Salzburger Nachrichten

„Social Media gehört nicht nur 20-Jährigen“

Immer mehr Pensionist­en werden Werbeträge­r auf Facebook & Co. Wie man „Senior Influencer“wird. Und was man als solcher verdient.

- RALF HILLEBRAND

„Der Influencer verkauft sich selbst“

PARIS. Produktprä­sentation eines großen Staubsauge­rherstelle­rs in Paris: Hunderte Geladene tummeln sich auf der Veranstalt­ung. Unter ihnen einige Partner, zahlreiche Journalist­en und auch eine beachtlich­e Zahl an Influencer­n. Als Influencer werden all jene bezeichnet, die sich in der Social-Media-Welt eine derart große Fangemeind­e aufgebaut haben, dass sie als Werbeträge­r infrage kommen. Die meisten anwesenden Influencer sind so, wie man sie sich klischeeha­ft vorstellt – jung, weiblich, attraktiv. Doch die größte Aufmerksam­keit bekommen nicht die 20-Jährigen, sondern ein älteres, schrill gekleidete­s Pärchen aus Berlin: Britt Kanja (67) und Günther Krabbenhöf­t (72). „Wir sind seit vier Jahren ein Paar – und mittlerwei­le Senior Influencer“, sagt Kanja im SN-Gespräch.

Es ist ein noch zarter, aber doch spürbarer Trend. Immer mehr Social-Media-Nutzer im Pensionsal­ter versuchen sich als Werbeträge­r auf Instagram, Facebook & Co. Das wohl prominente­ste Beispiel ist Helen Van Winkle. Die 89-Jährige kommt auf Instagram auf 3,3 Millionen Fans. Vor rund vier Jahren postete sie ein Bild auf Twitter – eines, das sie in einem Outfit ihrer Urgroßenke­lin zeigt. Das Foto machte breit die Runde, schon wenig später folgten ihr Prominente wie Rihanna und Van Winkle („baddiewink­le“) wurde selbst zum (Web-)Promi.

Britt Kanja und Günther Krabbenhöf­t bewegen sich in anderen Sphären. Kanja kommt auf knapp 9000 Instagram-Fans, ihr Lebensgefä­hrte auf 31.000. „Doch die Zahlen steigen: Nach dem Event in Paris hatte Günther über Nacht 4000 Follower mehr“, sagt Monika Kistemann, Inhaberin der Topas Agentur, spezialisi­ert auf PR, Marketing und Künstlerma­nagement. Kistemann kennt Krabbenhöf­t und Kanja seit Jahren. Die beiden seien Hingucker. „Wieso sollte man das nicht nach außen tragen?“, dachte Kistemann – und nahm sie unter Vertrag.

Gesamt betreut Kistemann fünf Influencer. Neben Krabbenhöf­t und Kanja hat sie noch drei Männer unter Vertrag. „Ich wollte zeigen, dass Social Media nicht nur den 20-jährigen Mädchen gehört“, sagt Kistemann. Bei vielen Produkten, die von den jungen Influencer­n beworben werden, stimme die Zielgruppe nicht: „Ich glaube nicht, dass Mädchen, die sich noch nie wirklich am Haushalt beteiligt haben, einen Staubsauge­r gut präsentier­en.“

Aber warum werden von vielen Firmen dennoch junge Frauen gesucht, um ihre Produkte im Web zu präsentier­en? „Weil der Mann gern mit dem Unterkörpe­r denkt“, sagt Kistemann bewusst provokativ. Männer ließen sich lieber von jungen Frauen Produkte zeigen – auch bei einschlägi­gen Produkten. „Denken Sie an die Homeshoppi­ng-Sender“, ergänzt Kistemann. „Dort werden selbst Bohrmaschi­nen von Frauen präsentier­t.“

Bernadette Kamleitner, Konsumente­npsycholog­in an der WU Wien, sieht das weniger drastisch. Es gebe ebenso Männer, die sich in der Social-Media-Welt eine Fangemeind­e aufgebaut haben. Mit einem Influencer müssen sich die Fans identifizi­eren können. „Am Ende des Tages verkauft sich der Influencer selbst“, sagt Kamleitner. Und deshalb sei Authentizi­tät wichtig: Wenn jemand authentisc­h wirke, das Produkt zu ihm passe, lasse man sich von ihm sogar Werbeprodu­kte verkaufen. „Werbung im guten Sinne ist Empfehlung und Informatio­n, nicht Manipulati­on.“

Influencer-Marketing ist mittlerwei­le zu einem beachtlich­en Wirtschaft­sfeld geworden. Der britische „Independen­t“schätzt, dass Instagram-Superstar Chiara Ferragni für ein Posting, in dem sie ein Produkt bewirbt, bis zu 70.000 Euro verlangen kann. Doch man muss gar nicht wie Ferragni zwölf Millionen Fans haben, um gutes Geld zu verdienen. „Ab rund 800.000 Followern können Sie schon 5000 bis 10.000 Euro pro Post verlangen“, beschreibt Agentur-Inhaberin Kistemann. Ihre „Senior Influencer“verdienten im Verhältnis dazu „praktisch nichts“. Der Staubsauge­rherstelle­r habe ihnen die Reisekoste­n gezahlt, auch das vorgestell­te Produkt werde ihnen geschenkt. Aber freilich könne das noch mehr werden – etwa durch eine höhere Zahl an Fans.

Wie wird man nun überhaupt Influencer? Im Grunde gebe es zwei Möglichkei­ten. Es gebe Agenturen, die zu Castings lüden und Influencer aufbauten. Oder der Social-Media-Nutzer versucht selbst, Ruf und Reichweite zu generieren – bevor er dann immer öfter von Agenturen unter Vertrag genommen wird.

Doch nicht alles, was im Influencer-Business glänzt, ist Gold. Erst diese Woche machte eine US-Influencer­in öffentlich, dass sie sich für die Social-Web-Karriere völlig verschulde­t hat. Dazu werden Influencer immer wieder dafür kritisiert, dass sie Werbung schlampig kennzeichn­en, Firmengesc­henke nicht korrekt versteuern – und anderen Kanälen Werbegeld abziehen. Blogger beschwerte­n sich etwa, sagt Kistemann, denn sie setzten sich im Gegensatz zu Influencer­n breiter mit Produkten auseinande­r, würden aber weniger gewürdigt. „Ich glaube, dass der Influencer-Rummel noch ein paar Jahre anhält – und dann kommt ein neuer Trend.“

Lohnt es sich dann überhaupt, sich den Kampf um Klicks und Fans anzutun? Für „Senior Influencer­in“Britt Kanja schon. Sie habe stets „exponierte Dinge“getan. Neben einer Tanzkarrie­re habe sie einen Berliner Club mitaufgeba­ut – und galt nach eigenen Angaben als Grande Dame des Berliner Nachtleben­s. „Es ist für mich eine Horrorvors­tellung, ständig alle vier baumeln zu lassen. Ich möchte leben, mich spüren, andere spüren. Und ich möchte jeden Tag etwas dazulernen.“

 ?? BILD: SN/TOPAS INTERNATIO­NAL GROUP ?? Die Berliner „Senior Influencer“Britt Kanja (67) und Günther Krabbenhöf­t (72) bei einer „Dienstreis­e“in Paris.
BILD: SN/TOPAS INTERNATIO­NAL GROUP Die Berliner „Senior Influencer“Britt Kanja (67) und Günther Krabbenhöf­t (72) bei einer „Dienstreis­e“in Paris.

Newspapers in German

Newspapers from Austria