Recht auf drittes Geschlecht
Der Verfassungsgerichtshof prüft, ob die zwingende Angabe des männlichen oder weiblichen Geschlechts rechtens ist.
„Weiblich“oder „Männlich“– das war’s? Geht es nach dem Verfassungsgerichtshof (VfGH), dann: nein. Der Geschlechterkategorisierung könnte somit schon bald ein dritter Begriff hinzugefügt werden.
Das Höchstgericht äußerte in einem aktuellen Prüfungsbeschluss Bedenken, „dass es gegen den grundrechtlichen Schutz der Privatsphäre verstoßen könnte, wenn es nur die Möglichkeit gibt, das Geschlecht weiblich oder männlich anzugeben“. Eine Entscheidung des Gerichtshofs über diese Frage sei „in einer der nächsten Sessionen“zu erwarten, hieß es seitens des VfGH am Montag. Man werde also prüfen, ob es rechtens sei, wenn das Geschlecht zwingend als weiblich oder männlich anzugeben sei –, oder es ein Recht auf ein „drittes Geschlecht“geben müsste.
Anlass ist die Beschwerde einer Person, die erfolglos versuchte, ihren Geschlechtseintrag im Zentralen Personenstandsregister (ZPR) auf „inter“oder eine andere ähnliche Formulierung abändern zu lassen. Seitens des VfGH verweist man nun darauf, dass die Geschlechtsmerkmale eines Menschen durch eine „atypische Entwicklung des chromosomalen, anatomischen oder hormonellen Geschlechts“gekennzeichnet sein können, „sodass die Geschlechtsentwicklung mancher Personen Varianten aufweist, die die Einordnung als männlich oder weiblich nicht eindeutig zulassen“. Solche Menschen dürften zudem eine besonders verwundbare („vulnerable“) Gruppe darstellen, so der VfGH – vor allem dann, wenn es sich um Kinder handle.
Bezug nehmen die Höchstrichter dabei auch auf die Europäische Menschenrechtskonvention, die das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens – „und damit das Recht auf individuelle Geschlechtsidentität“– festschreibt. „Es sollte möglich sein, eine geschlechtliche Zuordnung so lang offen zu lassen, bis betroffenen Menschen eine selbstbestimmte Zuordnung möglich ist.“Luan Pertl vom Verein intergeschlechtlicher Menschen Österreich (VIMÖ) begrüßt die Erkenntnis. „Für uns ist das ein erster Schritt zur Sichtbarmachung und Anerkennung rechtlicher Ansprüche. Es geht aber auch um Respekt und Wertschätzung im Alltag – im Beruf, in der Schule, in sozialen Situationen, im öffentlichen wie im privaten Umfeld. Dort sind Menschen, die aus den klassischen Geschlechtskategorien fallen, oft mit Unwissen, Ablehnung, Zurechtweisung und sogar Gewalt konfrontiert“, bekräftigt Pertl.
Sollte der VfGH das „dritte Geschlecht“anerkennen, würde das mithelfen, „verstärkt Prozesse der Aufklärung und Akzeptanz in der Gesellschaft in Gang zu bringen, sowie dabei helfen, Isolation, Ängste, Schamgefühle und Unsichtbarmachung zu überwinden“, betonte das VIMÖ-Mitglied. Laut einer EU-weiten Statistik sind bis zu 1,79 Prozent der Bevölkerung intergeschlechtlich.