Der Zaun, der die Menschen bewegt
Diagonale: Die Doku „Die bauliche Maßnahme“illustriert Zeitgeschichte.
GRAZ. Wenn einem die Wahrheit unangenehm ist, sucht man gerne nach Ausflüchten und schlägt zur Verschleierung derselben sprachliche Pirouetten. So geschehen im Fall des von der österreichischen Bundesregierung in Zeiten der starken Flüchtlingsbewegungen angeordneten Grenzzauns. Von „technischen Sicherungen“und einer „baulichen Maßnahme“war da in Politikerkreisen die Rede. „Die bauliche Maßnahme“lautet auch der Titel des neuen Dokumentarfilms von Nikolaus Geyrhalter, der insbesondere den Fokus auf die Grenzregion Brenner legt.
Zwei Zugwaggons direkt an der italienisch-österreichischen Grenze im Schneefall: So beginnt das Zwei-Stunden-Epos, das sich um reale Grenzen und solche, die nur im Kopf existieren, dreht. In der für ihn typischen Bildsprache nähert sich der 46-jährige Wiener Regisseur den Bewohnern im Brennergebiet an: den Demonstranten, die die Grenze als „Scheiße“bezeichnen, den Polizisten, die das „Grenzmanagement“erklären und dabei auch menschliche Gefühle zeigen. Den heimatliebenden Jägern, dem nicht restlos nächstenliebenden Pfarrer, der aufgeschlossenen Kellnerin („Bei uns gibt es keine Probleme“), der vorurteilsbehafteten Mautkassiererin und noch vielen mehr. Geyrhalter lässt sie alle (etwas zu lang) zu Wort kommen, vermeidet Wertungen und lässt die Menschen von ihren Beobachtungen, Erfahrungen, Ängsten und Gedanken erzählen. Immer wieder im Bild: ORF-Nachrichtensendungen, die den aktuellen Stand in der Causa Grenzsicherung wiedergeben.
Der Verkehr auf der Brennerautobahn rauscht vor sich hin, während Soldaten Güterwaggons nach Flüchtlingen absuchen. Eine kleine schwarze Katze streicht Angehörigen des Bundesheeres, die gerade mit Fernstecher die Lage sondieren, um die Beine – und wird von einem Uniformieren gestreichelt. Es sind Bilder wie diese, die vom Film „Die bauliche Maßnahme“, der von einer couragierten Zivilbevölkerung ebenso erzählt wie von Gefangenen der Populismusfalle, im Kopf bleiben. Ein Stück Zeitgeschichte wird da zum Teil bildmächtig aufgerollt, das illustre Meinungspotpourri bezeugt die subjektiven Komponenten eines gesellschaftspolitischen Prozesses.
Und die „bauliche Maßnahme“selbst? Die umstrittenen Maschendrahtzaunrollen lagern seit zwei Jahren in einem Container und werden von Polizeieinheiten gut bewacht und regelmäßig überprüft. Hat was von einer Staatsoperette. Man sieht ihn also gar nicht, aber doch ist er allgegenwärtig – der als Beruhigungspille für die Bevölkerung gedachte Grenzzaun.