Manche Männer zieht der Ekel an
Die Osterfestspiele Salzburg irritieren: Ein Bariton mit wunderbar samtiger Stimme singt einen Vergewaltiger.
Die Szenen mit dem ruchlosen Polizeichef Scarpia seien voll psychologischer Raffinesse, sagt Regisseur Michael Sturminger, der in Salzburg die Oper „Tosca“inszeniert hat. Mit deren Premiere, mit Christian Thielemann am Pult und Anja Harteros in der Titelrolle, eröffnen heute, Samstag, die Osterfestspiele. Zuvor schildert Michael Sturminger den SN seine Sicht auf diese Oper.
Er ist gleichsam ein Jolly Joker der Theaterregie geworden: Im Vorjahr sprang er für den neu zu inszenierenden „Jedermann“der Salzburger Festspiele ein. Bei den Osterfestspielen Salzburg inszenierte er 2017 Salvatore Sciarrinos Kammeroper „Lohengrin“und wurde sogleich mit der heurigen „Tosca“betraut, obwohl er fast zeitgleich schon einen Auftrag in München hatte.
SN: Sie hatten am 22. März in München am Gärtnerplatztheater Premiere von Donizettis „Maria Stuarda“, und Sie haben am 24. März in Salzburg Premiere von Puccinis „Tosca“. Wie geht sich das aus?
Michael Sturminger: „Maria Stuarda“hatte ich schon vorher fertig geprobt, und in München hab ich eine Koregisseurin, die sich um die Schlussproben gekümmert hat. Wir haben dort genug Zeit gehabt, das zu entwickeln. Da wir in Salzburg zwischen der Generalprobe am 21. und der Premiere am 24. Ruhetage haben, kann ich zur Premiere (nach München, Anm.) hinüberfahren.
SN: Ist so etwas im Opernbetrieb normal geworden?
Nein, die Münchner Verpflichtung hatte ich schon, als mir im Vorjahr Salzburg angeboten wurde. Da ich das machen wollte, habe ich das Gärtnerplatztheater gebeten, mich aus dem Vertrag zu lassen. Die wollten das nicht, haben aber die Proben so gestaltet, dass beides möglich geworden ist und ich dort fertig sein konnte, als ich hier anfing.
SN: Warum sind für Sie die Osterfestspiele Salzburg so wichtig, dass Sie beides tun?
Auf dieser Bühne, mit diesen Sängern, mit diesem Dirigenten! Das ist alles sehr attraktiv. Und es ist ein fantastisches Stück.
SN: Haben Sie „Tosca“schon einmal inszeniert?
Nein, auch deshalb ist es attraktiv. Denn diese Oper ist schwierig zu inszenieren, weil man als Regisseur keinen Millimeter Spielraum hat. Otto Schenk hat mir gesagt: „Für ,Tosca‘ braucht man eine Besetzung, aber keinen Regisseur.“
SN: Und hat er recht?
Natürlich! (lacht) Sowieso ist die Besetzung wichtig. Und der Regisseur muss alles so machen, wie es immer gewesen ist. Allein die Orte, wo die Oper spielt, sind ausdefiniert. Jeder weiß, wie’s ausschaut – man kann ja nach Rom fahren, sich’s anschauen. Zugleich muss einem genügend einfallen, dass alles anders wird. Das ist so unmöglich wie die eierlegende Wollmilchsau. Trotzdem: Ich habe das Gefühl, dass durchaus etwas gelungen ist.
SN: Sie haben die historischen Räume auf die Bühne gebaut – Sant’ Andrea della Valle, Palazzo Farnese und Engelsburg?
Ja, die Orte sind weitgehend die originalen, nur ist die Engelsburg nicht komplett, weil wir keinen großen Engel haben. Aber wir sind auf dem Dach, dahinter ist Rom.
In diesen historischen Räumen gehen heutige Leute herum. Die können genauso bestialisch sein wie damals. Frauen können in ähnlichen Situationen ähnlichen Erpressungen ausgesetzt sein. Und es passt ins heutige Establishment, dass Leute, von denen alle wissen, wie mies sie sich benehmen, trotzdem irgendwie alles dürfen.
Auch die Macht der Kirche, wie sie im Tedeum zum Ausdruck kommt, passt zu dem, was immer wieder mit Kindern passiert. Das versuchen wir zu erzählen.
SN: Welche Kinder?
Den Kinderchor in der Mitte haben wir ausgebaut, die Kinder spielen etwas öfter mit (als im Libretto vorgesehen, Anm.). Überhaupt sieht man, was ein autoritäres Regime mit Leuten macht, die sich nicht wehren können. Aber Scarpia (Polizeichef) legt sich mit einer Frau an, die sich wehrt. Er glaubt zwar, sie in eine Situation zu bringen, in der sie sich nicht mehr wehren kann. Aber Tosca tut es trotzdem – nicht ganz erfolgreich, aber fast.
