Salzburger Nachrichten

„Ich habe den Blick für Schönheit verloren“

Die Hölle ist kein Ort im Jenseits. Zum Beispiel hat sie sich 90 Flugminute­n und drei Autostunde­n von Salzburg entfernt, in Srebrenica, abgespielt.

- „Srebrenica“, Schauspiel­haus Salzburg, bis 27. April.

SALZBURG. Die Wildblumen in tausend Farben und die dichten Wälder Bosniens hat Hasan Nuhanović nicht vergessen. Doch diese herrlichen Bilder seiner Heimat sind nun überlagert: Ihm gehen die darunter verscharrt­en Toten nicht aus dem Sinn. „Man brauchte nur irgendwo an der Oberfläche zu kratzen und schon tauchten Hunderte zerrissene Körper auf“, sagt Hasan. Fast ein Vierteljah­rhundert ist das nun her, weswegen er „den Blick für die unglaublic­he Schönheit unseres Landes verloren“geben musste. Im Schauspiel­haus Salzburg ist seit Samstagabe­nd zu erahnen, warum einem das widerfahre­n kann: den Blick für Schönes zu verlieren.

Hasan Nuhanović kam am Samstag nicht zur Premiere, obgleich er der Held des Abends gewesen wäre. Nein: Er war es! Fünf Schauspiel­er riefen seine Geschichte ins Leben zurück – so berührend, dass die Uraufführu­ng von „Srebrenica“ohne Applaus endete. Still verließ das Publikum nach zwei pausenlose­n Spielstund­en den „Studio“genannten kleinen Bühnenraum. Klatschen würde – bei aller Leistung in Regie und Spiel – nicht der Würde jener gerecht, die das hier verfolgbar­e Grauen erlitten haben.

Der Kontakt zu Hasan Nuhanović entstand über „Bauern helfen Bauern“von Doraja Eberle. Daher ist dieses Hilfsproje­kt, das in Bosnien unter anderem Häuser für zurückkehr­ende Flüchtling­e baut und eine Musikschul­e in Srebrenica unterhält, auch Koproduzen­t dieser Uraufführu­ng.

Peter Arp hat Hasan Nuhanović’ Schilderun­gen in Dialoge und Erzähltext­e gefasst und Regie geführt. Ihm ist ein Dokumentar­theater im besten Sinne gelungen. Zum einen dokumentie­rt er, was der mittlerwei­le 50-jährige Hasan, seine Mutter Nasiha, sein Vater Ibro und sein Bruder Braco im Bosnienkri­eg von 1992 bis 1995 erleben mussten – Flucht vor serbischen Aggressore­n, Hunger bis zum Revoltiere­n sowie die in ihrer Hilflosigk­eit höhnischen UNO-Soldaten, unter deren Augen Nasiha, Ibro und Braco in den Tod durch Ermordung müssen. Nur Hasan überlebt, weil er für die UNO als Übersetzer arbeitet.

Zum anderen bewirken Peter Arp und die Schauspiel­er Matthias Hinz, Antony Connor, Ute Hamm, Magnus Pflüger und Ulrike Arp mit theatralen Mitteln, was kein Film und kein Roman bietet: Da ist tatsächlic­hen, lebenden Menschen zuzuschaue­n. Vor allem Matthias Hinz geht in seiner Rolle auf – als hörte und sähe man Hasan Nuhanović, wie er erzählt, mit Vater, Mutter und Bruder redet, streitet, hadert und in der Nacht mit ihnen eine 200 Meter tiefe Schlucht zum Fluchtboot hinunterkl­ettert.

Jetzt sind Gedenkjahr­e hoch im Kurs. Romane, Sachbücher, Filme und Fernsehsen­dungen über „Anschluss“und Nationalso­zialismus haben neue Konjunktur. Doch das zeitlich näher liegende Massaker, der Krieg im Nachbarlan­d wird verdrängt. Dabei sind die Fragen gleich: Wie konnte der größte europäisch­e Genozid seit dem Zweiten Weltkrieg stattfinde­n? Lässt sich so etwas verhindern? Bosnien ist heute Einflussge­biet von Russland, SaudiArabi­en, China und Türkei, doch kaum eines Blickes wert.

Das Schauspiel­haus Salzburg rüttelt mit „Srebrenica“auf. Und es gelingt in der Verschränk­ung von Erzählung und szenischem Spiel viel mehr, als Politik und Nachbarsch­aftshilfe zu erörtern. Ausstatter­in Alexia Engl hat als Bühne in ein strenges Rechteck einige schlichte, weiße Stelen gestellt – als Anordnung für Beobachten, Mitfühlen und Einordnen dessen, was Hasan mitgemacht hat: Welche Bestie steckt in jedem von uns? Wie verhält man sich als aufgehetzt­es, gieriges und rächendes oder als gepeinigte­s, verängstig­tes, hungriges Ich? Aber auch: Wie fühlen sich Zusammenha­lt und Hilfe an? Und ist Überleben für Hasan ein Glück? Theater:

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Matthias Hinz als Hasan Nuhanović .

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