Ferrari fordert von Vettel Erfolge
Seit vier Jahren fährt Ferrari mit dem Deutschen einem WM-Titel hinterher. Vettel gibt sich vor dem Start in Melbourne zuversichtlich, aber die Scuderia steht schon in der Kritik.
Sebastian Vettel will endlich Weltmeister werden. In Rot. Nach vier Titeln mit Red Bull (2010–13) kommt der 30-jährige Hesse langsam, aber sicher unter Druck. Auch wenn er auf ein Vorbild verweisen kann, das erst im fünften Jahr bei Ferrari zuschlagen konnte: Michael Schumacher 2000. Dass es bei ihm nicht schon ein Jahr zuvor klappte, war seinem Beinbruch in Silverstone mit mehrmonatiger Zwangspause zuzuschreiben.
Natürlich will Vettel von Vergleichen dieser Art nichts wissen. Er schaue nach vorn, und er sei optimistisch, betont er. Immer wieder. Nach den Wintertests in Barcelona, von denen die erste Hälfte wegen des Schlechtwetters keine brauchbaren Daten, aber Standfestigkeitshinweise lieferte, setzten Vettel und sein Langzeitkollege Kimi Räikkönen zum Abschluss die Maßstäbe, was die Zeitenliste betraf. Die logischen Rivalen Mercedes und Red Bull fokussierten ihre Arbeit auf Long-runs, in denen Renndistanzen simuliert werden sollten, und verzichteten dabei auf die besonders weichen Reifenmischungen – die Ferrari beim Erzielen der Topzeiten aufgezogen hatte. „Unsere Rivalen fuhren die Long-runs mit nur einer Reifenmischung, was in einem Rennen nicht möglich ist. Wir wissen daher nichts über ihre Form auf weicheren Reifen. Die aber beeinflussen die Strategie und am Ende das Ergebnis“, gab Vettel zu bedenken.
„Wir beginnen in Melbourne am Wochenende von einer soliden Basis, sind nicht hinter der Konkurrenz. Jetzt geht es um rasche Entwicklung Gerhard Kuntschik berichtet für die SN aus Melbourne und ums Ausloten des Potenzials unseres neuen Wagens“, resümierte der Deutsche. Warum Vettel zuversichtlich ist? „Ich konnte an einem Tag 188 Runden oder 875 Kilometer ohne Probleme abspulen. Insgesamt fuhren wir über 4300 Kilometer. Wir hatten dabei keine Defekte – aber sehr viel Spaß beim Fahren“, analysierte er. Was zur wichtigsten Aussage für Italiens Tifosi und die Medien führte: „Ich habe volles Vertrauen in mein Team.“Ferrari wisse, wo man nach der vergangenen Saison „die Schrauben zu Verbesserungen drehen muss“.
Doch einen Saisonstart in aller Ruhe und ohne Störgeräusche kann es wohl nicht geben, zumindest nicht rund um die Italiener. So brachte sich auch Ferrari-Präsident und Fiat-Chrysler-Konzernboss Sergio Marchionne mit einer neuerlichen Drohung ins Spiel, Ferrari könnte die Formel 1 sofort verlassen, wenn das künftige Reglement (ab 2021) nicht genehm sei. Während der große Teil der Formel 1 auf Marchionnes Wortspenden kaum noch reagiert, nimmt ihn MercedesSportchef Toto Wolff diesmal sehr ernst: „Wir sollten Marchionne nicht provozieren. Die Formel 1 braucht Ferrari mehr als Ferrari die Formel 1.“Nun ja, wenn es um das Verhindern von neuen Antriebsregelungen (in Richtung vereinfachter Hybridsysteme, die „unabhängige“Hersteller anziehen könnten) geht, sind der Stern und das Springende Pferd ein Herz und eine Seele. „Wenn er keinen Wert für sein Unternehmen in der Formel 1 mehr sieht, wird er den Stecker ziehen“, vermutet der Wiener.
Vor dem Saisonstart in Australien warnt aber auch der neunfache GP-Sieger Mark Webber vor seinem Heimrennen (in dem er nun als Mit- glied des GP-Ausrichters AGPC sowie TV-Kommentator und nicht mehr als Pilot dabei ist): „Ein Ausstieg Ferraris nach 2020 wäre möglich, wenn Marchionne zu sehr verärgert wird. Aber auch er weiß, dass Ferrari die Formel-1-Bühne braucht, um Eigenwerbung zu machen.“
Marchionnes offensichtlicher Unmut entspringt der Furcht vor dem Verlust von Privilegien: FIAPräsident Jean Todt (einst Ferraris Teamchef!) meinte, das Vetorecht der Scuderia in diversen Gremien sei nicht mehr zeitgemäß. Und der Lenker des Teams in der Ära Schumacher meinte sogar trocken: „Ferrari steht es frei, jedwede Entscheidung zu treffen.“Dem neuen F1Vermarkter Liberty stoßen wiederum die 100 Millionen Dollar Sonderzahlungen an Ferrari, mit denen Vorgänger Bernie Ecclestone die Italiener an die Formel 1 kettete, längst auf.
Dass nun Laurent Mekies, der stellvertretende Rennleiter und oberste Sicherheitschef der FIA, den Weltverband verlässt und bei Ferrari anheuert, stößt hingegen der gesamten Konkurrenz auf. Erst im Vorjahr löste der umstrittene Absprung des FIA-Technikers (und Datenkenners) Marcin Budkowski zu Renault heftige Kritik aus – und die Vereinbarung, dass solche Wechsel hinkünftig eine zwölfmonatige „Sperre“nach sich zögen. Mekies, der früher bei Toro Rosso arbeitete und Ende 2014 zur FIA ging, soll aber schon in einem halben Jahr für Ferrari arbeiten dürfen.
Die Saison beginnt nicht nur spannend, sondern auch – erwartungsgemäß? – mit Querschlägern.