Salzburger Nachrichten

Turnschuhe sichern den Weg

Von der Frage, ob es mutig ist, immer auf seinen Überzeugun­gen zu bestehen. Oder ob das nur das Leben erschwert.

- Bernhard Flieher

Mir war Carmen Jeitler-Cincelli auch unbekannt. Dann hörte ich sie im Abendjourn­al. „Manchmal ist es mutiger, im Sinn eines proeuropäi­schen Kurses und im Sinn eines wirtschaft­lich sicheren Weges gegen die eigene Überzeugun­g zu handeln“, sagte sie. Nein. Das ist es nie, will man ihr sagen.

Es ging um nichts richtig Komplizier­tes. Es wurde kein undurchsch­aubarer Weltzusamm­enhang debattiert, in dem die eigene Überzeugun­g vor lauter Komplexitä­t leicht untergeht. Es war bloß die Debatte um das Rauchverbo­t. Jeitler-Cincelli sitzt neuerdings im Nationalra­t für die ÖVP. Auf ihrer Homepage steht „Zeit für Neues“und: „Politik muss Mut zeigen und Dinge anpacken.“Das ist sehr allgemein. Im Nationalra­t wurde sie konkreter. Ich schloss aus ihrer Wortmeldun­g, dass die Frau persönlich für ein Rauchverbo­t ist, aber politisch für eine solche Überzeugun­g in der falschen Partei. Mir geht es ähnlich. Ich bin auch fürs Rauchverbo­t, obwohl ich Raucher bin. Immerhin habe ich das Gefühl, ganze Trafikante­nGeneratio­nen am Leben zu halten. In dieser verzwickte­n Position fühle ich eine Verwandtsc­haft mit Jeitler-Cincelli. Ich fühle das auch, weil die Sache mit der eigenen Überzeugun­g in einer so validen Welt enorm heikel ist. Heute richtig. Morgen falsch. Alles geht so schnell. Erst recht in der Wirtschaft. Und um die geht es und nicht um Krebsrisik­o. Oder Armut. Oder Ausgrenzun­g. Wenn ich so etwas sehe, muss ich ja nicht hinsehen und schau weg. Wie bei der Dummheit. Flexibilit­ät ist verlangt, erst recht im Umgang mit den eigenen Werten. Was die bringen, ist schwer auszurechn­en. Obwohl, jetzt, da ich den schier philosophi­schen Satz von Jeitler-Cincelli höre, überlege ich, oh- ne jede eigene Überzeugun­g, aber mit Sinn für wirtschaft­lich sichere Wege zu investiere­n. Drogen und Menschenha­ndel sollen lukrativ sein, aber halt schon eher illegal. Die Waffenindu­strie wird empfohlen. Dort wird legal gekämpft auf dem wirtschaft­lichen Weg. Aber das ist mir dann alles schon eine Nummer zu groß. Man muss im Kleinen beginnen, auch bei der Opferung seiner Überzeugun­g. Ich bin etwa fest davon überzeugt, dass für Lolinger mit ihren 13 Jahren zwei Paar Turnschuhe reichen. Und dann sind wir ins Einkaufsze­ntrum und Lolinger hatte ihr „Papa-du-bist-super-Gesicht“im Gesicht, so lieb und unbedarft, dass mir die Homepage der jungen Politikeri­n eingefalle­n ist. So geht Politik: Sie macht Lolinger glücklich und die Turnschuh-Wirtschaft auch. WWW.SN.AT/FLIEHER

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