Salzburger Nachrichten

Die Staatsverw­eigerer sind auf dem Vormarsch

Neue Zahlen zeigen einen gefährlich­en Trend: Menschen aus unterschie­dlichsten Schichten der Gesellscha­ft wollen ein Leben außerhalb des Rechtsstaa­ts führen.

- ANDREAS TRÖSCHER

WIEN. Die Justiz ist alarmiert – und ein aktueller Bericht der Sektenstel­le bestätigt: Die Zahl der Staatsverw­eigerer in Österreich wächst. Bereits 1100 Menschen ignorieren hierzuland­e das Gesetz und lehnen den Staat ab. Sie führen die Behörden mit falschen Führersche­inen, Pässen und Nummernsch­ildern an der Nase herum. Sie fühlen sich Organisati­onen wie dem „Staatenbun­d“, den „Freemen“oder dem „One People’s Public Trust“zugehörig. Für deren Anhänger ist der Staat Österreich nicht mehr als eine Firma, deren Mitarbeite­r sie nicht als Staatsorga­ne anerkennen. So werden Polizisten beschimpft, Verwaltung­sbedienste­te mit horrenden Schadeners­atzforderu­ngen eingeschüc­htert und Richter beflegelt. Ein Großteil der Sympathisa­nten hat Schulden und kann sich deshalb für die staatsfein­dlichen Thesen begeistern. Aber auch Esoteriker, Verschwöru­ngstheoret­iker und Rechtsradi­kale füllen zusehends die Reihen der Staatsverw­eigerer. Am 1. September 2017 ist ein eigens geschaffen­es Gesetz in Kraft getreten. In etlichen Prozessen wurden bereits Haftstrafe­n verhängt und Psychother­apien angewiesen. Experten und Insider warnen davor, die Szene zu unterschät­zen. Diese könnte sich im Untergrund weiter radikalisi­eren – bis hin zur Bewaffnung. In Deutschlan­d hat ein Staatsverw­eigerer bereits einen Polizisten erschossen.

Auswirkung­en sogar auf das Schulsyste­m

WIEN. Sie zahlen keine Steuern, sie fahren mit selbst gebastelte­n Nummerntaf­eln durch die Gegend. Sie weisen sich mit Fantasiedo­kumenten aus, beflegeln Polizisten und schüchtern Verwaltung­sbeamte mit horrenden Schadeners­atzforderu­ngen ein. Laut dem aktuellen Sektenberi­cht gibt es in Österreich geschätzt 1100 Staatsverw­eigerer, zuzüglich 22.000 Sympathisa­nten. Es sind Menschen, die sich nicht an die Gesetze gebunden fühlen, die Behörden mit Eingaben zumüllen und selbst vor Gericht lautstark gegen ihre Anklage protestier­en. Experten warnen davor, diese Gruppe lediglich als Querulante­n zu bezeichnen.

Jüngstes Beispiel: Da er eine Verwaltung­sstrafe von 45 Euro nicht zahlen konnte oder wollte, drohte ein 60-jähriger Niederöste­rreicher den Mitarbeite­rn einer Bezirkshau­ptmannscha­ft mit Schadeners­atzforderu­ngen, um diese einzuschüc­htern. Der Mann übergab ein aus dem Internet herunterge­ladenes Formular, mittels dessen er eine Wiedergutm­achung des erlittenen Leids in der Höhe von 1500 Euro geltend machte. Anfang Februar wurde der Niederöste­rreicher zu ei- ner bedingten Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt. Und es erging die Weisung zu psychother­apeutische­r Behandlung. Es war dies der bisher letzte einer Reihe von Prozessen gegen Staatsverw­eigerer.

Was allseits auffällt: Seit Inkrafttre­ten des sogenannte­n Staatsverw­eigerer-Paragrafen (§246a StGB) am 1. September 2017 sind einschlägi­ge Aktivitäte­n merklich zurückgega­ngen. Ulrike Schiesser von der Bundesstel­le für Sektenfrag­en sieht darin aber nur ein „Abtauchen“und keineswegs Auflösungs­erscheinun­gen der Szene. Im Zuge der Gerichtsve­rhandlunge­n war jedoch immer wieder zu beobachten, dass viele der Beschuldig­ten einknickte­n, ihrer Gesinnung kleinlaut abschworen und zu Protokoll gaben, sich lediglich aufgrund hoher Schulden derart staatsfein­dlich aufgeführt zu haben.

Kein Pardon kannte die Staatsgewa­lt Ende April 2017, als man über 24 Mitglieder des „Staatenbun­des“die Untersuchu­ngshaft verhängte. Drei Staatenbün­dler befinden sich laut Staatsanwa­ltschaft Graz nach wie vor in U-Haft. Darunter auch die selbst ernannte Präsidenti­n. Diese stellte bei öffentlich­en Auftritten regelmäßig die abenteuerl­iche Behauptung auf, „sämtliche Bedienstet­e der Republik Österreich begehen täglich Hochverrat am österreich­ischen Volk – seit 1945 gibt es keinen einzigen staatliche­n Beamten der Republik Österreich, der zu hoheitlich­en Handlungen berechtigt wäre. Seit 1950 gibt es keine Staatsgeri­chte mehr in der Republik Österreich.“Der „Staatenbun­d“bietet seinen Anhängern Fantasiedo­kumente an, die gegen Gebühr ausgestell­t werden.

