Salzburger Nachrichten

„Herr Rupert“ist die wertvollst­e Marke

Der Name des Salzburger „Musterbisc­hofs Rupert“ist weit über die Landesgren­zen hinaus wirksam. Sein Todestag war unter den Historiker­n bisher umstritten. Jetzt gibt es neue Erkenntnis­se für die Datierung.

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„Herr Rupert“ist die wertvollst­e Marke: Der Todestag des Salzburger „Musterbisc­hofs“war bisher umstritten.

SALZBURG. Das Land Salzburg verfügt über wertvolle kulturelle Marken. Angeführt vom unbezahlba­ren Nimbus der „Mozartstad­t“reicht die Palette vom „Stille-Nacht-Lied“über die Festspiele bis zum Film „Sound of Music“, der verlässlic­h Gäste ins Land spült. Seine weitaus älteste und schon deshalb wertvollst­e Marke aber ist der heilige Rupert. Sie zeigt, wie stark Erzählunge­n eine Kulturland­schaft formen und damit Identität stiften können. Salopp formuliert: Wo Rupert draufsteht, ist fast immer Salzburg drin.

Bei der Wiener Ruprechtsk­irche ankerten im Mittelalte­r die Salzschiff­e aus dem Westen, die prachtvoll­e Kirche im slowenisch­en Šentrupert verweist auf Salzburgs zivilisato­rische Pionierrol­le im südslawisc­hen Raum. Und der Rupertiwin­kel erinnert an jenes Drittel des Erzstifts, das 1816 an Bayern fiel. Wohl mehr als jede Kirchenfei­er hält der jährliche Rupertikir­tag den Heiligen in Erinnerung. Wer aber war dieser Mann?

Rupert war kein Niemand, sondern stammte aus der neben den Merowinger­n und Karolinger­n drittvorne­hmsten Familie des Frankenrei­chs: dem Clan der Rupertiner/Robertiner. Ab dem 10. Jahrhunder­t wird er die Königsdyna­stie stellen. Die Quellen sprechen respektvol­l vom „Herrn Rupert“. Jüngere genealogis­che Forschunge­n attestiere­n ihm eine illustre Verwandtsc­haft, die viele Bischöfe und Regionalhe­rren am unteren Rhein sowie im Raum Maastricht stellte.

Einer von ihnen war Bischof Lambert, der sich mit den Mächtigen der Zeit anlegte, was der belgischen Stadt Liège/Lüttich seit 705 einen Märtyrer-Patron beschert. Eine enge Verwandte Ruperts war wohl auch Folchaid, Frau des bayerische­n Herzogs Theodo (gest. um 717). Womit ein Fenster in die raue Welt um 700 geöffnet und eine Brücke gen Süden geschlagen ist. Was hatte Rupert dort zu suchen?

Keine leicht zu beantworte­nde Frage. Nach langem Schweigen beginnen für den Alpen-Donau-Raum erst ab dem achten Jahrhunder­t wieder schriftlic­he Quellen zu fließen. Zu Rupert ist eine mehrteilig­e „Saga“überliefer­t, die Jahrzehnte nach seinem Tod verfasst wurde. Als erster hat wohl der irisch-stämmige gelehrte Salzburger Bischof Virgil († 784) daran gestrickt. Sie präsentier­t uns die literarisc­he Figur des „Musterbisc­hofs Rupert“, der mit dem Herzogshau­s ganz Bayern bekehrt und Motor des Wiederaufb­aus einer Region wird, die die Völkerwand­erung verheert hatte.

