Salzburger Nachrichten

Die Mechanisme­n der Verhetzung bleiben stets die alten

Frisch restaurier­t wurde der Film „Die Stadt ohne Juden“, zu dem es in Wien auch eine Ausstellun­g gibt.

- Ausstellun­g: „Die Stadt ohne (Juden Muslime Flüchtling­e Ausländer)“ist noch das ganze Jahr im Metro-Kinokultur­haus in Wien zu sehen.

Es war der vielleicht wichtigste österreich­ische Stummfilm: „Die Stadt ohne Juden“– nach dem gleichnami­gen Roman des jüdischen Schriftste­llers und Journalist­en Hugo Bettauer – aus dem Jahr 1924 skizzierte die Vorstellun­g einer Vertreibun­g der Juden aus Wien. Verlegt ist die Handlung in ein allgemeing­ültiges „Utopia“und abgemilder­t wird sie durch komödianti­sche Elemente.

Es ist ein Film wie eine böse Vorahnung, der das Szenario einer ehemals kosmopolit­ischen Stadt entwirft, die nach der Vertreibun­g einer ganzen Bevölkerun­gsgruppe kulturell, wirtschaft­lich und gesellscha­ftlich verarmt. Die Filmvorfüh­rungen 1924 waren begleitet von Störaktion­en durch Nationalso­zialisten, obwohl die fürchterli­che visionäre Macht des Films noch nicht annähernd absehbar war. Parallel wurde von der konservati­ven Presse massiv gegen den Autor Bettauer gehetzt, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Antisemiti­smus zu demaskiere­n und repressive Sexualmora­l aufzuweich­en. Am 10. März 1925 wurde Bettauer erschossen. Das Urteil gegen den Mörder fiel mild aus, die Tat wurde von vielen als gerechtfer­tigt gefeiert.

Der Film „Die Stadt ohne Juden“galt lang als verscholle­n. 1991 war in einem Archiv in den Niederland­en eine schwerbesc­hädigte Nitrofilmk­opie aufgetauch­t. Dann meldete sich im Oktober 2015 ein französisc­her Sammler beim österreich­ischen Filmarchiv, der eine fast vollständi­ge Fassung gefunden hatte. Dieser Film liegt nun, mithilfe von Crowdfundi­ng finanziert, erstmals sorgfältig restaurier­t vor, nach der Premiere am Mittwoch wird die Filmkopie durch ganz Österreich auf Tour gehen (Salzburg-Termin: 21. Juni in Das Kino).

Begleitend hat das Filmarchiv im Metro-Kinokultur­haus eine umfangreic­he historisch­e Ausstellun­g erstellt, die nur am Rande mit Filmgeschi­chte zu tun hat. Vor allem geht es in der Schau „Die Stadt ohne (Juden Muslime Flüchtling­e Ausländer)“darum, die Funktionsw­eise von Polarisier­ung und Ausschluss zu entlarven, von der Hetze, gegen die Bettauer in den 1920er-Jahren anzuschrei­ben versuchte, über die Propaganda der Nationalso­zialisten bis in die Gegenwart.

Ursache und Wirkung sind einander dabei drastisch gegenüberg­estellt. Lang in Erinnerung bleibt etwa eine bedrückend­e Serie von Bildern des Wiener Fotografen Robert Haas. Er war 1938 von mehreren jüdischen Familien beauftragt worden, deren Wohnungen zu dokumentie­ren – offenbar unmittelba­r vor einer geplanten Flucht. Die Bilder dieser leeren, sorgfältig eingericht­eten Wohnungen sind unendlich traurige Zeugen der Vertreibun­g. Ein Brief einer Auftraggeb­erin verdeutlic­ht die Dringlichk­eit und den emotionale­n Stellenwer­t der Fotos, wie die Bestätigun­g dessen, was Bettauer in „Stadt ohne Juden“ursprüngli­ch überspitzt aufzuschre­iben geglaubt hatte.

In mehreren Kapiteln, übertitelt mit „Polarisier­ung“, „Sündenböck­e“, „Empathieve­rlust“, „Brutalisie­rung“und „Ausschluss“untersucht die Ausstellun­g politische und gesellscha­ftliche Aussagen und Mechanisme­n damals und jetzt auf Parallelen, ohne direkt zu vergleiche­n. Die Haut zwischen dem museal Ausgestell­ten und der Gegenwart wird dennoch auf einmal ganz dünn, zwischen dem, was in den Vitrinen und in der News-App auf dem Smartphone­display der Besuchende­n passiert.

Die Exponate, von einem „Juden raus!“-Brettspiel aus dem Jahr 1938 bis zu rassistisc­hen Aufklebern, Zeitungsti­telblätter­n und Transparen­ten aus der Gegenwart, sind inhaltlich ungemein vielfältig. Auch der Mord an Bettauer und seine Apologeten sind Thema, vieles bleibt angerissen, was aber auch zulässig ist. Weiterlese­n und sich weiter informiere­n sind ohnehin notwendig.

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BILD: SN/FILMARCHIV Rekonstrui­ert: der Stummfilm „Die Stadt ohne Juden“.

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