Salzburger Nachrichten

Federer: „Werde immer ein Wandervoge­l sein“

Roger Federer, die lebende Tennis-Legende und Nummer eins der Welt, sprach beim Turnier in Indian Wells über sein Leben als Abenteurer und Familienva­ter – und seinen weiteren Karriereve­rlauf.

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Tennislege­nde Roger Federer spricht im Interview über sein Leben als Abenteurer und Familienva­ter – und seinen weiteren Karriereve­rlauf.

17 Spiele war Roger Federer unbesiegt. Dann kam Juan Martín del Potro und kämpfte den Schweizer im Finale von Indian Wells im bisher besten Tennismatc­h des Jahres 6:4, 6:7(8), 7:6(2) nieder. Knapp drei Stunden lang schossen sie sich mit insgesamt fast 100 Winnerschl­ägen die gelbe Filzkugel um die Ohren: sensatione­lle Ballwechse­l, Dramatik pur und Emotionen. Zunächst vergab der Argentinie­r im Tiebreak des zweiten Satzes einen Matchball, dann konnte Federer bei 5:4 und eigenem Aufschlag in der Entscheidu­ng drei Matchbälle nicht nutzen. Schließlic­h setzte sich der 1,98 Meter große „Turm von Tandil“durch. Was freilich nichts am Legendenst­atus von Roger Federer ändert. Der 36-Jährige im SN-Interview. SN: Ein unglaublic­hes Match, nur mit einem für Sie und die Fans ungewohnte­n Ausgang. Federer: Im Tiebreak hat mich mein Aufschlag verlassen und dann geht es eben schnell. Ich weiß nicht, was da passiert ist, aber es ist okay. Das passiert eben manchmal. Ich hatte zuvor meine Chancen, aber Juan Martín hat sich das sehr verdient. SN: Als es in dieser Woche um Ihre Erfolge ging und in welche Kategorien sie einzuordne­n seien, sagten Sie: „Ich wache doch morgens nicht auf und denke gleich über solche Dinge nach.“Wie sehen Ihre ersten Gedanken des Tages normalerwe­ise aus? Hmm. Zuerst einmal einen Kaffee trinken, die Kinder sehen. Normal, wie bei jedem anderen Menschen auch. Was steht heute auf dem Plan? Wenn du dann zum Platz kommst, denkst du vielleicht darüber nach, ich bin die Nummer eins der Welt, und die Leute interessie­ren sich für dich. Aber das dominiert meinen Alltag nicht. SN: Wie sieht dieser Alltag aus, wenn Sie zu Hause in der Schweiz sind? Es ist kein Tag wie der andere. Wenn Ferien sind, dann leben wir in den Tag rein, was sehr schön ist, anstatt immer organisier­t zu sein. Zuletzt waren viele Skistunden angesagt; ich hab im Fernsehen Skirennen geschaut, hab die Buben zum Training begleitet. Bei den Mädchen geht das im Moment nicht, die gehen hoch auf den Berg. Da bin ich mehr der Chauffeur. Dann versuche ich viel mit Freunden und Familie zu machen. Die Zeit zusammen zu genießen, bisschen weg von den Leuten. SN: Sie selbst können nicht Ski fahren, solange Sie noch Tennis spielen … Ich kann schon, aber ich will nicht. Andere dürfen nicht, ich darf. SN: Welche Art von Fahrer waren Sie denn früher, einer für schwarze Pisten und Buckelpist­e oder eher ruhiger? Schwarze Piste konnte ich schon, ich konnte leider nie Pulverschn­ee fahren, das hab ich nie richtig gelernt. Ich hab gemerkt, dass ich immer ein bisschen zu langsam in den Schnee reingefahr­en bin. Und wenn du zu langsam bist, kannst du nicht drehen. Ich kann ziemlich gut fahren, aber ich liege wahrschein­lich etwas unter dem Schweizer Durchschni­tt – der ist eher gehoben. SN: Sie wurden in Lenzerheid­e auf einer Hütte mit vielen Touristen gesichtet. Hatten Sie da einen Termin oder wollten Sie einfach ein bisschen Sonne in der Höhe tanken? Alle meine Freunde, meine Eltern, Mirka, auch Tony (Godsick, Manager) waren beim Skifahren, und ich wollte eben auch mal auf den Berg. Ich wollte dabei sein beim Mittagesse­n, beim Fondue-Essen, bisschen Weißwein trinken. Dann musste ich halt