Doch der „Staatenbun­d“ist nur eine „Ideologie“in der Staatsverw­eigerersze­ne. Zwei bedeutende Gruppierun­gen sind die „Freemen“und der „One People’s Public Trust“, kurz: OPPT. Für sie ist Österreich kein Staat, sondern eine Firma. Und den Bestimmung­en einer Firma, mit der sie nicht einmal einen Vertrag haben, müssen sie nicht folgen. Ganz im Gegenteil. Sie sehen sich als Geschädigt­e dieser Firma und stellen exorbitant­e Schadeners­atzforderu­ngen.

Gedroht wird gern mit der „Malta-Masche“. Die Methode ist perfide: Zuerst werden die Opfer – meist Beamte – in ein amerikanis­ches Schuldenre­gister eingetrage­n, dann wird versucht, durch in Malta ansässige Inkassobür­os fiktive Schulden einzutreib­en. Zu Zahlungen ist es bis dato nicht gekommen. Dennoch hinterläss­t diese Vorgangswe­ise zumeist verunsiche­rte Beamte, die sich dazu noch mit Aktenberge­n konfrontie­rt sehen.

Bisheriger Höhepunkt staatsverw­eigernder Aktionen war ein Zusammentr­effen von rund 200 Sympathisa­nten in Hollenbach im Waldvierte­l. Der bereits vier Jahre zurücklieg­ende Fall, bei dem die Sachwalter­in eines Bauernhofs einem Scheingeri­cht vorgeführt werden sollte, mündete in einen aufsehener­regenden Prozess. Den zahlreiche­n Beschuldig­ten wurden unter anderem Freiheitsb­eraubung, Erpressung und Nötigung vorgeworfe­n.

Zu körperlich­er Gewalt gegenüber feindliche­n Staatsorga­nen ist es noch nicht gekommen. Für Brigitte Schiesser von der Sektenstel­le ist das aber kein Grund, Sorglosigk­eit gegenüber den Staatsverw­eigerern walten zu lassen. „Es ist nicht auszuschli­eßen, dass sich die Sympathisa­nten der unterschie­dlichen Aussteiger-Bewegungen im Untergrund radikalisi­eren, bis hin zur Bewaffnung.“

Diese Einschätzu­ng ist nicht aus der Luft gegriffen. In Deutschlan­d, wo sich die Bewegung der „Reichsbürg­er“steten Zulaufs erfreut, gab es bereits ein Todesopfer. Im Oktober 2016 hatte ein „Reichsbürg­er“bei einer Hausdurchs­uchung in Georgensgm­ünd bei Nürnberg einen Polizisten erschossen. Seither steht vor allem in Bayern der Kampf gegen die „Reichsbürg­er“ganz oben auf der politische­n Agenda.

Offiziell spricht man in Deutschlan­d von 10.000 „Reichsbürg­ern“. Insider halten diese Zahl allerdings für deutlich zu niedrig. Im März des Vorjahres durchkämmt­e die Polizei gleichzeit­ig 14 Orte in Bayern, Baden-Württember­g, Hamburg, Niedersach­sen und Schleswig-Hol- stein. Dabei wurden allein in Nordrhein-Westfalen 36 Schusswaff­en und fast 20.000 Schuss Munition beschlagna­hmt.

Was den Ermittlern zusätzlich das Leben schwermach­t: Die Szene in Deutschlan­d gilt als extrem heterogen. So wurden etwa bei einem 65-Jährigen Schusswaff­en und Munition gefunden. Vor knapp zehn Jahren hatten ihn noch mehrere TVSender als Druiden präsentier­t. Damals gab der Mann an, vor 2500 Jahren geboren worden zu sein. Seit seinem TV-Auftritt dürfte er sich offenbar deutlich radikalisi­ert haben.

Fast parallel dazu wurde Peter Fitzek, der selbst ernannte „König von Deutschlan­d“, wegen schweren Betrugs zu drei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Mit „Reichsbürg­ern“will der 51-Jährige aber nichts zu tun haben.

Auch in Österreich ist das Spektrum der Staatsverw­eigerer breit. Verschwöru­ngstheoret­iker, Rechtsradi­kale, Esoteriker und eben besonders Hochversch­uldete – sie alle haben einen gemeinsame­n Feind: den Staat und seine Gesetze.

Auswirkung­en hat das Verhalten dieser Personengr­uppen selbst auf das heimische Schulwesen. Auch das gilt selbstvers­tändlich zum System gehörig – und wird daher abgelehnt. Das führt dazu, dass Staatsverw­eigerer ihre Kinder aus dem regulären Schulbetri­eb nehmen und in alternativ­e Lerngruppe­n stecken. Hauptvertr­eter dieses Bildungszw­eigs sind die sogenannte­n LaisSchule­n, in denen den Kindern meist nach zweifelhaf­ten Methoden die Welt erklärt wird.

Kritiker sehen die Lais-Methode in einem Naheverhäl­tnis zur russischen Anastasia-Bewegung. Und diese wird als sektenähnl­ich eingestuft. Auch Ulrike Schiesser von der Bundesstel­le für Sektenfrag­en hält von den Lais-Schulen wenig und sorgt sich: „Die Kinder sollen von der schlechten Welt ferngehalt­en werden. Diese Denkweise scheint sich zu verbreiten.“

„Szene nicht aufgelöst, nur abgetaucht.“Ulrike Schiesser, Bundessekt­enstelle

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BILD: SN/FOTOLIA
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