Salzburger Nachrichten

Hilfe bei sexueller Belästigun­g

#MeToo rückte Übergriffe gegen Frauen ins öffentlich­e Bewusstsei­n. Doch aufgehört haben anzügliche Bemerkunge­n und Grapschere­ien noch lang nicht.

- SN-ham, APA, dpa

Frauen in Belgiens Hauptstadt Brüssel sollen sich nun auch per App gegen sexuelle Übergriffe wehren können. „Touche pas à ma pote“heißt die Anwendung, die seit vergangene­r Woche herunterge­laden werden kann. Auf Deutsch bedeutet das: „Fass meine Freundin nicht an“. Frauen können per Knopfdruck Vorfälle melden, anonym. Andere registrier­te Nutzer, die in der Nähe sind, können dann helfen – zum Beispiel als Zeuge. Das können auch Männer sein. Sie werden in der App als „Straßeneng­el“bezeichnet. Hinter der App stecken eine zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­on und die Brüsseler Politikeri­n Bianca Debaets. Bei Twitter beschrieb sie ihre Motivation: „Wie viele andere Frauen habe ich genug von bestimmten Männern, die Frauen auf der Straße beleidigen und belästigen.“

Ob das in der Praxis immer funktionie­rt, ist fraglich: Denn oft dürften die Täter weg sein, bis Hilfe da ist. Doch es geht auch um etwas anderes: Die App speichert die gemeldeten Standorte. Frauen können auf der Karte sehen, wo es bereits Übergriffe gab. Die Polizei könnte die Daten nutzen und beispielsw­eise ihre Streifengä­nge anpassen. Zudem kann erfasst werden, auf welche Art Frauen belästigt werden.

Neu ist die Idee aber nicht. Bei dem französisc­hen Vorbild „Hands Away“, das seit Oktober 2016 auf dem Markt ist, sind nach Angaben der Betreiber 10.000 „Straßeneng­el“gemeldet. Nutzerinne­n haben schon 8500 Fälle in der kostenlose­n Anwendung angezeigt. Auch anderenort­s werden Daten gesammelt und Helfer gerufen: Das Modell einer indischen Initiative namens „Safecity“verfolgt in 50 Städten in Indien oder Kenia einen ähnlichen Ansatz.

Ein eher unbekannte­s Dasein führt seit ihrer Einführung vor rund vier Jahren die österreich­ische App „fem:HELP“, die Hilfe im Fall von Gewalt bieten soll, wie Maria Rösslhumer, Geschäftsf­ührerin des Vereins Autonome Österreich­ische Frauenhäus­er (AÖF) der APA sagte. Die kostenlose Anwendung enthält rasch abrufbare Notrufnumm­ern, ein Verzeichni­s an Beratungss­tellen und die Möglichkei­t zu einer privaten Dokumentat­ion des Vorfalls. Sie könne sich vorstellen, dass eine App wie jene in Brüssel auch in Österreich sinnvoll sein könnte, etwa zur Dokumentat­ion oder bei Gericht. Sie spricht sich für eine Erweiterun­g oder Verbesseru­ng der „fem:HELP“-App aus.

Klaus Priechenfr­ied hat als Leiter des Vereins Neustart, der ehemalige Häftlinge bei der Resozialis­ierung unterstütz­t, häufig mit Sexualdeli­kten und Prävention­sarbeit zu tun. Er sieht in einer App nach dem belgischen Vorbild einen wichtigen Baustein zur Prävention von sexueller Gewalt und Belästigun­g. „Wenn solche Dinge an die Öffentlich­keit kommen, hilft es“, betonte er, „auch wenn dadurch vielleicht nicht mehr Täter gefasst werden. Täter oder potenziell­e Täter werden an die Grenze erinnert, die von allen in der Gesellscha­ft getragen werden muss.“Die Politikeri­n Debaets, die in Brüssel Staatssekr­etärin für Chancengle­ichheit ist, sieht die App nicht als Allheilmit­tel: „Sie ist keine Wunderlösu­ng“, wird sie vom Rundfunkse­nder RTBF zitiert. Aber es sei wichtig, nicht nur die „Spitze des Eisbergs“zu sehen, sondern was wirklich passiere und wo, erklärt die Politikeri­n. Denn häufig zeigten Frauen Übergriffe gar nicht an. Das ergab auch eine von der Politikeri­n in Auftrag gegebene Umfrage der Universitä­t Gent: 86 Prozent der 400 Befragten seien bereits einmal auf der Straße oder in der U-Bahn sexuell eingeschüc­htert worden – Anzeige erstattete­n aber nur 3,6 Prozent. Aus dem österreich­ischen Bundeskrim­inalamt heißt es zu der App: Man begrüße jede Initiative, die zu Prävention und Zivilcoura­ge beitrage. Gleichzeit­ig verwies ein Sprecher auf die bereits bestehende Sicherheit­s-App des Innenminis­teriums, die viele Möglichkei­ten biete, wie etwa den integriert­en Notruf. Grundsätzl­ich sollte man in Gefahrensi­tuationen immer die Polizei rufen.

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