Die kleine blaue Pille wird 20 Jahre alt
Sildenafil ist gegen Höhenangst gut und hält Schnittblumen frisch. Und hilft Männern.
WASHINGTON. Vor 25 Jahren waren Pharmaforscher der Firma Pfizer eigentlich auf der Suche nach einem Medikament gegen Bluthochdruck. Doch als Minenarbeiter in England den Wirkstoff in einer Studie testeten, traten unerwartete Nebenwirkungen zutage: Die Männer berichteten, durchaus erfreut, das Mittel verschaffe ihnen häufigere und längere Erektionen. „Das war der Durchbruch“, erinnert sich der Chemiker David Brown.
Fünf Jahre später, am 27. März 1998, kam der Wirkstoff Sildenafil unter dem Markennamen Viagra in den USA auf den Markt – begleitet von einer fulminanten „Time“-Coverstory mit dem Titel „Die PotenzPille“. Ein halbes Jahr später war sie auch in Europa erhältlich. Seitdem hat die kleine blaue Tablette das Sexleben von zahlreichen Männern – und Frauen – weltweit verändert: Mehr als 64 Millionen Männer schluckten bisher insgesamt über drei Milliarden Pillen, berichtet Pfizer. Das Unternehmen machte Milliardengewinne.
Heute sprechen Experten vom „Viagra-Effekt“– denn mit dem Aufkommen der Tablette trauten sich Männer erstmals im größeren Umfang über ihre Probleme im Bett zu sprechen. Ein Grund dafür: Aus dem Problem Impotenz – für viele Betroffene mit sozialem Stigma und dem Makel des „Nicht-Könnens“versehen – wurde nun sachlicher die erektile Dysfunktion. Ein medizinischer Fachbegriff, mit dem irgendwie einfacher umzugehen war.
Sildenafil verhilft etwa 70 Prozent der Männer mit akuten Problemen zu einer Erektion – aber nicht automatisch, sondern nur, wenn der Mann auch erregt ist. Der Wirkstoff, ein sogenannter PDE-5-Hemmer, blockiert ein Enzym, das die Gefäßerweiterung und verstärkte Durchblutung des Penis in den Schwellkörpern verhindert. In Kombination mit anderen Medikamenten oder für Herzpatienten kann er aber gefährliche Nebenwirkungen haben und ist deshalb in der EU verschreibungspflichtig.
Auch weil es manchmal ganz andere körperliche Gründe hat, dass Männer keine Erektion bekommen, halten Fachärzte eine Abklärung für sinnvoll. Mittlerweile gibt es diverse Konkurrenzprodukte mit ähnlich wirkenden PDE-5-Hemmern sowie eine Vielzahl von Generika – seit 2013 ist der Patentschutz für Viagra in Europa ausgelaufen, Ende 2017 auch in den USA.
Könnte Viagra auch der Frau helfen? Laut Studien wirkt Sildenafil auch auf weibliche Geschlechtsteile. Eine Zulassung gibt es für Frauen aber nicht. Nach Auffassung von Experten sind die Ursachen für Sexualitäts-Störungen bei Frauen auch wesentlich komplexer. Das 2015 mit großem Paukenschlag auf den US-Markt gebrachte „Pink Viagra“(Flibanserin) versuchte, diesen „Sex, der im Kopf beginnt“anzustacheln – mit minimalem Erfolg, dafür mit jeder Menge Nebenwirkungen.