Ein Volk gerät in Blutrausch
In Salzburg begann 1947 der Stern des Komponisten Gottfried von Einem zu leuchten. Auch heute hat seine Oper „Dantons Tod“nichts von ihrer Kraft und Faszination verloren.
Die Verführbarkeit der Massen birgt tödlichen Sprengstoff, es braucht nur die „richtigen“Anführer, dann schlägt eine Revolution in Massenmord um. 1944 komponierte der gerade 27-jährige Gottfried von Einem nach Georg Büchners Drama – gemeinsam mit Kompositionslehrer Boris Blacher klug zum Libretto destilliert – „Dantons Tod“seine erste Oper. Ein mutiger Akt in Zeiten der gerade suizidal zusammenbrechenden Nazidiktatur.
Die Französische Revolution und die letzten Tage der Dantonisten, die den Kampf gegen den ehemaligen Mitstreiter Robespierre verloren, wiesen allzu viele Parallelen auf und hätten Einem zweifellos die Feindschaft der Nationalsozialisten eingetragen. Die Uraufführung kam aber erst 1947 bei den Salzburger Festspielen zustande, der Triumph machte den Komponisten zu einem leuchtenden Fixstern der österreichischen Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Im Gedenken an seinen 100. Geburtstag wurde nun in der Wiener Staatsoper „Dantons Tod“in einer Neuproduktion herausgebracht, die die Erwartungen übertraf und einen lang anhaltenden Applaussturm bei der Premiere am Samstag erntete.
Einerseits hatte Regisseur Josef Ernst Köpplinger eine bilderreiche, einleuchtende Erzählform gefunden, er fokussierte gut auf die Figuren, arrangierte den machtvollen Staatsopernchor, ergänzt durch viele Statisten, zu bedrohlichen Massen und nahm im jeweils richtigen, von Einem musikalisch vorgezeichneten Moment die Energie heraus für innige, umso wirksamere Szenen.
Rainer Sinells Bühnenbild ist eine Art durchlässiger Holzstadel, über die adeligen Gerätschaften wie Mobiliar oder eine umgestürzte Kutsche scheint ein Sturm hinweggefegt zu sein, es brennt auch anschaulich in dieser aufgeheizten Stimmungslage.
Die Typen, also die Sänger dieses Machtkampfes unter Revolutionären, den der epikureische Danton (großartig Wolfgang Koch) längst aufgegeben hat, ehe er vor dem Tribunal, also zu spät, zur letzten agitatorischen Hochform aufläuft, sind blendend besetzt. Der brutal ins Unrecht verbogene Schauprozess, den Herman (Clemens Unterreiner) mit Hilfe von Saint Just (Ayk Martirossian) durchzieht und damit Danton und seine Freunde Camille Desmoulins (Herbert Lippert) und Hérault de Séchelles (Jörg Schneider) unters Schafott bringt, steht im Zeichen von Robespierre – „sie müssen weg!“. Eindrucksvoll, wie Thomas Ebenstein als dieser mörderische Tugendwächter auf Storchenbeinen die wankelmütige, verrohte Menge in ihrem Blutrausch steuert.
Einems klassizistische Musik mit genialen Phasen wird von Susanna Mälkki und dem Orchester der Wiener Staatsoper präzise und sorgsam zum Leuchten gebracht. Wenn zuletzt die beiden Henker ihre Opfer auf dem Leichenberg noch plündern und dann mit einer Heurigenmelodie abmarschieren, vollends aber, wenn Lucile (Olga Bezsmertna) mit dem eingewickelten Kopf des Camille ihr Schnitterlied singt und sich mit „es lebe der König“– dieses Mal unbeachtet – in Lebensgefahr bringt, ist die Aufgewühltheit im Saal spürbar. Was für ein Opernfinale! Oper: