Das schwierige Verhältnis der Sozialdemokratie zum Kapitalismus
Der deutsche Finanzminister holt einen Banker von Goldman Sachs ins Haus. Politische Selbstaufgabe oder ein genialer Schachzug?
Die vierte von Bundeskanzlerin Angela Merkel geführte Regierung ist im Amt. Aber in das erleichterte Seufzen, dass endlich wieder stabile Verhältnisse in Deutschland herrschen, mischt sich auch Kopfschütteln. Dieses gilt dem Regierungspartner SPD, konkret Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz, der nebenbei auch interimistisch die Partei führt. Was ist passiert? Nun, Scholz hat einen Banker als Staatssekretär in sein Ressort geholt. Das allein reichte schon für eine Welle der Empörung aus. Aber der Neue kommt nicht von irgendeiner Bank – Jörg Kukies kommt von Goldman Sachs. Jener Bank, über die ihr Chef Lloyd Blankfein einmal sagte, man verrichte nur Gottes Werk.
Goldman Sachs, 1869 übrigens von einem deutschen Auswanderer gegründet, gilt vielen als das böse Gesicht des entfesselten Finanzkapitalismus. Interessanterweise ist die Bank gleichzeitig eine Art Reservearmee für die USPolitik – immerhin kamen drei Finanzminister der jüngeren Geschichte von Goldman Sachs – Robert Rubin, Henry Paulson und aktuell Steven Mnuchin. Diese Unsitte soll nun auch in Europa einreißen, tönen Kritiker. Einer wie Kukies soll künftig über Fragen der Finanzmarktregulierung mitentscheiden? Geht’s noch?
Nun ist der frühere Hamburger Bürgermeister Scholz nicht dafür bekannt, ein Fürsprecher des Finanzkapitals zu sein, umso bemerkenswerter ist seine Personalwahl. Offenbar geht es da einem Politiker darum, sich Sachverstand ins Haus zu holen – ohne Scheuklappen und Vorurteile. Und im Wissen, sich damit öffentliche Erregung einzuhandeln. Dass Kukies eingetragenes SPD-Mitglied ist und einmal Juso-Vorsitzender in Rheinland-Pfalz war, wird registriert. Dennoch ist er Kritikern höchst suspekt. Dem Finanzkapital zu dienen, ohne die Ideale der Sozialdemokratie verraten zu haben, geht für sie nicht zusammen. Ihr Gemütszustand ließe sich wohl gut mit dem Refrain des Kometenlieds von Johann Nestroy beschreiben: „Die Welt steht auf kein Fall mehr lang.“Aber die Debatte über die umstrittene Personalie führt zur Frage: Darf ein Sozialdemokrat auch Kapitalist sein? Oder grundsätzlicher: Wie hält es die Sozialdemokratie mit dem Kapitalismus, nicht nur in Deutschland, auch in Österreich?
Kurzzeit-SPD-Chef Martin Schulz sagte dazu im Oktober in der „Zeit“, die SPD müsse wieder Mut zur Kapitalismuskritik fassen. Aber wo führt die hin? Und laut der früheren hessischen SPD-Politikerin Andrea Ypsilanti dürfe die Partei nicht länger der „Reparaturbetrieb des neoliberalen Kapitalismus“sein. Aber ist es besser, dem bürgerlichen und liberalen Lager die Arbeit am Kapitalismus mit menschlichem Antlitz zu überlassen? Scholz geht einen neuen Weg, indem er einen Kapitalisten politisch resozialisiert. Den Versuch ist es allemal wert.