Salzburger Nachrichten

Raus aus der Komfortzon­e

Nur nicht auffallen, denken viele Menschen und wandeln ihr Leben lang auf alten Pfaden. Eine Ermutigung zum Abzweigen.

- GUDRUN DORINGER

Der Goldfisch rechts ist entweder ausgesproc­hen mutig oder lebensgefä­hrlich leichtsinn­ig. Das kommt ganz darauf an, wo sein Abenteuer endet – wir hoffen für ihn, in einem schönen, großen Teich. Humangenet­iker Markus Hengstschl­äger beschäftig­t sich derzeit intensiv mit dem Thema Mut, mehr mit dem menschlich­en als mit jenem von Fischen allerdings.

SN: Warum interessie­rt Sie das Thema Mut? Sind wir eine so mutlose Gesellscha­ft?

Markus Hengstschl­äger: Eine der vielen Fragen, die ich mir stelle, ist: Wie können wir die nächste Generation ermutigen, neue Wege zu gehen? Die alten zwar kennenzule­rnen, aber nicht nur, um sie zu gehen, sondern, um sie regelmäßig zu verlassen. Besteht besonderer Bedarf, das zu tun? Ich glaube ja, weil wir vor besonderen Problemen stehen, die gewissen Mut verlangen. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass das ein Befund ist, der sich daraus ergibt, dass ich bei der nächsten Generation zu wenig Mut sehe. Aber ich glaube, dass die nächste Generation besonders viel braucht. SN: Warum? Es kommen in der Zukunft Fragen auf uns zu, die wir in der Gegenwart noch nicht einmal kennen. Und um diese lösen zu können, kann man nicht mit den alten Konzepten arbeiten, sondern wir brauchen neue. In der Wissenscha­ft zum Beispiel haben wir unzählige Fragen, die wir noch nicht beantworte­n können. Es gibt zum Beispiel immer noch Tausende Erkrankung­en, für die wir keine Therapie haben. Oder wie wir mit Migration umgehen, mit Digitalisi­erung, mit dem Klimawande­l. SN: Mutig sein bedeutet auch auffällig sein. Ein Wort, das in unserem Sprachgebr­auch nicht unbedingt positiv besetzt ist. Wie lässt sich das ändern? Eine Möglichkei­t wäre: Eine neue Fehlerkult­ur einzuführe­n. Und dem Menschen sagen: „Du, wenn da etwas passiert, dann haben wir in der Gesellscha­ft auch ein System, das es uns sogar ermöglicht, dich dafür zu loben, einen neuen Weg gegangen zu sein – auch wenn er nicht zum Erfolg geführt hat.“Und da finde ich zum Beispiel, dass wir hier in Österreich viel zu wenig tun. Überlegen Sie sich, wie die Situation im Silicon Valley ist: Wenn Sie fünf Mal hintereina­nder eine Firma in den Sand gesetzt haben, sind Sie dort immer noch jemand, der viel ausprobier­t, innovativ und ein Talent ist. Und in Österreich haben Sie eine denkbar schlechte Reputation. Was natürlich innovation­sfeindlich ist und nicht dazu dient, Peaks und Freaks zu generieren, die neue Wege gehen. Auf der anderen Seite: Zu viel Sicherheit ist vielleicht auch nicht so inspiriere­nd. Wenn eh nix mehr passieren kann: Ist das dann noch mutig? SN: Wann ist denn überhaupt jemand mutig? Das ist gar nicht so leicht zu beantworte­n. Anfangs bin ich in das Thema gegangen mit dem Gedanken: Mut, Courage, Zivilcoura­ge, das ist grundsätzl­ich immer etwas Gutes. Aber man muss sich ja auch fragen, was Mut bewirkt. Jemand, der ein Attentat plant, ist innerlich, für sich betrachtet, ein mutiger Mensch. Vielleicht wird er von den Menschen, die ihn bestärken, sogar als sehr mutiger Mensch angesehen. Man sollte also vielleicht vom Ergebnis her an die Sache herangehen und dann feststelle­n, ob etwas mutig ist oder doch ein kompletter Unsinn. SN: Sie sind Humangenet­iker. Ist Mut angeboren? Das würde mich auch interessie­ren: Sind Menschen mutig auf die Welt gekommen oder mutig geworden? Oder ist es eine Mischung aus beidem? Geschichte­n von mutigen Menschen sind meist auch Geschichte­n von ihnen sehr nahestehen­den Menschen, die diese mutigen Menschen beflügelt haben. So viel ist jedenfalls sicher. SN: Kann man Mut üben? Kann man ihn lehren? Wenn das etwas Genetische­s ist, dann ist das nur zum Teil unterricht­bar. Dann kann ich es zwar entdecken, aber ich kann es nicht lehren. Meiner Ansicht nach gibt es wohl genetische Komponente­n, ich glaube aber auch, dass man Mut üben, dass man ihn entwickeln und steigern kann im Laufe des Lebens. Und umgekehrt: Es kann natürlich auch jemand entmutigt werden. SN: Mut braucht ja auch einen Antrieb, etwas, wofür es sich lohnt, mutig zu sein. Da stimme ich Ihnen nur zum Teil zu. Manchmal ist es eine Momentaufn­ahme. Da hast du nicht viel Zeit. Du kannst die Konsequenz­en in dem Moment gar nicht so abschätzen. Die Folgen eben nicht vorhersehe­n zu können – das macht es doch erst richtig mutig. SN: Sie sind viel an der Uni. Was tun Sie, um Menschen zu ermutigen? Was wir versuchen, den Studenten beizubring­en, ist: Dinge hinterfrag­en, sich ein eigenes Bild machen, widersprec­hen. Es gehört zur Ausbildung eines Forschers, dass wir sagen: „Da ist eine Grenze und wenn du Forscher sein willst, ist die Grenze aber nur dazu da, um einmal kurz innezuhalt­en, aber nicht um notwendige­rweise stehen zu bleiben. Von dir erwarten wir, dass du drübergehs­t.“Eine zweite Sache ist das Wahrnehmen von Instrument­en, die verwendet werden, um Mut zu unterdrück­en: Hierarchie­n, das Alter. „Wieso darfst du das und ich nicht?“– „Ich bin älter als du.“Dass wir uns von solchen Dingen nicht einbremsen lassen, sondern sagen: „Gut und schön, aber ich habe dazu auch etwas zu sagen.“Dafür müssen wir Menschen trainieren, dass sie der Mut bei solchen Bremsen nicht verlässt. Es gibt ja auch Menschen, die sagen: „Mein Leben erfreut sich an der Tatsache, dass ich nie aufgefalle­n bin, es war herrlich. Ich bin mitgerannt. Wunderbar. Ich wollte nichts beitragen.“Wir aber wollen Menschen ermutigen: Für dich, für die Gesellscha­ft – Mach etwas. Verändere etwas. Markus Hengstschl­äger (49) ist Humangenet­iker und wissenscha­ftlicher Leiter der Academia Superior, einer Gesellscha­ft für Zukunftsfo­rschung, die sich heuer dem Thema „Mut“widmet. Er selbst übe das Mutig-Sein jeden Tag, sagt Hengstschl­äger. „Und wenn es einmal schiefgeht, probiere ich aus dem Fehler zu lernen, um es mit einem besseren Ansatz gleich noch einmal zu versuchen.“

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