Wie giftig ist die Wiener Erde?
Cyanid, Arsen, Uran: Die Umweltsünden, die man in der Bundeshauptstadt begangen hat, reichen zurück bis in die industrielle Revolution. Mit den Folgen wird Wien noch lang zu kämpfen haben.
Die Fischerdeponie veränderte alles
WIEN. Es ist ein imposantes Gebäude, das in der Hütteldorfer Straße in Wien-Penzing auf Nummer 130 trutzt. Umrahmt von rostbraunem Backstein lockt gediegenes Wohnen samt Nobel-Fitnessclub, Supermarkt, Bücherei, Friseur und Bräunungsstudio. Was kaum jemand weiß: Der alte Ziegelbau, der heute Heinrich Collin Center heißt, birgt ein im wahrsten Sinne des Wortes schmutziges Geheimnis – und es ist nicht das einzige in Wien.
Von 1929 bis 1996 beherbergten die dunklen Mauern eine chemische Reinigung, die MEWA. Laut einer Analyse des Umweltbundesamts (UBA) ist der Untergrund durch chlorierte Kohlenwasserstoffe (CKW) „massiv verunreinigt“. Bisher durchgeführte Sanierungsmaßnahmen hätten die Schadstoffe „nur zu einem geringen Teil reduziert “. Fazit :„ Die Untergrund verunreinigungen stellen eine erhebliche Gefahr für die Umwelt dar.“
Nicht nur die MEWA hat in Wien dauerhaft schädliche Spuren hinterlassen. 14 riesige Altlasten harren ihrer Sanierung. Manche erlauben eine Zeitreise in längst vergangene Industrieepochen: etwa die Auerv.Welsbach’ s ch eGlühs trumpf fabrik, die von 1887 bis 1928 in Inzersdorf bestand. Durch die Produktion fielen Abfallstoffe wie Uran, Blei und Thorium an. Oder die Borfabrik Gotramgasse in der Donaustadt. Rückstände: Bor und Arsen. Oder Frachtenbahnhöfe, Gaswerke, Tankstellen, Tanklager und Lackfabriken. Es gelangten Phenol, Cyanid, Benzol und Teeröl in die Wiener Erde. Und diese speichert die Umweltgifte seit Jahrzehnten wie ein Schwamm.
„Es gibt in Wien rund 14.000 Standorte, wo es Verunreinigungen durch einen ehemaligen Betrieb oder eine Deponie geben könnte“, sagt Stefan Weihs, Abteilungsleiter Altlasten beim Umweltbundesamt. „Die größten Verunreinigungen sind in den 1960er- und 1970er-Jahren passiert. Das Umweltbewusstsein war damals einfach noch nicht so ausgeprägt.“Allzu großen Wert auf die Entsorgung von problematischen Stoffen legte damals niemand. Sprich: Gift wurde in die Landschaft gekippt. Erde drüber – und fertig.
Ähnlich, nur in weit größerem Stil, verfuhr man in den 1970er-Jahren nahe Wiener Neustadt. Die „Fischerdeponie“gilt bis heute als Super-GAU unter den heimischen Umweltsünden. Über ein Jahrzehnt wurden dort 800.000 Kubikmeter Abfall, darunter auch Hunderte Fässer mit Lösungsmittel, abgelagert. Als die Qualität des Grundwassers in der Mitterndorfer Senke dramatisch sank, schloss man die gigantische Halde. Die bis dahin größte Altlastensanierung Europas dauerte von 2001 bis 2008 und kostete rund 140 Millionen Euro.
„Die Fischerdeponie war der Auslöser für das Altlastensanierungsgesetz“, sagt Stefan Weihs vom Umweltbundesamt. Es trat am 7. Juni 1989 in Kraft. Seither sind Bund und Länder im Teamwork damit beschäftigt, die Sünden von einst systematisch zu beseitigen. „In Wien hat man schon früh erkannt, dass Sanierungen wichtig sind“, betont Weihs.
Dennoch lauern unterhalb von Grünflächen mitten im Wohngebiet nach wie vor Rückstände von Uran, Arsen, Blei oder Cyanid. Eine Umweltkatastrophe mit weitreichenden Folgen für die Menschen sei jedoch auszuschließen, beruhigt Weihs: „Bestünde an einem Altlastenstandort unmittelbare Gefahr, dann würde sofort gehandelt.“
Ganz so einfach ist eine Sanierung ohnehin nicht. Martin Jank vom Wiener Gewässermanagement kennt die Tücken: „Wenn die Stadt Wien nicht der Verursacher ist, wird nach einem Rechtsnachfolger des betreffenden Unternehmens gesucht.“Im Fall der MEWA in der Hütteldorfer Straße sei vonseiten der Großputzerei „schon etwas gemacht worden“. Zu wenig allerdings. Große Mengen CKW befinden sich nach wie vor unter dem Heinrich Collin Center. Doch bis es zu einer Sanierung komme, sei es ein langwieriger Weg, sagt Jank.
Und selbst für den Fall, dass sich jemand findet: Wie soll eine Sanierung im dicht verbauten Stadtgebiet abgewickelt werden? Jank: „Die Schadstoffe ausgraben und verbrennen geht schon rein technisch nicht.“Man müsste das verseuchte Areal mit einer unterirdischen Mauer umschließen, um innerhalb den Wasserspiegel niedrig zu halten. Geht auch das nicht, werden Sperrbrunnen installiert.
Das Trinkwasser ist aufgrund der beiden Hochquellleitungen nicht gefährdet. Dennoch müssen die Experten auf der Hut sein und ständig beobachten, wohin die unterirdische „Schadstofffahne“zieht. Stichwort: Bewässerung von Gärten und Feldern mit Grundwasser.
„Die großen Fälle haben wir schon abgearbeitet“, resümiert Stefan Weihs. Doch es bleibt noch jede Menge zu tun. Nicht nur in Wien. Unsanierte Altlasten gibt es in ganz Österreich. In Salzburg sind es sechs. Bundesweit sind es 136.