Eine Russin bringt politische Kunst
Die neue Intendantin des steirischen herbsts beginnt mit dem Motto „Volksfronten“und erforscht Konflikte, Allianzen und Polaritäten.
GRAZ. „Der steirische herbst ist ein Festival, das sich jedes Jahr neu erfindet“: Dieser kulturpolitische Stehsatz aus den vergangenen Jahren wird heuer definitiv zur wahren Aussage. Mit der neuen herbstIntendantin Ekaterina Degot ändern sich nicht nur Logo und das äußere Erscheinungsbild des 1968 von Hanns Koren gegründeten Festivals für Gegenwartskunst. Die 59jährige Moskauerin verpasst dem herbst auch strukturelle und inhaltliche Reformen. Die mit einem weitgehend neuen Kuratorenteam antretende Intendantin stellt ihr Premierenfestival, das vom 20. September bis 14. Oktober über die Bühne gehen wird, unter das Motto „Volksfronten“.
Ekaterina Degot versteht das traditionelle Mehrspartenfestival als eine „umfassende Ausstellung“, die zumindest im heurigen „Zwischenjahr“weitgehend auf Graz beschränkt sein wird. „Einer meiner Schlüsselbegriffe ist Interdisziplinarität, eigens in Auftrag gegebene Performances, Theaterstücke, Konzerte, Installationen und Filme werden einen Parcours bilden“, berichtet die Russin über ihre Pläne. Traditionelle Kategorisierungen – etwa Theater, Musik und bildende Kunst – wolle sie vermeiden, sagte Degot, die den Fokus auf Zentral- und Osteuropa intensivieren möchte und damit auch den in der herbst-Historie wichtigen trigon-Gedanken aufgreift. Diese Dreiländer-Biennale hatte ab 1963 das aktuelle Kunstschaffen von Italien, Jugoslawien und Österreich zusammengefasst.
Das Überthema „Volksfronten“beziehe sich, so Degot, auf höchst unterschiedliche Kontexte: etwa die antifaschistische Solidarität der 1930er-Jahre, die linke Plattform einiger europäischer Länder nach dem Krieg sowie auf eine ultrarech- te nationalistische Gruppe in den USA: „Es geht also um Konflikte, Koalitionen und Allianzen, um alte wie aktuelle ideologische Konflikte, um das Hinterfragen von Polaritäten wie rechts/links, archaisch/progressiv oder nationalistisch/kosmopolitisch.“Als zweiten Schlüsselbegriff nannte die 59-Jährige die „Recherche“: „Das Festival hat eine internationale Ausrichtung, aber die Erforschung lokaler Ereignisse ist mir auch sehr wichtig.“
Im steirischen herbst unter Ekaterina Degot wird es neben einem kuratierten Kernprogramm Beiträge der langjährigen Mitveranstalter geben. Das soll „die Vielfalt des Grazer Kunstlebens“betonen. Mit der stellvertretenden Intendantin Henriette Gallus und dem kuratorischen Leiter Christoph Platz hat Degot zwei ehemalige documenta-Mitarbeiter mit ins Boot geholt. Im elfköpfigen Leitungskollektiv ist auch der Autor und Kurator Georg Schöllhammer vertreten. Für das neue Erscheinungsbild zeichnet das slowenische Designerkollektiv Grupa Ee verantwortlich: Die neue Wortmarke (steirischerherbst) ist zu einem Begriff zusammengefasst und durchgestrichen: ein radikales Symbol für einen Neuanfang.