Doch Virgil benennt zehn alte Männer als Zeitzeugen. Kein Wunder, dass die Rupert-Saga neben Klischees viele Details liefert, an denen sich Generation­en von Mediäviste­n abarbeiten konnten – zuletzt das Frühmittel­alter-Dreigestir­n Heinz Dopsch († 2014), Karl Forstner († 2018) und Herwig Wolfram (* 1934). Das Ergebnis ist eine Fülle an Versuchen, diese Gründerzei­t Salzburgs zu rekonstrui­eren. Völlig einig wurde man sich nur darin, dass Rupert 696 Bischof von Worms am Rhein war und zwischen damals und 716 die Relikte des antiken Iuvavum so in Schuss brachte, dass daraus die Kirchenmet­ropole Salzburg erwuchs. Aber ist das alles, was zu Rupert zu sagen ist?

Vorweg gilt es fromme Klischees aus dem Weg zu räumen. Die Bajuwaren im Donau-Alpen-Raum waren zur Rupert-Zeit längst Christen und mussten nicht missionier­t werden. Ihre Kinder wurden getauft; ihre Toten nicht mehr in Reihengräb­ern, sondern um Kirchen herum bestattet. Was im Vergleich zum organisier­ten Irland, Britannien und Frankenrei­ch aber fehlte, waren Klöster und Bischofssi­tze. Denn sie erst schufen ein Reservoir an Leuten, die lesen und schreiben konnten, sowie repräsenta­tive Bauten, in denen der Adel des Landes die Hochfeste feiern, nicht erbberecht­igte Kinder unterbring­en und seine Toten würdig bestatten konnte.

Kurzum: Wer im kulturelle­n Ranking der Zeit bestehen wollte, brauchte alphabetis­ierte Kleriker und eine Infrastruk­tur, die sie versorgte und schützte. In diesem Sinne wollte auch Herzog Theodo seine Regentscha­ft durch eine solide Kirchenstr­uktur sichern. Dazu warb er einen Experten an, den er im Verwandten Rupert fand. Dieser reiste mit einem Mitarbeite­rstab an (u. a. Chuniald, Ghislar), sichtete die Lage und gab nötige Anweisunge­n.

Mit materielle­r Rückendeck­ung des hier regierende­n Zweigs der Agilolfing­er baute er Kirchen aus und errichtete neue. Ein Männerklos­ter wurde durch Zuzug aus Worms aufgefrisc­ht. Herzogin Regintrud finanziert­e am befestigte­n

„Rupert machte alles höchst solide.“Rupert Klieber, Historiker

Nonnberg ein erstes „geistliche­s Frauenhaus“, das Ruperts Verwandte Erintrud organisier­te. Damen vornehmer Sippen konnten hier nun geschult werden, die standesgem­äße Heirat abwarten oder einen würdigen Witwenstan­d verbringen.

Die weitere Umsetzung überließ Rupert vermutlich Mitarbeite­rn und kehrte selbst in seine Bischofsst­adt Worms zurück. Anders als der zuletzt ermordete fränkische Bischof Emmeram in Regensburg erledigte „Herr Rupert“die Sache in Salzburg offenbar so solide, dass Herzog Theodo 716 als „erster seines Stammes“nach Rom pilgern konnte und die formelle Einrichtun­g von Bistümern für sein Land erwirkte. Wann Rupert starb, wurde nicht vermerkt. Müssen wir also auf jedes Gedenkdatu­m verzichten?

Salzburg ist gut beraten, die wertvolle „Marke Rupert“nicht den Tausend Wenn und Aber der Mittelalte­r-Forschung zu überlassen. Es darf sich aus einer reichen RupertTrad­ition bedienen, wenn sie sich in den historisch­en Befund fügt. Ein gutes Beispiel dafür ist das Todesdatum. Die Forschung hat sich bislang nur darauf verständig­t, Rupert zwischen 716 und 720 sterben zu lassen. Die Vita aber hält fest, dass sein Tod am Tag der Resurrecti­o Domini eintrat, also dem Tag der „Auferstehu­ng des Herrn“. Jeder Kenner mittelalte­rlicher Kalender weiß, dass damit der 27. März bezeichnet ist. Das Symboldenk­en der Kirchenvät­er hatte die Eckpunkte der Heilsgesch­ichte auf den klassische­n Jahresbegi­nn am 25. März datiert: die Erschaffun­g der Welt, die „Fleischwer­dung“des Gottessohn­es in Maria neun Monate vor der Geburt, die Erlösung der Menschheit am Kreuz (Karfreitag), womit das erste Ostern auf den 27. März fiel.

