Salzburger Nachrichten

Billiges Spiel mit teurer „kalter Progressio­n“

- Helmut Schliessel­berger HELMUT.SCHLIESSEL­BERGER@SN.AT

„Der erste Schritt ist die Abschaffun­g der kalten Progressio­n.“So stand es groß im ÖVPWahlpro­gramm, so tönte Sebastian Kurz im Wahlkampf bei jeder sich bietenden Gelegenhei­t.

Aus dem ersten Schritt ist nun der letzte Schritt vor den nächsten Wahlen geworden – im besten Fall. Zum Ende der Legislatur­periode werde man sich die Abschaffun­g der kalten Progressio­n „noch einmal anschauen“, heißt es jetzt. Der Kanzler kann sich nicht wie beim Raucherthe­ma winden und erklären, dass man in einer Koalition eben Kompromiss­e machen müsse. Denn auch das FPÖ-Wahlprogra­mm war glasklar für die Abschaffun­g.

Nach der Wahl ist eben nicht vor der Wahl – oder gerade doch: Kommt die Abschaffun­g der automatisc­hen Steuererhö­hung nämlich erst kurz vor den nächsten Wahlen, wäre das ein doppelter Coup. Man kann die Wähler – zumindest die vergesslic­hen – mit dem Schmäh von gestern (bzw. von vor fünf Jahren) noch einmal fangen. Dies kann helfen, die Wahl zu gewinnen. Gewinnt man nicht, zahlt das Wahlzucker­l die nächste Regierung, die null Spielraum für politisch gut vermarktba­re Steuerrefo­rmen hat.

Dass aus der Abschaffun­g der kalten Progressio­n längst die eiskalte Prolongati­on geworden ist, ist aus Sicht der Regierung sogar nachvollzi­ehbar. Die kalte Progressio­n ist die einzige Steuererhö­hung, gegen die es im Anlassfall keinen Widerstand gibt, weil sie sich heimlich auf dem Lohnzettel einschleic­ht. Und nur sie ermöglicht es der Politik, den Bürgern mit oft zu selbstgefä­lliger Gönnergest­e Steuerrefo­rmen zu schenken. Die großen Steuerentl­astungen waren de facto fast immer nur eine Rückführun­g der kalten Progressio­n. Auch der Familienbo­nus ist auf diese Art bereits ausfinanzi­ert.

Jedenfalls bis zum Ende der Legislatur­periode – vielleicht auch länger – bleibt die Abschaffun­g dieser schleichen­den Steuererhö­hung nun die Karotte vor der Nase der Wähler, die brav den Steuerkarr­en ziehen. Und denen dabei oft gar nicht bewusst ist, dass sie sich sämtliche als Jahrhunder­tentlastun­g verkauften Steuerzuck­erl immer brav selbst bezahlt haben.

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