Salzburger Nachrichten

82 „kritische“Straßennam­en

Nazis und Antisemite­n: Eine Historiker­kommission hat in Graz vier Jahre lang Straßen, Gassen und Plätze auf ihre Bedenklich­keit geprüft. Das Ergebnis wirft viele Fragen auf.

- ANDREAS TRÖSCHER

Nach vier Jahre langer Detailarbe­it wurde am Freitag der Abschlussb­ericht einer Historiker­kommission vorgelegt, die bedenklich­e Straßennam­en aus dem Grazer Stadtbild herausfilt­ern sollte. Auf 1000 Seiten ist die Untersuchu­ng von 1630 Verkehrsfl­ächen der steirische­n Landeshaup­tstadt lückenlos dokumentie­rt. Das Ergebnis: 82 Straßenbez­eichnungen wurden als kritisch zu bewertend eingestuft, 20 davon befand die Kommission als „höchst bedenklich“. Empfehlung­en, wie der für etwaige Umbenennun­gen zuständige Gemeindera­t verfahren soll, sind allerdings nicht enthalten.

Bei den 20 höchst bedenklich­en Straßennam­en handelt es sich fast ausschließ­lich um Männer, die in der Nazizeit eine nicht unbedeuten­de Rolle in Graz spielten.

So schwierig sich die Arbeit für die 14 Kommission­smitgliede­r gestaltete: Es wird auch nicht einfach, die richtigen Konsequenz­en aus dem Bericht zu ziehen. „Straßennam­en sind nicht nur eine Orientieru­ngshilfe. Sie sind auch das Denkmal für eine Person oder ein Ereignis sowie ein Mittel zur Identifika­tion“, betonte der Historiker Karl Albrecht Kubinzky. Für ihn ist der Umgang mit Geschichte keiner, der leichte Entscheidu­ngen beinhaltet.

Am Beispiel der Conrad-vonHötzend­orf-Straße spaltete sich die öffentlich­e Meinung in Graz gewaltig. Der Generalsta­bschef der k. u. k. Armee und Feldmarsch­all wurde als „Kriegstrei­ber“eingestuft, der Straßennam­e infrage gestellt. „Die Umbenennun­g würde aber alles in allem eine Million Euro kosten. Doch

Umbenennen oder kommentier­en?

was hätte er denn anderes tun sollen als kriegstrei­ben?“, fragt sich Kubinzky. Eine Formel, welche Tafel bleiben darf und welche wegmuss, scheint es nicht zu geben. Kubinzky versucht es vorsichtig: „Wenn jemand schwerwieg­ende Verfehlung­en begangen hat, da sollte man sich schon fragen, warum man auf dessen Straßensch­ild nicht verzichten sollte.“Von Geschichts­verdrängun­g hält der Historiker aber nichts. Kubinzky spricht sich für Kommentier­ung aus. Als positives Beispiel nannte er Wien. Dort wurde etwa der Kernstockp­latz in Ottakring, benannt nach Ottokar Kernstock, dem Verfasser des Hakenkreuz­liedes, schon vor einigen Jahren umbenannt. Unter dem Straßensch­ild der Ostmarkgas­se in Floridsdor­f hängt hingegen eine Tafel, die darauf hinweist, dass der Begriff Ostmark ursprüngli­ch nichts mit nationalso­zialistisc­her Diktion zu tun hatte.

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