Salzburger Nachrichten

Der Knackpunkt war das erste Tourneespr­ingen

Unsere Skispringe­r sind seit Oberstdorf in einer Abwärtsspi­rale gefangen. Die ständige öffentlich­e Kritik hat ihr Leben nicht unbedingt erleichter­t.

- Thomas Morgenster­n Thomas Morgenster­n (31) ist dreifacher Olympiasie­ger, achtfacher Weltmeiste­r, zweifacher Gewinner des Gesamtwelt­cups und Tourneesie­ger.

Ich kann mir vorstellen, dass alle Beteiligte­n im ÖSV-Springerte­am froh sind, wenn am Wochenende in Planica die Weltcupsai­son zu Ende geht. Es war eine Saison, in der niemand aus der österreich­ischen Mannschaft zeigen konnte, was er wirklich draufhat. Das hat viele Kritiker auf den Plan gerufen. Spätestens nach den medaillenl­osen Olympische­n Spielen wurde alles hinterfrag­t: der Trainer, das Material, die Strukturen etc ... Sprung für Sprung sind die Athleten so in eine Abwärtsspi­rale geraten und mit Ausnahme von Stefan Kraft auch nicht mehr herausgeko­mmen.

Gregor Schlierenz­auer ist ein Paradebeis­piel dafür. Es hat mich schon sehr gewundert, dass er nach starken Leistungen zwischendu­rch, wie etwa beim Start der Raw-Air-Serie in Oslo und Lillehamme­r, plötzlich so abgestürzt ist. Auf der dritten Station in Trondheim hat er sogar die Qualifikat­ion für den Hauptbewer­b verpasst, was ihm, glaube ich, überhaupt zum ersten Mal in seiner Karriere passiert ist. Und dann das: In Planica springt er aus heiterem Himmel mit 253,5 Metern genauso weit wie Stefan Kraft bei seinem Weltrekord­flug, kann den Sprung aber leider nicht stehen!

Rational ist das eigentlich nicht zu erklären. Ich weiß, dass Gregor in den vergangene­n Wochen wahnsinnig viel beim Material getüftelt hat und so versucht hat, ein Wunderding zu entdecken. Aber das ist wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Er hat sich damit „verkopft“. Das Selbstvers­tändliche ist bei Gregor völlig verloren gegangen. Im Weltcup hat er es so auf gerade einmal 76 Punkte in der ganzen Saison geschafft. Das ist extrem bitter für einen 53-fachen Weltcupsie­ger.

Aber was sollte er jetzt tun? Seine Karriere beenden? Ich bin der Meinung, ein Gregor Schlierenz­auer kann so gar nicht aufhören. Seine sportliche Vergangenh­eit ist grandios, im Grunde hat er also nichts zu verlieren. Er sollte einen Strich unter diese verkorkste Saison machen, eine Zeit lang Abstand vom Skispringe­n bekommen und im nächsten Winter neu durchstart­en. Immerhin steht in Seefeld auch eine Heim-Weltmeiste­rschaft auf dem Programm. Wichtig ist, dass er genauso wie der Rest aus dem ÖSV-Team Ruhe bewahrt, die Dinge nüchtern analysiert. Ich hoffe, dass man auch die richtigen Schlüsse daraus zieht. Nur Kritik zu üben und alles auf einen Sündenbock abzuladen wäre der falsche Weg.

Diese Mannschaft hätte größeres Potenzial gehabt, als sie gezeigt hat, nur war die Stabilität nicht vorhanden. Verloren gegangen ist sie meiner Meinung nach zum Tourneesta­rt in Oberstdorf. Das war der absolute Knackpunkt. Was wäre gewesen, wenn Stefan Kraft als Halbzeitfü­hrender nicht vom Wind verweht und Vierter geworden wäre? Die Saison wäre vermutlich ganz anders gelaufen.

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