Die Staatsverweigerer sind auf dem Vormarsch
Neue Zahlen zeigen einen gefährlichen Trend: Menschen aus unterschiedlichsten Schichten der Gesellschaft wollen ein Leben außerhalb des Rechtsstaats führen.
WIEN. Die Justiz ist alarmiert – und ein aktueller Bericht der Sektenstelle bestätigt: Die Zahl der Staatsverweigerer in Österreich wächst. Bereits 1100 Menschen ignorieren hierzulande das Gesetz und lehnen den Staat ab. Sie führen die Behörden mit falschen Führerscheinen, Pässen und Nummernschildern an der Nase herum. Sie fühlen sich Organisationen wie dem „Staatenbund“, den „Freemen“oder dem „One People’s Public Trust“zugehörig. Für deren Anhänger ist der Staat Österreich nicht mehr als eine Firma, deren Mitarbeiter sie nicht als Staatsorgane anerkennen. So werden Polizisten beschimpft, Verwaltungsbedienstete mit horrenden Schadenersatzforderungen eingeschüchtert und Richter beflegelt. Ein Großteil der Sympathisanten hat Schulden und kann sich deshalb für die staatsfeindlichen Thesen begeistern. Aber auch Esoteriker, Verschwörungstheoretiker und Rechtsradikale füllen zusehends die Reihen der Staatsverweigerer. Am 1. September 2017 ist ein eigens geschaffenes Gesetz in Kraft getreten. In etlichen Prozessen wurden bereits Haftstrafen verhängt und Psychotherapien angewiesen. Experten und Insider warnen davor, die Szene zu unterschätzen. Diese könnte sich im Untergrund weiter radikalisieren – bis hin zur Bewaffnung. In Deutschland hat ein Staatsverweigerer bereits einen Polizisten erschossen.
Auswirkungen sogar auf das Schulsystem
WIEN. Sie zahlen keine Steuern, sie fahren mit selbst gebastelten Nummerntafeln durch die Gegend. Sie weisen sich mit Fantasiedokumenten aus, beflegeln Polizisten und schüchtern Verwaltungsbeamte mit horrenden Schadenersatzforderungen ein. Laut dem aktuellen Sektenbericht gibt es in Österreich geschätzt 1100 Staatsverweigerer, zuzüglich 22.000 Sympathisanten. Es sind Menschen, die sich nicht an die Gesetze gebunden fühlen, die Behörden mit Eingaben zumüllen und selbst vor Gericht lautstark gegen ihre Anklage protestieren. Experten warnen davor, diese Gruppe lediglich als Querulanten zu bezeichnen.
Jüngstes Beispiel: Da er eine Verwaltungsstrafe von 45 Euro nicht zahlen konnte oder wollte, drohte ein 60-jähriger Niederösterreicher den Mitarbeitern einer Bezirkshauptmannschaft mit Schadenersatzforderungen, um diese einzuschüchtern. Der Mann übergab ein aus dem Internet heruntergeladenes Formular, mittels dessen er eine Wiedergutmachung des erlittenen Leids in der Höhe von 1500 Euro geltend machte. Anfang Februar wurde der Niederösterreicher zu ei- ner bedingten Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt. Und es erging die Weisung zu psychotherapeutischer Behandlung. Es war dies der bisher letzte einer Reihe von Prozessen gegen Staatsverweigerer.
Was allseits auffällt: Seit Inkrafttreten des sogenannten Staatsverweigerer-Paragrafen (§246a StGB) am 1. September 2017 sind einschlägige Aktivitäten merklich zurückgegangen. Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen sieht darin aber nur ein „Abtauchen“und keineswegs Auflösungserscheinungen der Szene. Im Zuge der Gerichtsverhandlungen war jedoch immer wieder zu beobachten, dass viele der Beschuldigten einknickten, ihrer Gesinnung kleinlaut abschworen und zu Protokoll gaben, sich lediglich aufgrund hoher Schulden derart staatsfeindlich aufgeführt zu haben.
Kein Pardon kannte die Staatsgewalt Ende April 2017, als man über 24 Mitglieder des „Staatenbundes“die Untersuchungshaft verhängte. Drei Staatenbündler befinden sich laut Staatsanwaltschaft Graz nach wie vor in U-Haft. Darunter auch die selbst ernannte Präsidentin. Diese stellte bei öffentlichen Auftritten regelmäßig die abenteuerliche Behauptung auf, „sämtliche Bedienstete der Republik Österreich begehen täglich Hochverrat am österreichischen Volk – seit 1945 gibt es keinen einzigen staatlichen Beamten der Republik Österreich, der zu hoheitlichen Handlungen berechtigt wäre. Seit 1950 gibt es keine Staatsgerichte mehr in der Republik Österreich.“Der „Staatenbund“bietet seinen Anhängern Fantasiedokumente an, die gegen Gebühr ausgestellt werden.
