 1922 in Mittersill wurden daher mehrere Straßenvarianten über die Tauern diskutiert, um den Tourismus weiter zu fördern. Anfang 1923 entwarf der Salzburger Nationalratsabgeordnete und Kurzzeitbundeskanzler Rudolf Ramek die Vision einer Großglocknerhochalpenstraße, wie Schausberger ausführt. Schon 1924 wurde in Klagenfurt ein Ausschuss zur Erbauung gebildet. Der Ausschuss beauftragte Franz Wallack vom Kärntner Straßenbauamt mit der Planung der Straße.
Wallack prägte die Geschichte der Glocknerstraße. Eine genauso wichtige Rolle bei der Umsetzung spielte aber der damalige Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl, der 1927 die Initiative übernahm und sich intensiv für den Bau einsetzte. Er träumte auch von einem Skizentrum auf dem Glockner, das die Glocknerstraße erschließen sollte.
Mit einer Sprengung im Salzburger Ferleiten begannen am 30. August 1930 um 9.30 Uhr die Arbeiten. Schon 1932 kamen sie aus Geldmangel zum Erliegen. Rehrl konnte die Bundesregierung zumindest überzeugen, die begonnenen Teilstücke im Norden und im Süden fertigzustellen. Der Bau der Scheitelstrecke wurde abgesagt. Rehrl setzte sich aber weiter unermüdlich dafür ein. 1933 schaltete Kanzler Dollfuß das Parlament aus. Die autoritäre Regierung wollte guten Willen demonstrieren und beschloss im Zuge eines Arbeitsbeschaffungsprogramms auch den Weiterbau der Glocknerstraße. Schausberger ist aber überzeugt, dass die Straße infolge der Tatkraft Rehrls auch ohne den Ständestaat vollendet worden wäre.