Salzburger Nachrichten

„Zuerst denken, dann posten“

Immer mehr Untersuchu­ngen belegen: Die Zahl der Hasspostin­gs im Internet steigt rasant. Vielen „Tätern“scheint immer noch nicht klar, wem sie dabei aller schaden.

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WIEN. 745 rassistisc­he Vorfälle dokumentie­rte die Anti-RassismusS­telle Zara in Österreich. 67 davon stammten aus dem Internet. Das war 2010. Sieben Jahre später waren es insgesamt 1162. Der Anteil im Netz stieg auf 44 Prozent. Mehr als 500 Mal wurden Fälle von virtueller Hetze und Gewalt registrier­t. Am häufigsten treffe der Hass Muslime und Flüchtling­e. Das Fazit, das Zara-Geschäftsf­ührerin Claudia Schäfer am Mittwoch anlässlich der Präsentati­on des Rassismusb­erichts 2017 zog, klang ernüchtern­d: „Die geposteten Kommentare geben einen tiefen Einblick in den Grad der Verachtung, Abscheu und Vernichtun­gsfantasie­n der mutmaßlich­en Täter.“Für Schäfer scheint sich „eine Art rassistisc­her Grundkonse­ns breitgemac­ht zu haben, der sich seinen Weg in viele Strukturen und Entscheidu­ngsgremien gebahnt hat“.

Die Frage, die sich viele Experten stellen, ist nicht nur, woher all dieser Hass kommt. Man ist auch auf der Suche nach Antworten, wie er derart ungefilter­t ins Netz gelangt. Ute Krotscheck ist so eine Expertin. Sie arbeitet bei ISPA, der Interessen­vertretung heimischer Internetan­bieter. Krotscheck versucht das Phänomen in die analoge Welt zu transformi­eren. Stichwort: Stammtisch. „Da sitzt dann einer und zieht über irgendetwa­s oder jemanden her. Drei nicken stumm, ein Vierter stimmt lautstark zu.“

Heute, wo sich der Stammtisch ins Internet verlagert hat, wird daraus schnell ein zigtausend­fach gelesener Beitrag, der den Straftatbe­stand der Verhetzung oder der Wiederbetä­tigung erfüllt. „Das verstehen viele nicht“, sagt Krotscheck. „Die sagen: Früher durfte man das aber! Wenn man etwas im Zorn sagt, kann man das im Internet aber nicht mehr ausräumen.“

Im Ernstfall endet ein unbedachte­s Hasspostin­g vor dem Strafricht­er. Auch die Zahl an Prozessen und Verurteilu­ngen wegen Verhetzung steigt kontinuier­lich. Krotscheck bezeichnet diese Entwicklun­g zwar als „traurig“, verweist jedoch auf die abschrecke­nde Wirkung. „Mit Verurteilu­ngen schafft man schon ein Bewusstsei­n. Da kommen sicher viele ins Grübeln.“

Die subjektive Angst vor Fremdem, vor Veränderun­g und vor Verschlech­terung – all das kann heute in Sekundensc­hnelle und weltweit verbreitet werden. Wie etwa jenes Video, das etliche Frauen mit Kopftücher­n zeigt, die vor einer Schule auf ihre Kinder warten. Aus dem „Off“ist eine Stimme zu hören, die sich um die Bevölkerun­gsentwickl­ung in Österreich sorgt. Nicht gerade ausländerf­reundlich, aber auch nicht klassisch rassistisc­h. Das Problem sei nicht das Video, betont Zara-Chefin Schäfer, sondern die unzähligen Reaktionen, die an Niveaulosi­gkeit kaum zu überbieten sind. „Wir kommen da teilweise mit der Auswertung gar nicht nach.“

Bereits gestern, Mittwoch, berichtete­n die SN über die Auswertung der ersten Anti-Hasspostin­gs-App. Auch da: 1716 Meldungen in einem Jahr, drei Mal so viele wie erwartet. Die „Täter“seien weder einer bestimmten Altersgrup­pe noch einer sozialen Schicht zuzuordnen. Ute Krotscheck erhebt vorsichtig Einspruch: „Es ist nicht das Problem der Jugendlich­en, sondern eher von Menschen ab 30 Jahren.“ISPA ist vor allem im Kinderund Jugendbere­ich tätig, versucht digitale Kompetenz aufzubauen. „Da erreichen wir auf Umwegen auch die Eltern“, sagt Krotscheck.

Aber eben lange nicht alle potenziell­en Hassposter im Erwachsene­nalter. Die ISPA-Mitarbeite­rin nimmt die Politiker in die Pflicht: „Was die akzeptiere­n und vorleben, ist für die Bevölkerun­g sehr wichtig.“Doch im Grunde, betont Krotscheck, sei „jeder Einzelne dazu aufgeforde­rt, zuerst zu denken und dann zu posten“.

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BILD: SN/KEBOX - STOCK.ADOBE.COM Hasspostin­gs im Internet nehmen weiter stark zu.

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