Doch der „Staatenbund“ist nur eine „Ideologie“in der Staatsverweigererszene. Zwei bedeutende Gruppierungen sind die „Freemen“und der „One People’s Public Trust“, kurz: OPPT. Für sie ist Österreich kein Staat, sondern eine Firma. Und den Bestimmungen einer Firma, mit der sie nicht einmal einen Vertrag haben, müssen sie nicht folgen. Ganz im Gegenteil. Sie sehen sich als Geschädigte dieser Firma und stellen exorbitante Schadenersatzforderungen.
Gedroht wird gern mit der „Malta-Masche“. Die Methode ist perfide: Zuerst werden die Opfer – meist Beamte – in ein amerikanisches Schuldenregister eingetragen, dann wird versucht, durch in Malta ansässige Inkassobüros fiktive Schulden einzutreiben. Zu Zahlungen ist es bis dato nicht gekommen. Dennoch hinterlässt diese Vorgangsweise zumeist verunsicherte Beamte, die sich dazu noch mit Aktenbergen konfrontiert sehen.
Bisheriger Höhepunkt staatsverweigernder Aktionen war ein Zusammentreffen von rund 200 Sympathisanten in Hollenbach im Waldviertel. Der bereits vier Jahre zurückliegende Fall, bei dem die Sachwalterin eines Bauernhofs einem Scheingericht vorgeführt werden sollte, mündete in einen aufsehenerregenden Prozess. Den zahlreichen Beschuldigten wurden unter anderem Freiheitsberaubung, Erpressung und Nötigung vorgeworfen.
Zu körperlicher Gewalt gegenüber feindlichen Staatsorganen ist es noch nicht gekommen. Für Brigitte Schiesser von der Sektenstelle ist das aber kein Grund, Sorglosigkeit gegenüber den Staatsverweigerern walten zu lassen. „Es ist nicht auszuschließen, dass sich die Sympathisanten der unterschiedlichen Aussteiger-Bewegungen im Untergrund radikalisieren, bis hin zur Bewaffnung.“
Diese Einschätzung ist nicht aus der Luft gegriffen. In Deutschland, wo sich die Bewegung der „Reichsbürger“steten Zulaufs erfreut, gab es bereits ein Todesopfer. Im Oktober 2016 hatte ein „Reichsbürger“bei einer Hausdurchsuchung in Georgensgmünd bei Nürnberg einen Polizisten erschossen. Seither steht vor allem in Bayern der Kampf gegen die „Reichsbürger“ganz oben auf der politischen Agenda.
Offiziell spricht man in Deutschland von 10.000 „Reichsbürgern“. Insider halten diese Zahl allerdings für deutlich zu niedrig. Im März des Vorjahres durchkämmte die Polizei gleichzeitig 14 Orte in Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Hol- stein. Dabei wurden allein in Nordrhein-Westfalen 36 Schusswaffen und fast 20.000 Schuss Munition beschlagnahmt.
Was den Ermittlern zusätzlich das Leben schwermacht: Die Szene in Deutschland gilt als extrem heterogen. So wurden etwa bei einem 65-Jährigen Schusswaffen und Munition gefunden. Vor knapp zehn Jahren hatten ihn noch mehrere TVSender als Druiden präsentiert. Damals gab der Mann an, vor 2500 Jahren geboren worden zu sein. Seit seinem TV-Auftritt dürfte er sich offenbar deutlich radikalisiert haben.
Fast parallel dazu wurde Peter Fitzek, der selbst ernannte „König von Deutschland“, wegen schweren Betrugs zu drei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Mit „Reichsbürgern“will der 51-Jährige aber nichts zu tun haben.
Auch in Österreich ist das Spektrum der Staatsverweigerer breit. Verschwörungstheoretiker, Rechtsradikale, Esoteriker und eben besonders Hochverschuldete – sie alle haben einen gemeinsamen Feind: den Staat und seine Gesetze.
Auswirkungen hat das Verhalten dieser Personengruppen selbst auf das heimische Schulwesen. Auch das gilt selbstverständlich zum System gehörig – und wird daher abgelehnt. Das führt dazu, dass Staatsverweigerer ihre Kinder aus dem regulären Schulbetrieb nehmen und in alternative Lerngruppen stecken. Hauptvertreter dieses Bildungszweigs sind die sogenannten LaisSchulen, in denen den Kindern meist nach zweifelhaften Methoden die Welt erklärt wird.
Kritiker sehen die Lais-Methode in einem Naheverhältnis zur russischen Anastasia-Bewegung. Und diese wird als sektenähnlich eingestuft. Auch Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen hält von den Lais-Schulen wenig und sorgt sich: „Die Kinder sollen von der schlechten Welt ferngehalten werden. Diese Denkweise scheint sich zu verbreiten.“
„Szene nicht aufgelöst, nur abgetaucht.“Ulrike Schiesser, Bundessektenstelle