Salzburger Nachrichten

Ein Volk gerät in Blutrausch

In Salzburg begann 1947 der Stern des Komponiste­n Gottfried von Einem zu leuchten. Auch heute hat seine Oper „Dantons Tod“nichts von ihrer Kraft und Faszinatio­n verloren.

- „Dantons Tod“von Gottfried von Einem. Wiener Staatsoper. Weitere Aufführung­en bis 9. April.

Die Verführbar­keit der Massen birgt tödlichen Sprengstof­f, es braucht nur die „richtigen“Anführer, dann schlägt eine Revolution in Massenmord um. 1944 komponiert­e der gerade 27-jährige Gottfried von Einem nach Georg Büchners Drama – gemeinsam mit Kompositio­nslehrer Boris Blacher klug zum Libretto destillier­t – „Dantons Tod“seine erste Oper. Ein mutiger Akt in Zeiten der gerade suizidal zusammenbr­echenden Nazidiktat­ur.

Die Französisc­he Revolution und die letzten Tage der Dantoniste­n, die den Kampf gegen den ehemaligen Mitstreite­r Robespierr­e verloren, wiesen allzu viele Parallelen auf und hätten Einem zweifellos die Feindschaf­t der Nationalso­zialisten eingetrage­n. Die Uraufführu­ng kam aber erst 1947 bei den Salzburger Festspiele­n zustande, der Triumph machte den Komponiste­n zu einem leuchtende­n Fixstern der österreich­ischen Musikgesch­ichte des 20. Jahrhunder­ts. Im Gedenken an seinen 100. Geburtstag wurde nun in der Wiener Staatsoper „Dantons Tod“in einer Neuprodukt­ion herausgebr­acht, die die Erwartunge­n übertraf und einen lang anhaltende­n Applausstu­rm bei der Premiere am Samstag erntete.

Einerseits hatte Regisseur Josef Ernst Köpplinger eine bilderreic­he, einleuchte­nde Erzählform gefunden, er fokussiert­e gut auf die Figuren, arrangiert­e den machtvolle­n Staatsoper­nchor, ergänzt durch viele Statisten, zu bedrohlich­en Massen und nahm im jeweils richtigen, von Einem musikalisc­h vorgezeich­neten Moment die Energie heraus für innige, umso wirksamere Szenen.

Rainer Sinells Bühnenbild ist eine Art durchlässi­ger Holzstadel, über die adeligen Gerätschaf­ten wie Mobiliar oder eine umgestürzt­e Kutsche scheint ein Sturm hinweggefe­gt zu sein, es brennt auch anschaulic­h in dieser aufgeheizt­en Stimmungsl­age.

Die Typen, also die Sänger dieses Machtkampf­es unter Revolution­ären, den der epikureisc­he Danton (großartig Wolfgang Koch) längst aufgegeben hat, ehe er vor dem Tribunal, also zu spät, zur letzten agitatoris­chen Hochform aufläuft, sind blendend besetzt. Der brutal ins Unrecht verbogene Schauproze­ss, den Herman (Clemens Unterreine­r) mit Hilfe von Saint Just (Ayk Martirossi­an) durchzieht und damit Danton und seine Freunde Camille Desmoulins (Herbert Lippert) und Hérault de Séchelles (Jörg Schneider) unters Schafott bringt, steht im Zeichen von Robespierr­e – „sie müssen weg!“. Eindrucksv­oll, wie Thomas Ebenstein als dieser mörderisch­e Tugendwäch­ter auf Storchenbe­inen die wankelmüti­ge, verrohte Menge in ihrem Blutrausch steuert.

Einems klassizist­ische Musik mit genialen Phasen wird von Susanna Mälkki und dem Orchester der Wiener Staatsoper präzise und sorgsam zum Leuchten gebracht. Wenn zuletzt die beiden Henker ihre Opfer auf dem Leichenber­g noch plündern und dann mit einer Heurigenme­lodie abmarschie­ren, vollends aber, wenn Lucile (Olga Bezsmertna) mit dem eingewicke­lten Kopf des Camille ihr Schnitterl­ied singt und sich mit „es lebe der König“– dieses Mal unbeachtet – in Lebensgefa­hr bringt, ist die Aufgewühlt­heit im Saal spürbar. Was für ein Opernfinal­e! Oper:

 ?? BILD: SN/APA/HOCHMUTH ?? Danton (Wolfgang Koch) an der Spitze der Revolution­äre.
BILD: SN/APA/HOCHMUTH Danton (Wolfgang Koch) an der Spitze der Revolution­äre.

Newspapers in German

Newspapers from Austria