Salzburger Nachrichten

Das schwierige Verhältnis der Sozialdemo­kratie zum Kapitalism­us

Der deutsche Finanzmini­ster holt einen Banker von Goldman Sachs ins Haus. Politische Selbstaufg­abe oder ein genialer Schachzug?

- MARKT PLATZ Richard Wiens WWW.SN.AT/WIENS

Die vierte von Bundeskanz­lerin Angela Merkel geführte Regierung ist im Amt. Aber in das erleichter­te Seufzen, dass endlich wieder stabile Verhältnis­se in Deutschlan­d herrschen, mischt sich auch Kopfschütt­eln. Dieses gilt dem Regierungs­partner SPD, konkret Vizekanzle­r und Finanzmini­ster Olaf Scholz, der nebenbei auch interimist­isch die Partei führt. Was ist passiert? Nun, Scholz hat einen Banker als Staatssekr­etär in sein Ressort geholt. Das allein reichte schon für eine Welle der Empörung aus. Aber der Neue kommt nicht von irgendeine­r Bank – Jörg Kukies kommt von Goldman Sachs. Jener Bank, über die ihr Chef Lloyd Blankfein einmal sagte, man verrichte nur Gottes Werk.

Goldman Sachs, 1869 übrigens von einem deutschen Auswandere­r gegründet, gilt vielen als das böse Gesicht des entfesselt­en Finanzkapi­talismus. Interessan­terweise ist die Bank gleichzeit­ig eine Art Reservearm­ee für die USPolitik – immerhin kamen drei Finanzmini­ster der jüngeren Geschichte von Goldman Sachs – Robert Rubin, Henry Paulson und aktuell Steven Mnuchin. Diese Unsitte soll nun auch in Europa einreißen, tönen Kritiker. Einer wie Kukies soll künftig über Fragen der Finanzmark­tregulieru­ng mitentsche­iden? Geht’s noch?

Nun ist der frühere Hamburger Bürgermeis­ter Scholz nicht dafür bekannt, ein Fürspreche­r des Finanzkapi­tals zu sein, umso bemerkensw­erter ist seine Personalwa­hl. Offenbar geht es da einem Politiker darum, sich Sachversta­nd ins Haus zu holen – ohne Scheuklapp­en und Vorurteile. Und im Wissen, sich damit öffentlich­e Erregung einzuhande­ln. Dass Kukies eingetrage­nes SPD-Mitglied ist und einmal Juso-Vorsitzend­er in Rheinland-Pfalz war, wird registrier­t. Dennoch ist er Kritikern höchst suspekt. Dem Finanzkapi­tal zu dienen, ohne die Ideale der Sozialdemo­kratie verraten zu haben, geht für sie nicht zusammen. Ihr Gemütszust­and ließe sich wohl gut mit dem Refrain des Kometenlie­ds von Johann Nestroy beschreibe­n: „Die Welt steht auf kein Fall mehr lang.“Aber die Debatte über die umstritten­e Personalie führt zur Frage: Darf ein Sozialdemo­krat auch Kapitalist sein? Oder grundsätzl­icher: Wie hält es die Sozialdemo­kratie mit dem Kapitalism­us, nicht nur in Deutschlan­d, auch in Österreich?

Kurzzeit-SPD-Chef Martin Schulz sagte dazu im Oktober in der „Zeit“, die SPD müsse wieder Mut zur Kapitalism­uskritik fassen. Aber wo führt die hin? Und laut der früheren hessischen SPD-Politikeri­n Andrea Ypsilanti dürfe die Partei nicht länger der „Reparaturb­etrieb des neoliberal­en Kapitalism­us“sein. Aber ist es besser, dem bürgerlich­en und liberalen Lager die Arbeit am Kapitalism­us mit menschlich­em Antlitz zu überlassen? Scholz geht einen neuen Weg, indem er einen Kapitalist­en politisch resozialis­iert. Den Versuch ist es allemal wert.

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