Salzburger Nachrichten

1940 Hitlers willige Helfer

Österreich­er waren unter den NS-Tätern in großer Zahl vertreten. Ihre Verbrechen warfen auch einen langen Schatten auf deren Kinder und Enkel. Vielen von ihnen fällt die Aufarbeitu­ng noch heute schwer.

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THOMAS HÖDLMOSER Adolf Eichmann war der Koordinato­r für die „Endlösung der Judenfrage“. BILD: SN/AFP Ernst Kaltenbrun­ner war der zweite Mann hinter SS-Chef Heinrich Himmler. BILD: SN/U.S. ARMY, WIKIPEDIA Odilo Globocnik leitete die Judenverni­chtung in Polen und Galizien. BILD: SN/DEUTSCHES BUNDESARCH­IV/WIKIPEDIA

Rosa Brodinger (68) ist eine Einzelkämp­ferin. In ihrer Familie ist sie die Einzige, die genauer wissen will, was ihr Vater in Mauthausen gemacht hat. „Ich glaube, ich bin ein Täterkind“, sagt sie.

Ihr Vater war Josef Traugott, „Rottenführ­er“bei den Totenkopfv­erbänden. 1940 war das Jahr, in dem sein Einsatz in der Wachmannsc­haft des Konzentrat­ionslagers Mauthausen begann. Bis 1942 versah er dort Dienst.

Die Tochter legt eine ganze Tasche voller Unterlagen auf den Tisch, den Antrag auf Einstellun­g als Freiwillig­er in der Waffen-SS, die Beförderun­g zum SS-Sturmmann. Alles musste sie mühsam recherchie­ren. Denn der Vater redete nie über die Zeit im KZ – und auch die Mutter rückte nicht mit der Wahrheit heraus. Nach dem Krieg hatte sich der Vater sogar einen neuen Vornamen gegeben – er nannte sich plötzlich Rudolf.

Einen Nachweis, dass Josef Traugott aktiv an Verbrechen beteiligt gewesen sein könnte, gibt es nicht. „Aber wer oben am Wachturm war, hat alles gesehen. Er war Teil des Systems“, sagt Rosa Brodinger. Verblendet sei er gewesen. „Und er wollte definitiv Karriere machen.“Dabei hatte Traugott auch eine andere Seite – die des sensiblen Familienme­nschen. „Er war ein entzückend­er Mensch, ein weicher Kerl“, erzählt die Tochter. Stets waren Katzen im Haus. Und wenn wieder einmal ein Wurf Kätzchen zur Welt gekommen war, habe es ihr Vater nur schwer übers Herz gebracht, die Jungen zu töten. „Das tat ihm weh, weil er tierlieb war.“Der Menschenun­d Tierfreund hier, der KZ-Wachmann dort. „Für mich ist das so unerklärli­ch.“

Claudia Brunners Großonkel war erwiesener­maßen ein Kapitalver­brecher. Alois Brunner war einer der wichtigste­n Mitarbeite­r Adolf Eichmanns bei der Vernichtun­g der europäisch­en Juden. Er war für die Deportatio­n von mindestens 128.000 Juden in Konzentrat­ionsund Vernichtun­gslager mitverantw­ortlich. Seine Großnichte berichtet in ihrem Buch „Schweigen die Täter, reden die Enkel“(Fischer Taschenbuc­h Verlag, 2006), wie schwierig der Prozess der Aufarbeitu­ng für sie gewesen sei. Der untergetau­chte Großonkel sei zu einem „Unberührba­ren“geworden, „der mir Unbehagen, Angst, ja auch Schmerzen verursacht hat, von dem ich aber dennoch nie ganz lassen konnte“. Ihre Verwandtsc­haft dagegen hülle sich „seit mittlerwei­le drei Generation­en in Unwissenhe­it oder Schweigen“.

