„Ich habe den Blick für Schönheit verloren“
Die Hölle ist kein Ort im Jenseits. Zum Beispiel hat sie sich 90 Flugminuten und drei Autostunden von Salzburg entfernt, in Srebrenica, abgespielt.
SALZBURG. Die Wildblumen in tausend Farben und die dichten Wälder Bosniens hat Hasan Nuhanović nicht vergessen. Doch diese herrlichen Bilder seiner Heimat sind nun überlagert: Ihm gehen die darunter verscharrten Toten nicht aus dem Sinn. „Man brauchte nur irgendwo an der Oberfläche zu kratzen und schon tauchten Hunderte zerrissene Körper auf“, sagt Hasan. Fast ein Vierteljahrhundert ist das nun her, weswegen er „den Blick für die unglaubliche Schönheit unseres Landes verloren“geben musste. Im Schauspielhaus Salzburg ist seit Samstagabend zu erahnen, warum einem das widerfahren kann: den Blick für Schönes zu verlieren.
Hasan Nuhanović kam am Samstag nicht zur Premiere, obgleich er der Held des Abends gewesen wäre. Nein: Er war es! Fünf Schauspieler riefen seine Geschichte ins Leben zurück – so berührend, dass die Uraufführung von „Srebrenica“ohne Applaus endete. Still verließ das Publikum nach zwei pausenlosen Spielstunden den „Studio“genannten kleinen Bühnenraum. Klatschen würde – bei aller Leistung in Regie und Spiel – nicht der Würde jener gerecht, die das hier verfolgbare Grauen erlitten haben.
Der Kontakt zu Hasan Nuhanović entstand über „Bauern helfen Bauern“von Doraja Eberle. Daher ist dieses Hilfsprojekt, das in Bosnien unter anderem Häuser für zurückkehrende Flüchtlinge baut und eine Musikschule in Srebrenica unterhält, auch Koproduzent dieser Uraufführung.
Peter Arp hat Hasan Nuhanović’ Schilderungen in Dialoge und Erzähltexte gefasst und Regie geführt. Ihm ist ein Dokumentartheater im besten Sinne gelungen. Zum einen dokumentiert er, was der mittlerweile 50-jährige Hasan, seine Mutter Nasiha, sein Vater Ibro und sein Bruder Braco im Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 erleben mussten – Flucht vor serbischen Aggressoren, Hunger bis zum Revoltieren sowie die in ihrer Hilflosigkeit höhnischen UNO-Soldaten, unter deren Augen Nasiha, Ibro und Braco in den Tod durch Ermordung müssen. Nur Hasan überlebt, weil er für die UNO als Übersetzer arbeitet.
Zum anderen bewirken Peter Arp und die Schauspieler Matthias Hinz, Antony Connor, Ute Hamm, Magnus Pflüger und Ulrike Arp mit theatralen Mitteln, was kein Film und kein Roman bietet: Da ist tatsächlichen, lebenden Menschen zuzuschauen. Vor allem Matthias Hinz geht in seiner Rolle auf – als hörte und sähe man Hasan Nuhanović, wie er erzählt, mit Vater, Mutter und Bruder redet, streitet, hadert und in der Nacht mit ihnen eine 200 Meter tiefe Schlucht zum Fluchtboot hinunterklettert.
Jetzt sind Gedenkjahre hoch im Kurs. Romane, Sachbücher, Filme und Fernsehsendungen über „Anschluss“und Nationalsozialismus haben neue Konjunktur. Doch das zeitlich näher liegende Massaker, der Krieg im Nachbarland wird verdrängt. Dabei sind die Fragen gleich: Wie konnte der größte europäische Genozid seit dem Zweiten Weltkrieg stattfinden? Lässt sich so etwas verhindern? Bosnien ist heute Einflussgebiet von Russland, SaudiArabien, China und Türkei, doch kaum eines Blickes wert.
Das Schauspielhaus Salzburg rüttelt mit „Srebrenica“auf. Und es gelingt in der Verschränkung von Erzählung und szenischem Spiel viel mehr, als Politik und Nachbarschaftshilfe zu erörtern. Ausstatterin Alexia Engl hat als Bühne in ein strenges Rechteck einige schlichte, weiße Stelen gestellt – als Anordnung für Beobachten, Mitfühlen und Einordnen dessen, was Hasan mitgemacht hat: Welche Bestie steckt in jedem von uns? Wie verhält man sich als aufgehetztes, gieriges und rächendes oder als gepeinigtes, verängstigtes, hungriges Ich? Aber auch: Wie fühlen sich Zusammenhalt und Hilfe an? Und ist Überleben für Hasan ein Glück? Theater: