Rauchen und Reden mit Robert Menasse
Er hat den ersten Roman geschrieben, der im EU-Umfeld spielt – und ist vom Saulus zum Paulus geworden.
Ein Frühstück mit dem Schriftsteller Robert Menasse in Brüssel beginnt mit einer kleinen Herausforderung. Ein Café, in dem man rauchen kann, hätte er gern, schreibt sein Verlag. In Belgien ist das schwierig, weil Rauchen in Cafés und Restaurants verboten ist. Die Lösung heißt „London“, eines der Lokale mit offenem Vorzelt auf dem Platz Luxemburg, in dem es notfalls auch bei Regen und Kälte draußen auszuhalten ist.
Als Menasse für sein Buch „Die Hauptstadt“in Brüssel recherchiert hat, war das noch anders. In seinen damaligen Lieblingscafés, dem „Kafka“im Stadtzentrum, nahe der Kirche St. Catherine, die auch in dem Brüssel-Roman vorkommt, und dem „Franklin“hinter der EUKommission konnte er noch rauchend tage- und nächtelang mit Künstlern, Journalisten und Kommissionsbeamten diskutieren. Beide Cafés hätten das Rauchverbot – sehr zu seinem Bedauern – nicht überlebt, sagt Menasse, der zum Erscheinen der flämischen Übersetzung für zwei Lesungen hier ist.
Menasse hat Brüssel und die EU genau studiert, ist in die Verästelungen der Stadt und der Institutionen eingedrungen und erzählt gern darüber: dass kaum ein Europäer ein Bild von der EU-Hauptstadt habe, außer dass sie hässlich sei; dass in Europas Geschichte noch nie eine einzige Stadt so sehr das Leben der Europäer bestimmt habe.
Das war auch der Grund, warum er 2010 nach Brüssel aufgebrochen ist, um ein Buch darüber zu schreiben. Das erste überhaupt, das im aktuellen EU-Umfeld spielt – mit bis zur Kenntlichkeit beschriebenen EU-Beamten, Krimi-Elementen, einem Schwein, einem HolocaustÜberlebenden und am Ende einem Terroranschlag in genau der Metrostation, in der 2016 tatsächlich einer stattfand. Aus den geplanten vier Wochen wurden mehr als sechs Jahre und drei Bücher, samt Bekehrung vom ahnungslosen Skeptiker zum EU-Vorkämpfer, der heute von Kongress zu Vortrag reist, meist mit „wahnsinnigem Publikumszulauf“. Brüssel habe etwas Labormäßiges, sagt der 63-jährige promovierte Germanist und Philosoph bei Cappuccino und Croissant. Mit seinen 19 Bürgermeistern sei es eine Miniaturausgabe des Europäischen Rates. Wie überhaupt die belgische Hauptstadt aus seiner Sicht ideal für den EU-Sitz sei, weil Belgien keine Nationsidee habe. Die Nationalstaaten sind für Menasse das wahre Problem der EU, denn sie und der von ihnen befeuerte Nationalismus unterminierten die europäische Integration. Stattdessen sollten die rund 400 Regionen in Europa – Bundesländer, Provinzen, Städte etc. die neue EU bilden. Das ist auch in den Europabüchern von Menasse die „idée fixe“, gegen die er keine Einwände gelten lässt.
Sein Befund fällt entsprechend negativ aus. „Seit Jahren macht die EU einen Rückschritt nach dem anderen“, sagt er. Große Fragen wie die Migrationspolitik würden „nicht einmal mehr diskutiert“. Menasse macht gern unkonventionelle Vorschläge („Ich würde die nordafrikanischen Staaten aufnehmen – und Israel“), urteilt hart („Ich glaube nicht, dass Angela Merkel weiß, dass es ein Ziel gibt, auf das man zugehen muss, wie lange es auch dauert“) und teilt gern aus, vor allem gegen alles, was von rechts kommt.
Dass über sein Buch in Brüssel auch kritisch diskutiert wird, kann er nicht nachvollziehen. Er habe viel Post von Kommissionsbeamten bekommen, die sich bedankten, dass sie jemand als Menschen dargestellt habe, sagt Menasse.
Das Interesse an den Lesungen in Brüssel war jedenfalls enorm. Im Herbst wird „Die Hauptstadt“auf Französisch, Anfang 2019 auf Englisch erscheinen. Insgesamt seien 24 Lizenzen verkauft worden, berichtet der Autor sichtlich stolz, darunter auch für China.
Ein neues Buch habe er als Idee im Kopf, aber keine Zeit, daran zu arbeiten, sagt Menasse (dessen Schwester Eva ebenfalls schreibt und zuletzt den Österreichischen Buchpreis bekommen hat).
Ob es die Europa-Idee ohne Schriftsteller gar nicht gegeben hätte, wie Heinrich Mann einmal gesagt hat? Erst als das Europa, wie es Mann und auch Stefan Zweig gekannt hatten, zerstört war, „konnte es wieder als Idee formuliert werden“, sagt Menasse und drückt die zehnte „American Spirit“aus.
„Ich würde Israel und die nordafrikanischen Staaten in die EU aufnehmen.“