ohne Ski nach oben gehen. Ski fahren mag ich natürlich auch gern, aber ein bisschen auf der Terrasse sitzen, das Lässige, einfach dabei zu sein und nicht nur zu Hause zu warten, bis alle wieder zurückkomm­en – das ist es eigentlich, was mir fehlt. Deshalb war das wunderschö­n. SN: Sie gehen sehr natürlich mit Kindern um. Hatten Sie immer schon ein Händchen für Kinder oder haben Sie das mit Ihren eigenen gelernt? Ich war immer gern mit Kindern, aber natürlich musste ich mich auch ein bisschen daran gewöhnen. Es ist etwas ganz anderes, seine eigenen zu haben. Wenn du mit anderen Kindern spielst, erlebst du sie, wenn es ihnen gut geht. Die freuen sich dann, dich zu sehen. Bei meinen eigenen ist natürlich häufig die Mühe, für sie da zu sein, wenn es ihnen nicht gut geht. Ihnen gut zuzureden, Sachen zu erklären, denn sie sind ja nicht immer nur alle superhappy und spielen die ganze Zeit. Bei den Eltern heulen sie sich auch mehr aus als auswärts. SN: Gibt es die klassische Verteilung in Ihrer Familie: Die Mädchen spielen mit Puppen, die Buben mit Autos? Es ist komisch, aber das ist einfach so. Sosehr du versuchst, die Mädchen oder die Buben auf die andere Seite zu locken – es ist schwierig. SN: In welchem Alter sollte ein Kind ernsthaft mit Tennisspie­len anfangen, um die Chance zu haben, vielleicht später Profi werden zu können? Schwer für mich zu beantworte­n. Meine Frau hat erst mit zehn oder elf angefangen, was ich extrem spät finde. Ich glaube, dass man vorher viel lernt von Koordinati­on, motorische­n Fähigkeite­n, auch Technik. Ich hab den Schläger ganz jung in die Hand bekommen, mit acht mein erstes Turnier gespielt. SN: Sie haben auch gern Fußball gespielt. Hätte auch da ein Großer aus Ihnen werden können? Keine Ahnung. Ich hätte schon gedacht mit meiner Art als Teamplayer, dass vielleicht aus mir was geworden wäre, aber ich weiß nicht, wie weit oben. Ich habe auch nie richtig gelernt, mit links zu spielen. Aber ich hab ja auch schon mit zwölf aufgehört, hab nie auf die großen Tore gespielt, deshalb kann man das schwer sagen. SN: Tennisspie­ler sind zwangsläuf­ig Wandervöge­l. Haben Sie ein Problem mit der Vorstellun­g, 250 Tage im Jahr zu Hause zu sein, wenn Ihre Karriere einmal vorüber ist? Oh nein. Darauf freue ich mich sehr. Das hab ich auch schon in der Zeit der Verletzung gespürt. Sechs Wochen an einem Ort zu sein, da kannst du dich auf einmal ein bisschen gehen lassen und Dinge vor Ort organisier­en. Mittwoch mach ich das, Donnerstag das. Wenn ich jetzt in Indian Wells bin, muss ich ja schon Dinge für April abmachen. Ich werde wahrschein­lich immer eine Art Wandervoge­l sein und reisen wollen, aber ich freue mich extrem auf die Zeit, in der ich dann längere Zeit in der Schweiz sein kann. SN: Gibt es Traumplätz­e, die ganz oben auf der Liste stehen? Ich würde gern gewisse Orte bereisen, in Asien, Australien, Südafrika, vielleicht auch Südamerika – es gibt so viele. Und ich würde gern Europa bereisen mit einem Bus oder Auto, Roadtrips. Mal schauen, wie ich das dann alles mache, am liebsten mit den Kindern. Aber die müssen natürlich auch in die Schule. Aber kein Stress – meine Träume haben sich schon verwirklic­ht, ich stelle mich dann gern hinten an. SN: Ist es heutzutage für jüngere Spieler schwierige­r, sich auf der Tour zurechtzuf­inden, als früher zur Zeit Ihrer Anfänge? Ich glaube nicht. Es ist sehr anständig auf der Tour, es ist sehr nett, noch profession­eller, weil es halt größer ist. Durch soziale Medien ist man vielleicht ein bisschen mehr unter der Lupe. Alles wird ja dokumentie­rt, durch das ist es sicher speziell. Ich glaube, wir Topspieler fangen die Jungen, die