SN: Was in dieser Oper ist schwierig zu inszenieren?
Es gibt so immens wirkungsvolle, ungeheuer aufgeladene Musik. So ist im Finale des ersten Akts eine der wirkmächtigsten musikalischen Stellen, die ich kenne. Dem im optischen Erleben gerecht zu werden, ist herausfordernd. Und es gibt viele psychologische Raffinessen.
SN: Welche zum Beispiel?
Wie kann ein Scarpia charmant sein? Ludovic Tézier hat dazu einen wunderschön samtigen Bariton. Da hört man den Don Giovanni mit! Er singt so verführerisch! Es kann ja jemand gefährlich sein, der nicht derb wirkt. Meine Original-Scheusal-Vorbilder sind jedenfalls oft sehr charmant.
SN: Wer die sind, sagen Sie vermutlich nicht.
Definitiv nicht! Aber ich sage Ihnen: Die sind charmant, witzig und gebildet! Und ich gebe zu: Das gefällt mir besser als primitiv und dumm.
SN: Im wirklichen Leben wäre deutliche Gemeinheit einfacher.
Aber die ist so selten! Kaum jemand trägt seine Gefährlichkeit vor sich her. Daher sind ja die richtig Gefährlichen die Charmanten, mit denen man so lustig abendgegessen hat. Das hebt die Fallhöhe.
SN: Welche anderen Raffinessen bietet „Tosca“?
Diese musikalische Erotik zwischen Tosca und Scarpia. Hat man eine Sängerin wie Anja Harteros – dieser unendliche Schönklang! Das ist ein solches Ereignis, dass man sogar in Proben mit Gänsehaut sitzt.
SN: Wie sie mit dem widerlichen Scarpia singt, ist erotisch?
Da setzt die Musik unglaublich viele entgegengesetzte Signale. Da gibt es eine Brutalität und eine offene Härte und dazwischen wieder so eine Anziehung! Dann wieder wird es ekelhaft, gepaart mit Kälte.
SN: Wie inszenieren Sie’s: Begehrt Tosca den Scarpia?
Zumindest spürt sie, wie nah sie ihm ist. In dem Moment der Lebensgefahr für den Geliebten ist jedenfalls der Ekel da. Dann gibt es aber noch eine grauenhafte Erkenntnis, die Scarpia einlöst: dass manche Männer den Ekel offenbar als attraktiv empfinden.
SN: Wie ist Ihre Zusammenarbeit mit Christian Thielemann?
Wir haben eine sehr harmonische, konstruktive Zusammenarbeit.
SN: Haben Sie Sorge, dass er Sänger an die Rampe holt?
Nein, überhaupt nicht. In dieser Oper muss man sowieso darauf achten, dass die Sänger gut singen können, denn diese Musik ist sehr fordernd.
Dazu ist diese Oper so unfassbar gut gebaut, dass sie keine Auftritte von 40 Meter hinten erfordert. Und was Herr Thielemann toll kann, ist, auf die Sänger aufzupassen: Selbst zum riesigsten Orchesterklang holt er jede Stimme dazu.
SN: Wann fangen Sie in Salzburg wieder an: für den „Jedermann“?
Wir werden im Juli proben, die Besetzung ist dieselbe wie im Vorjahr. Wir haben alle Schauspieler für zwei Jahre gebeten, mitzumachen. Wir werden in der Regie einiges variieren und auf den Punkt bringen. Und wir bekommen eine neue Musik.
SN: Welche Musik wird das?
Heuer kommt Wolfgang Mitterer; er arbeitet mit Live- und elektronischer Musik. Wir wollen versuchen, dass die Musik mehr ins Schauspiel hineinwirkt. Es soll nicht Musik oder Sprache geben, sondern beides soll zur Einheit zusammenwachsen. Es soll nicht gesungen werden. Aber anders als im Vorjahr mit Musik zur Szene oder dazwischen soll die Musik atmosphärisch gestalten. Geräusche und Töne sollen mehr als bisher in den Vordergrund. Oper: „Tosca“von Giacomo Puccini, Dirigent: Christian Thielemann, Regie: Michael Sturminger, Osterfestspiele Salzburg, Premiere: heute, Samstag. Szenenbilder: www.sn.at./kutur Nachtkritik: am Sonntag, ab 9 Uhr, im Internet www.sn.at/kultur.
„Kann Scarpia charmant sein?“ M. Sturminger, Regisseur