Selten so einig
Der Giftangriff in Großbritannien, das Verhalten der Türkei im Mittelmeer und die amerikanischen Zollpläne lassen die EU-Chefs zusammenrücken.
BRÜSSEL. Am Donnerstagabend hatte es noch etwas länger gedauert, bis sich die EU-Staats- und Regierungschefs beim Gipfel in Brüssel über die Verurteilung Russlands für den Giftanschlag von Salisbury einig waren. Am Freitag brauchten die 27 Mitgliedsstaaten nur wenig Zeit, um eine Reaktion auf die vorübergehende Ausnahme für die EU von den US-Strafzöllen festzulegen. Und die roten Linien für die Verhandlungen über das künftige Verhältnis mit Großbritannien nach dem EU-Austritt Ende März 2019 waren in wenigen Minuten erledigt.
Die Angriffe von außen veranlassten die EU-Chefs offenbar, die Reihen zu schließen. „Wir werden uns hier nicht auseinanderdividieren lassen“, betonte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Dabei gibt es durchaus Differenzen im Innenverhältnis. So stößt der Wunsch der britischen Premierministerin Theresa May, nach dem Brexit nur in bestimmten Sektoren eng mit der EU zu kooperieren, auf Ablehnung. „Was wir nicht wollen, ist ein Rosinenpicken“, betonte auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. Das würde die Integrität des Binnenmarktes untergraben.
Nach der Einigung auf weite Teile des Brexit-Vertrags und eine Übergangsphase bis Ende 2020 starten nun parallel Gespräche über die Zeit danach. Ziel sei „eine so enge Partnerschaft wie möglich“, betonen die EU-Regierungschefs in den nun beschlossenen Leitlinien. Da London aber weder im Binnenmarkt noch in einer Zollunion bleiben wolle, werde es „unausweichlich zu Friktionen im Handel kommen“, hieß es. Kontrollen seien unausweichlich. Dies werde „unglücklicherweise negative wirtschaftliche Folgen haben, vor allem für Großbritannien“.
Konkret ist die Rede von einem „ausgewogenen, ehrgeizigen und weitreichenden Freihandelsabkommen“ohne Zölle auf Waren. Zusätzlich soll es eigene Abkommen zum gemeinsamen Kampf gegen Terror und internationale Kriminalität geben, zur Kooperation bei Verteidigung und Außenpolitik, zum Datenaustausch und zum Thema Transport und hier vor allem die Luftfahrt.
Zugleich will die EU aber „unfaire Wettbewerbsvorteile“für Großbritannien unterbinden und warnt London davor, die EU bei Steuern oder sozialen bzw. Umweltstandards zu unterbieten. EU-Chefverhandler Michel Barnier hatte im Vorfeld gewarnt, dass die meisten der Abkommen mit dem künftigen Drittstaat Großbritannien durch die nationalen Parlamente der 27 Mitgliedsstaaten müssten. Auch nur den Anschein etwa von Sozialdumping zu erwecken könnte den Ratifizierungsprozess gefährden.
Nach wie vor schwierig gestalten sich die Verhandlungen zu Nordirland. Laut EU-Ratspräsident Donald Tusk wolle man „den Schwung nützen, um noch offene Themen zu klären“, etwa wie eine Grenze zwischen der Republik Irland und der britischen Provinz Nordirland vermieden werden kann. Im Austrittstext ist vorgesehen, dass London einen Vorschlag macht, andernfalls soll als Auffanglösung Nordirland zoll- und regulierungsmäßig wie ein EU-Mitglied behandelt werden. Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar unterstrich diese Position auf dem EU-Gipfel. Er werde die Brexit-Einigung blockieren, falls keine zufriedenstellende Lösung für die irische Grenze gefunden werde, sagte er.
May betonte, ihre Regierung wolle nun auch an „umsetzbaren Lösungen“arbeiten. Mit der Verabschiedung der Leitlinien werde es in den Verhandlungen „eine neue Dynamik“geben, sagte sie und forderte erneut „eine starke künftige Wirtschafts- und Sicherheitspartnerschaft“.
Bei der auf dem Gipfel diskutierten Reform der Eurozone könnte passieren, was Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker als typische Vorgangsweise beschrieben hat: Im März werde das Thema auf Juni vertagt, im Juni auf Oktober und dann komme es nie.
„Wir werden uns hier nicht auseinanderdividieren lassen.“ Angela Merkel, Bundeskanzlerin