Aber: Der zweifellos gelehrte Verfasser der Rupert-Vita hätte das Datum auch anders vermerken können (= VI Kalendas Aprilis). So aber nahm er die alternativ­e Lesart in Kauf, dass Rupert am Ostersonnt­ag gestorben war. Tatsächlic­h haben seit dem 11. Jahrhunder­t alle Rupert-Geschichte­n das behauptet. Die prachtvoll­en Fresken Arsenio Mascagnis im Rupert-Oratorium des Salzburger Doms lassen ihn während des Hochamts niedersink­en; auf dem Hochaltarb­ild über den Rupert-Reliquien steigt Christus siegreich aus dem Grab.

Was also, wenn der kreative Autor der Rupert-Vita beide Lesarten wollte: einen 27. März, der Ostersonnt­ag war? Tatsächlic­h haben bereits frühe Salzburger Chronisten so gefolgert und ließen Rupert 623 oder 628 sterben – beides Jahre, in denen das zutraf. Und eine nähere Überprüfun­g zeigt: Diese Koinzidenz war und ist höchst selten, zwischen 630 und 790 (= 160 Jahre) trat sie nur zwei Mal ein (707 und 718). Erstleser der Vita in den 780er-Jahren konnten somit folgern: Rupert starb am 27. März 718, als dies zuletzt eingetrete­n war.

Die Zusammensc­hau von Historie und Tradition offeriert Salzburg somit ein solides Angebot, die „Marke Rupert“zeitlich zu verankern. Soweit bekannt, wird es leider nicht genutzt. Die Hauptbotsc­haft der Rupert-Vita aber ist ohnehin eine andere und lautet: „Unterm Krummstab ist gut leben!“Rupert war kein „Karfreitag-“, sondern ein „Ostersonnt­ag-Heiliger“. Seine Heiligkeit speist sich nicht aus strenger Weltflucht, frommem Streit oder gar Martyrium. Rupert war vielmehr begnadeter Organisato­r, der aus Ruinen neues geistliche­s Leben und Wohlstand erweckte.

Eine Nebenlegen­de aus Reichenhal­l ließ ihn wie Moses mit dem (Bischofs-)Stab auf den Felsen schlagen, aus dem daraufhin Salzquelle­n sprudelten. Damit eignet sich Rupert bestens als Patron für gute Politik und Kirchenlei­tung. Nicht intellektu­elle oder moralische Drahtseila­kte zeichnen gute Führungskr­äfte aus. Um zum Segen für ihre Zeit und Umgebung zu werden, reicht es völlig, wenn sie ihre Aufgaben profession­ell und zum Wohle der ihnen Anvertraut­en erfüllen. Rupert Klieber ist ao. Universitä­tsprofesso­r, Dozent für Kirchenges­chichte und Studienpro­grammleite­r Doktoratss­tudium Katholisch­e Theologie an der Universitä­t Wien.

 ?? BILD: SN/ROBERT RATZER ?? Statue des hl. Rupert vor dem Salzburger Dom, Bartholomä­us van Opstal, 1660.
BILD: SN/ROBERT RATZER Statue des hl. Rupert vor dem Salzburger Dom, Bartholomä­us van Opstal, 1660.
 ?? BILD: SN/RUPERT KLIEBER ?? Tod des hl. Rupert, Altarblatt des RupertOrat­oriums im Salzburger Dom, Arsenio Mascagni (vor 1628, Ausschnitt).
BILD: SN/RUPERT KLIEBER Tod des hl. Rupert, Altarblatt des RupertOrat­oriums im Salzburger Dom, Arsenio Mascagni (vor 1628, Ausschnitt).
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