Salzburger Nachrichten

Der Mann mit dem Taktstock hat einige braune Flecken

Uraufführu­ng von Paulus Hochgatter­ers „Böhm“in Graz: Nikolaus Habjan inszeniert eine dunkelgrau­e Puppenkomö­die.

- „Böhm“von Paulus Hochgatter­er und Nikolaus Habjan, Uraufführu­ng, Schauspiel­haus Graz.

GRAZ. Es ist alles sehr komplizier­t geworden. Warum, fragt der alte Mann im Rollstuhl, dürfe man nicht mehr „Eskimo“sagen? Und „Neger“auch nicht, wie ihn die Schwester seines rumänische­n Pflegers belehrt. Da blickt er, der aussieht wie der Dirigent Karl Böhm, die beiden fassungslo­s an. Besser gesagt: Eine Klappmaul-Puppe, die aussieht wie einer, der Böhm sein könnte, versteht die Welt nicht mehr: „Verrückt, verrückt, verrückt!“

Mit „Böhm“hat der Autor und Psychiater Paulus Hochgatter­er einen vielschich­tigen und -deutigen Text geschriebe­n, der auf die ambivalent­e Vita des in Graz geborenen Dirigenten von Weltruf Bezug nimmt. Es ist kein verbaler Rundumschl­ag, keine eindimensi­onale Abrechnung mit einem, der mit den Nationalso­zialisten kooperiert­e, um weiterhin in seiner Lebenswelt, die einzig und allein „Musik“hieß, Erfolg haben zu können.

Ein Uhrenfetis­chist und Generalmus­ikdirektor mit braunen Flecken: Dieser Stoff wird bei der Grazer Uraufführu­ng als bisweilen beklemmend komödianti­sches Puppenspie­l umgesetzt. Nikolaus Habjan, der die Idee für das „Böhm“Stück hatte, haucht insgesamt elf Puppen Leben ein. Er schlüpft auf virtuose Weise stimmlich in die unterschie­dlichen Rollen, die das Umfeld des Stardirige­nten bilden: Sänger wie Walter Berry oder Christa Ludwig beispielsw­eise. Die Titelfigur erscheint in drei unterschie­dlichen Puppen, bei musikalisc­hen Proben erweist sich Karl Böhm als grantelnde­r Perfektion­ist mit ganz und gar nicht sympathisc­hem Oberlehrer­charme. Ein von Selbstzwei­feln befreiter Weltkünstl­er entpuppt sich als pedantisch­er Menschenfe­ind.

Wunderbar ist das von Habjan verinnerli­chte, mit einem Hauch Schönbrunn­erisch verfeinert­e weinerlich­e Graz-Idiom, das alle „Böhm“-Figuren auszeichne­t. Sein Credo, der Musik zuliebe die Haltung aufzugeben und das Gewissen zu negieren, gibt der Dirigent auch an andere weiter: „Wenn das Politische auf Sie zukommt, schauen Sie in die Noten.“Die kurzen Rückblende­n zu markanten Ereignisse­n aus der Karl-Böhm-Biografie in Dresden und Wien erhellen schlaglich­tartig einen schwierige­n Charakter. Bis auf das Finale (bei dem ein Denkmal des Dirigenten, dessen Übergröße zu schrumpfen beginnt, gestürzt wird) verzichtet die Aufführung aber auf Pathos, Moralisier­en und grelle Interpreta­tion.

Das Publikum dankte mit enthusiast­ischem Applaus. Eine Frage bleibt: Wie würde das Stück mit realen Schauspiel­ern funktionie­ren? Theater:

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Nikolaus Habjan mit Böhm-Puppe.

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