Hier knallen zu viele Schüsse
Puccinis „Tosca“bei den Osterfestspielen Salzburg bricht mit manchen Gewohnheiten.
Tosca hat offenbar nicht gut genug zugestochen. Baron Scarpia, ihr Peiniger, vor dem „ganz Rom zitterte“, erhebt sich jedenfalls schwer verwundet und zieht sich an seinem Schreibtisch hoch, an dem er bislang Bluturteile und Folterbefehle ausgestellt hat. Und er wird – am Ende von Puccinis unverwüstlichem Opernthriller „Tosca“– höchstselbst erscheinen, um die Pistole auf die Sängerin Floria Tosca zu richten. Sie aber ist gleich schnell und gibt den Gegenschuss auf die Bestie im gutbürgerlichen Anzug eines mafiosen, aber charmant wirkenden Gentlemans ab.
Wir befinden uns da in der Neuinszenierung dieser Oper aus 1900 im Großen Festspielhaus auch nicht auf der Engelsburg in Rom. Man sieht zwar die Kuppel des Petersdoms, aber wir sind auf dem Dach eines Knabeninternats, in dem die Schergen der kirchlichen Macht die Zöglinge offensichtlich schon zum Morden abrichten. Jedenfalls feuern die ausgewählten Buben aus ihren Pistolen die tödlichen Schüsse auf den Maler Mario Cavaradossi ab, der auf Scarpias Befehl für den Schutz eines Politflüchtlings mit dem Tod bestraft werden soll: eine ziemlich kühne Umdeutung der sonst geläufigen Situation.
Michael Sturminger ist als Regisseur dieser Osterfestspiel-Produktion dafür und für manche andere absonderliche Ideen – mit einer Schießerei in der Tiefgarage unter der Kirche Sant’ Andrea della Valle beginnt die Aufführung – verantwortlich. Seine Ausstatter, Renate Martin und Andreas Donhauser, öffnen die volle Breite der Bühne, stellen in den ersten beiden Akten zitierend die historischen Schauplätze, die erwähnte Kirche und den Palazzo Farnese, her, die aber durch wandelnde Säulen surreal „verschoben“oder durch modische Accessoires, etwa einen Hometrainer für Scarpia, „modernisiert“werden. Was das bringen soll, bleibt freilich weitgehend offen. Auf das Grundgerüst der perfekt austarierten musikdramatischen Anlage des Werks hat es jedenfalls keine weiteren Auswirkungen.
Die Königin der Aufführung hat ohnedies von sich aus einen glanzvollen Namen: Anja Harteros. Schon in ihrem ersten Auftritt in der Kirche, flirtend, liebend, eifersüchtig, kokett bis zickig, kehrt sie ihre schillernde Künstlerinnennatur mit schier grenzenlos flexiblem Wundersopran heraus. Fabelhaft abgestimmt, blitzartig umschaltbar werden die unterschiedlichen Tonfälle und -färbungen auf den Punkt getroffen. Immer intensiver, dichter, anrührender werden diese Farben und Vokalmixturen, um in der zentralen Arie „Vissi d’arte“den Kernpunkt zu erreichen. Hier liegt die menschliche Seele in Leidenschaft und Verletzlichkeit bloß.
Mächtig dreht an ihrer Seite Aleksandrs Antoņenko als Cavaradossi auf – auch um den Preis eines psychologisch allzu flächigen Eindrucks. Und auch Ludovic Tézier als Scarpia erscheint mit seinem nobel-samtigen, nicht allzu expansiven Bariton etwas zu harmlos für das, was er ist und was er darstellen sollte.
Christian Thielemann arbeitet sich an „Tosca“mit akribischer Genauigkeit ab und bewahrt Puccinis geniale Partitur so vor der Falle, in die viele „Tosca“Aufführungen zu geraten drohen. Er macht mit unbestechlichem, souveränem handwerklichen Können Oper und nicht untermalende Filmmusik.
Gelegentlich, vor allem in den Kleinteiligkeiten des ersten Akts, gerät das, formidabel in den Edelklang der Sächsischen Staatskapelle gebettet, allzu pingelig, kommt auch etwas schwerfällig in Fahrt, aber nach der Pause ist es umso gewichtiger präsent: das packende, mitreißende, klar fokussierte Musikdrama. Das verdiente allen großen Beifall, den das Premierenpublikum lang, aber nicht wirklich euphorisiert verteilte.