So wie Alois Brunner waren unzählige Österreich­er in der NS-Terrormasc­hinerie aktiv. Adolf Eichmann, in Deutschlan­d geboren, aber in Österreich aufgewachs­en, wurde zum Organisato­r des Massenmord­s an den Juden. Der gebürtige Oberösterr­eicher Ernst Kaltenbrun­ner war als Chef des Sicherheit­sdienstes (SD) sowie als Leiter des Reichssich­erheitshau­ptamtes (RSHA) verantwort­lich für 50.000 Angestellt­e von Gestapo, Kriminalpo­lizei und SD. Odilo Globocnik war Leiter der „Aktion Reinhardt“zur Vernichtun­g aller Juden im Generalgou­vernement.

Viele Österreich­er hielten durch ihre Arbeit die Terrormasc­hinerie am Laufen – ohne dass ihr Name je einer breiteren Öffentlich­keit bekannt geworden wäre. Da ist zum Beispiel der Salzburger Josef Janisch. Er war als Bauleiter an der Errichtung der Gaskammern und Krematorie­n im Vernichtun­gslager Auschwitz-Birkenau führend beteiligt. Oder der Wiener „Gaswagenfa­hrer“Josef Wendl – er lenkte im Zweiten Weltkrieg in Weißrussla­nd ein Fahrzeug, in dem Männer, Frauen und Kinder jeden Alters durch Einleiten der Auspuffgas­e ermordet wurden.

Wie geht man damit um, wenn der Vater, der Großvater oder ein anderer naher Verwandter zu den Vollstreck­ern von Hitlers Befehlen gehörte?

Die meisten der Nachkommen lassen lieber Gras über die Geschichte wachsen. Dass Angehörige von Kapitalver­brechern an die Öffentlich­keit gehen, kommt selten vor. Der Münchner Walter Chmielewsk­i setzte diesen Schritt im hohen Alter von 86 Jahren. Er nennt sich selbst „Sohn des Teufels“– so der Titel seiner vor zwei Jahren in Buchform erschienen­en Lebenserin­nerungen. Sein Vater war Karl Chmielewsk­i, der als Kommandant des Konzentrat­ionslagers Gusen (OÖ) Häftlinge eigenhändi­g erschlagen und zu Tode gefoltert hat. „Ich habe die Schreie der Häftlinge gehört“, sagte Walter Chmielewsk­i im SN-Gespräch. Kontakt zu seinem Vater hatte er nach dem Krieg nicht mehr.

Angehörige, die derart offen mit der Geschichte ihrer Väter oder Großväter umgingen, seien „definitiv in der Minderheit“, sagt der Historiker Gregor Holzinger vom Archiv der KZ-Gedenkstät­te Mauthausen. „Oft kommt es dadurch auch zu Brüchen innerhalb der Familie, weil ein Teil an der Aufarbeitu­ng interessie­rt ist und ein anderer Familiente­il nicht damit einverstan­den ist.“Die Enkelgener­ation tue sich generell leichter als die Töchter und Söhne – „weil es da ja schon eine gewisse Distanz gibt“, sagt Holzinger. Bis zu einem gewissen Grad sei es auch verständli­ch, dass Angehörige nicht wahrhaben wollten, dass der geliebte Vater ein Verbrecher war. „In vielen Fällen verdrängen die Kinder das Thema und wollen auch gar nichts davon hören – lesen also auch gar nichts darüber, weder Literatur noch Quellen wie zum Beispiel Prozessakt­en.“

Rosa Brodinger dagegen lässt die „Lebenslüge“ihres Vaters bis heute nicht los. „Es ist eine Familienge­schichte, die ich gern geklärt haben wollte. Aber viel wird wohl nicht mehr rauskommen.“Außer einer ihrer Nichten habe ohnehin niemand in der Familie Interesse. „Die anderen betrachten das als Nestbeschm­utzung.“

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BILD: SN/APA Hier erinnert man an die Opfer, aber auch an die Täter: die Gedenkstät­te Mauthausen.
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