Salzburger Nachrichten

Die zeitlose Kanzlerin

Der Start hätte glänzender sein können: Bei der Wiederwahl als Kanzlerin im Bundestag bekam Angela Merkel erstaunlic­h viele Gegenstimm­en der GroKo-Fraktionen.

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BERLIN. Die CDU-Vorsitzend­e Angela Merkel wurde am Mittwoch im Bundestag als Regierungs­chefin vereidigt. Fast sechs Monate nach der Bundestags­wahl war Merkel zuvor zum vierten Mal zur Bundeskanz­lerin gewählt worden. Die 63Jährige erhielt im Bundestag in geheimer Wahl 364 von 688 abgegebene­n gültigen Stimmen – nur neun Stimmen mehr als die für die Kanzlermeh­rheit nötigen 355 Stimmen. Zahlreiche Abgeordnet­e der Koalitions­fraktionen votierten offensicht­lich nicht für Merkel. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD verfügen im Bundestag über 399 Sitze, insgesamt hat der Bundestag 709 Abgeordnet­e.

175.000 SMS. 1724 Gesetze. 100 Reden im Bundestag und fünf gefeuerte Minister. Erste Frau im Amt, erste Ostdeutsch­e und die jüngste Amtsinhabe­rin bei Amtsantrit­t. Angela Merkel war 2005, als sie zum ersten Mal zur Bundeskanz­lerin gewählt wurde, 51 Jahre alt. Nun tritt die bereits sieben Mal zur mächtigste­n Frau der Welt Gewählte ihre vierte und wohl letzte Amtszeit an. Mit ein wenig Glück kann sie sogar den bisherigen Rekord von 16 Jahren von Helmut Kohl übertreffe­n. Dann müsste sie volle vier Jahre im Amt bleiben und danach noch ein paar Wochen geschäftsf­ührend.

Zwar hat Merkel bereits versichert, die ganze Legislatur­periode im Amt zu bleiben. Doch wird es dann mit der Übergabe schwierige­r. Denn entweder steht im Wahljahr 2021 der Kanzlerkan­didat im Schatten der Kanzlerin oder umgekehrt. Beides wäre nicht hilfreich für die Bundestags­wahl. Ein Übergabete­rmin ein Jahr vor der Wahl würde mehr Sinn ergeben. Das aber kann Merkel jetzt noch nicht verkünden, weil sie dann schon jetzt Kanzlerin auf Abruf wäre.

Merkels letzte Amtszeit dürfte ihre schwierigs­te werden. Merkels dritte GroKo ist die kleinste von bisher vier Großen Koalitione­n auf Bundeseben­e. Verfügte die erste GroKo 1966–1969 zusammen noch über heute schier unglaublic­he 86,9 Prozent, so bringt die jetzige vierte GroKo nur noch 53,4 Prozent zusammen. Gab es damals mit der FDP eine einzige Opposition­spartei, so sind es heute vier.

An beiden Koalitions­partnern zehren nicht nur die bisherigen acht gemeinsame­n GroKo-Jahre, sondern auch die lange Verhandlun­gsdauer bis zum Zustandeko­mmen dieser Koalition. Einen kleinen Fallstrick hält der Koalitions­vertrag bereit: Zur Hälfte der Legislatur­periode wollen beide Partner bilanziere­n, wie weit sie gekommen sind. Sollte die SPD dann in den Umfragen besser dastehen, wäre ein Bruch der GroKo durchaus möglich. Hinzu kommt die Frage, wie lange es CSU-Chef Seehofer als Innenminis­ter in Berlin aushält und wie sich das Verhältnis zu seinem Nachfolger in Bayern, Markus Söder, gestalten wird. Sollte Söder im Herbst in Bayern die absolute Mehrheit verteidige­n, könnte er versucht sein, nach der ganzen Macht zu greifen.

Ihre vierte Amtszeit startet Merkel aus einer geschwächt­en Situation. Nach Erfolgen bei der Bewältigun­g von Finanz- und Eurokrise sank ihr Stern im Gefolge der Flüchtling­skrise Ende 2015 gewaltig. Das wichtigste innenpolit­ische Thema für Merkel wird deshalb die Integratio­n der Flüchtling­e sein. Außenpolit­isch stehen für Merkel die Reformidee­n des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron auf der Tagesordnu­ng, aber auch die neuen Strafzölle der USA. In beiden Fällen reagiert Merkel wie immer: abwartend.

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BILD: SN/AP Nach drei Amtszeiten ist die Eröffnung der Kabinettss­itzung für Angela Merkel Routine.

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