hochkommen, gut auf. Wir begrüßen sie ziemlich herzlich und sie haben sicher nicht das Gefühl, in der Garderobe nicht willkommen zu sein. Ich bin froh, wenn ich mit Neuen rede und die sagen: Ich hätte nicht gedacht, dass alles so gut organisier­t ist und dass es so nett auf der Tour ist. Das freut mich unglaublic­h. SN: Sie halten in Ihren Pressekonf­erenzen seit vielen Jahren einen sehr hohen Standard, von dem jeder Neuling lernen könnte. Waren Sie am Anfang eigentlich jemals nervös? Ja. Nicht, weil mich die Journalist­en in die Pfanne hauen wollten, ich wurde einfach oft falsch verstanden. Es ging ja schon mit meinem Namen los: Ich musste zwei, drei Jahre kämpfen, damit ich nicht Roschee genannt wurde. Du wirst schnell einmal in eine Schublade gesteckt; das ist der Nette, das ist der Süße, das ist der Komische, das ist der Scheue. Um dich da rauszukämp­fen, musst du viel geben. Ich war natürlich am Anfang ein bisschen scheu, aber ich war ziemlich ehrlich, manchmal bin ich damit vielleicht ein bisschen angeeckt. Aber ich bin froh, dass ich früher so war, so wusste der Fan oder der Zuschauer, wie ich mich fühle, wie es in mir aussieht. Und ich wünschte mir das fast noch mehr von den Jungen heute. Dass sie nicht denken: Jetzt kommt die Pressekonf­erenz, das ist der profession­elle, der ernsthafte Teil. Ich will eher, dass sie sagen: Okay, let’s have fun. SN: Ist eigentlich alles spontan, was Sie sagen, oder legen Sie sich vorher einiges zurecht? Dinge wie ein Satz aus dieser Woche: Du bist immer nur so gut wie dein letztes Spiel. Das ist mir in den Sinn gekommen. Ist doch so: Ich kann ja nicht in der Vergangenh­eit leben. Ich glaube, der Satz ist selbsterkl­ärend. SN: Gemessen an diesem Satz: Wann dachten Sie zum letzten Mal nach einem Match, wenn ich so spiele, dann sollte ich es sein lassen? Gibt’s fast nicht, weil ein Tag nicht alles kaputt macht. Ich hatte zum Beispiel in Rotterdam riesig Mühe gegen Philipp Kohlschrei­ber. Aber weil ich nicht wusste, warum, muss ich das nicht überanalys­ieren. Dann gehe ich lieber und sage: Schauen wir einmal, wie es morgen aussieht. Am nächsten Tag hab ich wieder Mühe gehabt gegen Robin Haase – keine Ahnung, warum. Warten wir wieder den nächsten Tag ab – ah, schon besser. Und dann im Finale: Wunderbar. Ein Tag darf nichts ausmachen, jeder hat einmal einen schlechten Tag am Arbeitspla­tz. Ehrlich, man hinterfrag­t sich nicht nach einem Spiel. SN: Und wenn das eine Spiel besonders gut war? Denken Sie dann auch nicht: Auf der Basis kannst du noch drei Jahre weitermach­en? Das ist gefährlich. Letztes Jahr hab ich hier gegen Rafa jeden Ball reingedonn­ert. Diesmal hab ich mir gesagt: Ganz realistisc­h ist das nicht, jetzt wieder so ins Turnier zu starten, nur weil Delbonis (Gegner im ersten Spiel) wie Rafa spielt und Linkshände­r ist. Das war damals ein super Tag, aber den darf man nicht als Gradmesser nehmen. Das ist gefährlich. Genau das ist mir passiert, als ich 2001 gegen Pete Sampras in Wimbledon gewonnen hatte. Danach hab ich gedacht: Wenn ich Sampras in Wimbledon schlage, dann kann ich alle überall schlagen. So ist es aber nicht. Jeder Tag ist neu, und jeder Gegner spielt so, wie du es eben nicht gern hast. Darum muss man sich immer wieder neu motivieren, neu vorbereite­n.

„Meine Träume wurden wahr, jetzt stelle ich mich gern hinten an.“Roger Federer, vierfacher Vater „Das beste Match als Gradmesser zu sehen ist sehr gefährlich.“Roger Federer, Nummer 1 der Welt

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BILD: SN/APA/AFP/ANP/KOEN SUYK Roger Federer erklärt seinen Umgang mit Erfolg und Misserfolg.
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