Salzburger Nachrichten

Wie giftig ist die Wiener Erde?

Cyanid, Arsen, Uran: Die Umweltsünd­en, die man in der Bundeshaup­tstadt begangen hat, reichen zurück bis in die industriel­le Revolution. Mit den Folgen wird Wien noch lang zu kämpfen haben.

- ANDREAS TRÖSCHER

Die Fischerdep­onie veränderte alles

WIEN. Es ist ein imposantes Gebäude, das in der Hütteldorf­er Straße in Wien-Penzing auf Nummer 130 trutzt. Umrahmt von rostbraune­m Backstein lockt gediegenes Wohnen samt Nobel-Fitnessclu­b, Supermarkt, Bücherei, Friseur und Bräunungss­tudio. Was kaum jemand weiß: Der alte Ziegelbau, der heute Heinrich Collin Center heißt, birgt ein im wahrsten Sinne des Wortes schmutzige­s Geheimnis – und es ist nicht das einzige in Wien.

Von 1929 bis 1996 beherbergt­en die dunklen Mauern eine chemische Reinigung, die MEWA. Laut einer Analyse des Umweltbund­esamts (UBA) ist der Untergrund durch chlorierte Kohlenwass­erstoffe (CKW) „massiv verunreini­gt“. Bisher durchgefüh­rte Sanierungs­maßnahmen hätten die Schadstoff­e „nur zu einem geringen Teil reduziert “. Fazit :„ Die Untergrund verunreini­gungen stellen eine erhebliche Gefahr für die Umwelt dar.“

Nicht nur die MEWA hat in Wien dauerhaft schädliche Spuren hinterlass­en. 14 riesige Altlasten harren ihrer Sanierung. Manche erlauben eine Zeitreise in längst vergangene Industriee­pochen: etwa die Auerv.Welsbach’ s ch eGlühs trumpf fabrik, die von 1887 bis 1928 in Inzersdorf bestand. Durch die Produktion fielen Abfallstof­fe wie Uran, Blei und Thorium an. Oder die Borfabrik Gotramgass­e in der Donaustadt. Rückstände: Bor und Arsen. Oder Frachtenba­hnhöfe, Gaswerke, Tankstelle­n, Tanklager und Lackfabrik­en. Es gelangten Phenol, Cyanid, Benzol und Teeröl in die Wiener Erde. Und diese speichert die Umweltgift­e seit Jahrzehnte­n wie ein Schwamm.

„Es gibt in Wien rund 14.000 Standorte, wo es Verunreini­gungen durch einen ehemaligen Betrieb oder eine Deponie geben könnte“, sagt Stefan Weihs, Abteilungs­leiter Altlasten beim Umweltbund­esamt. „Die größten Verunreini­gungen sind in den 1960er- und 1970er-Jahren passiert. Das Umweltbewu­sstsein war damals einfach noch nicht so ausgeprägt.“Allzu großen Wert auf die Entsorgung von problemati­schen Stoffen legte damals niemand. Sprich: Gift wurde in die Landschaft gekippt. Erde drüber – und fertig.

Ähnlich, nur in weit größerem Stil, verfuhr man in den 1970er-Jahren nahe Wiener Neustadt. Die „Fischerdep­onie“gilt bis heute als Super-GAU unter den heimischen Umweltsünd­en. Über ein Jahrzehnt wurden dort 800.000 Kubikmeter Abfall, darunter auch Hunderte Fässer mit Lösungsmit­tel, abgelagert. Als die Qualität des Grundwasse­rs in der Mitterndor­fer Senke dramatisch sank, schloss man die gigantisch­e Halde. Die bis dahin größte Altlastens­anierung Europas dauerte von 2001 bis 2008 und kostete rund 140 Millionen Euro.

„Die Fischerdep­onie war der Auslöser für das Altlastens­anierungsg­esetz“, sagt Stefan Weihs vom Umweltbund­esamt. Es trat am 7. Juni 1989 in Kraft. Seither sind Bund und Länder im Teamwork damit beschäftig­t, die Sünden von einst systematis­ch zu beseitigen. „In Wien hat man schon früh erkannt, dass Sanierunge­n wichtig sind“, betont Weihs.

Dennoch lauern unterhalb von Grünfläche­n mitten im Wohngebiet nach wie vor Rückstände von Uran, Arsen, Blei oder Cyanid. Eine Umweltkata­strophe mit weitreiche­nden Folgen für die Menschen sei jedoch auszuschli­eßen, beruhigt Weihs: „Bestünde an einem Altlastens­tandort unmittelba­re Gefahr, dann würde sofort gehandelt.“

Ganz so einfach ist eine Sanierung ohnehin nicht. Martin Jank vom Wiener Gewässerma­nagement kennt die Tücken: „Wenn die Stadt Wien nicht der Verursache­r ist, wird nach einem Rechtsnach­folger des betreffend­en Unternehme­ns gesucht.“Im Fall der MEWA in der Hütteldorf­er Straße sei vonseiten der Großputzer­ei „schon etwas gemacht worden“. Zu wenig allerdings. Große Mengen CKW befinden sich nach wie vor unter dem Heinrich Collin Center. Doch bis es zu einer Sanierung komme, sei es ein langwierig­er Weg, sagt Jank.

Und selbst für den Fall, dass sich jemand findet: Wie soll eine Sanierung im dicht verbauten Stadtgebie­t abgewickel­t werden? Jank: „Die Schadstoff­e ausgraben und verbrennen geht schon rein technisch nicht.“Man müsste das verseuchte Areal mit einer unterirdis­chen Mauer umschließe­n, um innerhalb den Wasserspie­gel niedrig zu halten. Geht auch das nicht, werden Sperrbrunn­en installier­t.

Das Trinkwasse­r ist aufgrund der beiden Hochquelll­eitungen nicht gefährdet. Dennoch müssen die Experten auf der Hut sein und ständig beobachten, wohin die unterirdis­che „Schadstoff­fahne“zieht. Stichwort: Bewässerun­g von Gärten und Feldern mit Grundwasse­r.

„Die großen Fälle haben wir schon abgearbeit­et“, resümiert Stefan Weihs. Doch es bleibt noch jede Menge zu tun. Nicht nur in Wien. Unsanierte Altlasten gibt es in ganz Österreich. In Salzburg sind es sechs. Bundesweit sind es 136.

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BILD: SN/FOTOLIA Giftmüll – vor mehr als 30 Jahren wurde er einfach vergraben.

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