Wollen wir die Zukunft gestalten oder erleiden?
Untergangspropheten findet Philipp Blom anstrengend. Dumme Optimisten allerdings noch mehr.
Philipp Blom sitzt zum Interview in einem Hotel mit Blick auf den Traunsee. Wunderschön sei es da, sagt der Historiker. Und trotzdem: Nur dazusitzen und die Gegenwart zu bestaunen sei fahrlässig. SN: Ich bin mit einem älteren Dieselfahrzeug da. Was halten Sie von mir? Philipp Blom: Dafür müsste ich Sie viel besser kennen. Das ist ja nur ein Moment, in dem deutlich wird, dass wir Dinge tun, die wir nicht nur gar nicht tun dürften, sondern auch bald nicht mehr tun können. SN: Mit den drohenden Fahrverboten in Deutschland ist die Debatte über den Klimawandel in allen Wohnzimmern oder Garagen gelandet. Atmen Sie auf? Weniger Feinstaub in der Luft ist sicher ein Grund, tiefer zu atmen. Aber ich glaube nicht, dass die Debatte schon angekommen ist. Wir haben gerade einen kleinen Wintereinbruch gehabt und der hatte viel damit zu tun, dass durch veränderte Wettersysteme arktische Luft südwärts gedrückt wurde, während es in der Arktis diesen Winter 30 Grad zu warm war. Es ist Achterbahn, was da im Moment passiert. Wir wissen noch gar nicht, was passieren wird. Aber wir wissen, dass wir ursächlich daran beteiligt sind. Ich habe mit jemandem gesprochen, der im holländischen Regierungsprogramm arbeitet, um dort Deiche zu organisieren. Und der sagte: „All unsere Wissenschafter sind sich einig: Wir müssen unsere Deiche erhöhen. Worüber sie sich nicht einig sind, ist, ob wir sie um 30 Zentimeter erhöhen müssen oder um sechs Meter.“Das ist die Spannbreite der Ungewissheit, in die wir gehen. SN: Sie haben ein düsteres Buch geschrieben: „Was auf dem Spiel steht“. Was macht Ihnen konkret Sorgen? Es ist kein Untergangsbuch. Ich bin kein Untergangsprophet. Ich bin Historiker. Und als Historiker ist man gewöhnt, eine Zeitepoche systemisch anzusehen. Also: Was sind die großen Kräfte, die am Werk sind? Was verändert die Gesellschaft? Wenn man sich das 21. Jahrhundert ansieht, sind das vor allem der Klimawandel und die Digitalisierung der Arbeit und unseres Alltags. Wir erwarten nicht viel Gutes von der Zukunft. Wir erwarten nicht, dass wir wohlhabender werden, dass wir sicherer werden, dass die Zukunft besser wird für unsere Kinder. Deswegen haben wir uns darauf zurückgezogen, dass zumindest die Gegenwart nicht enden soll. Wir sind eine Gesellschaft, die keine Zukunft will, sondern dass alles so lange wie möglich bleibt, wie es jetzt ist. SN: Warum eigentlich? Jeder will doch, dass es seinen Kindern einmal besser oder zumindest nicht schlechter geht? Vielleicht ist es so: Wir haben dieses „Dass es den Kindern einmal besser geht“ausgelagert an den Staat. Und jetzt müssen wir selbst unser Leben verändern. Das heißt wahrscheinlich, dass wir nicht mehr so viel haben, nicht mehr so viel konsumieren, nicht mehr so oft in die Ferien fahren werden. Dass wir ganz anders über Wirtschaft nachdenken müssen. Dass wir nämlich begreifen müssen, dass Ökonomie nur funktionieren kann und nur dann nicht mörderisch ist, wenn sie Teil der Ökologie ist. SN: Warum appellieren Sie an jeden Einzelnen und nicht an Politiker und Wirtschaftsbosse, die die Rahmenbedingungen schaffen? Wir sind nicht mit großen Politikern gesegnet im Moment. Wir haben sogar in diesem Land einige sehr problematische Politiker an den Hebeln der Macht. Aber es hat keinen Sinn, Politiker-Schelte zu betreiben und zu sagen „Die da oben machen ja eh nix“. Die da oben sind da, weil wir sie gewählt haben. Und weil die uns erzählt haben, was wir hören wollten. Wenn wir andere Dinge von Politikern hören wollen, werden sie auch andere Programme entwickeln. Das ist eine marktwirtschaftliche Überlegung. Es gibt auch Politiker, die von tiefen Überzeugungen getrieben sind und wirklich etwas verbessern wollen, aber vergessen wir nicht: Das ist auch eine Karriere. Und natürlich richten sie sich nach dem Markt der Meinungen und der Stimmungen.
Wenn genug Menschen verlangen: „Ihr müsst jetzt darauf achten, dass wir dieses Land fit für die Zukunft machen, dass wir eine Gesellschaft entwickeln, in der unsere Kinder in 30 Jahren Kinder bekommen können mit gutem Gewissen“, dann wird sich etwas tun. Das ist möglich. Es ist möglich, wenn wir diese Zukunft packen und gestalten und nicht warten, bis sie hoffentlich doch nicht passiert. SN: Kommt die Passivität daher, dass wir in einem Erdteil leben, wo der Klimawandel im Moment noch nicht so spürbar ist wie anderswo? Ist doch schön da. Es ist wunderschön da. Und das ist eine Tragödie insofern, als dass wir sehen, dass die Basis dieses Wohlstands ausgehöhlt wird. Und anstatt dass wir sozusagen unseren jetzigen Wohlstand nutzen, um etwas anderes zu bauen, das dann Bestand haben kann, feiern wir bis zum Morgengrauen. Es geht uns noch sehr gut, wir leben noch in ziemlich stabilen Demokratien und in Gesellschaften, die gerechter sind, als sie das jemals waren.
Aber das birgt nicht nur die Gefahr der Selbstzufriedenheit, sondern auch eine andere Gefahr: Die materiellen Grundlagen dieses Lebensmodells sind immer weniger gegeben und wenn sie irgendwann zu weit aufgebraucht sind, kann die Stimmung sehr schnell umschlagen. Dann kann es sein, dass wir in eine Situation von Panik und Wut geraten, die uns wirklich totalitäre Regime zurückbringt. Weil die Menschen nach Schuldigen suchen und nach einfachen Lösungen. Und nach Sicherheiten und Rückzug und starken Männern. SN: Was kann ein Einzelner ausrichten? Sie persönlich zum Beispiel? Ich habe zum Beispiel kein Auto. Ich bin in einer paradoxen Situation, weil ich viele Vorträge halte, Veranstaltungen besuche oder Festivals. Ich fliege, um Leuten dann zu erzählen: „Wir müssen alle weniger fossile Brennstoffe verbrauchen.“Das ist also eine prekäre Situation.
Auf der anderen Seite: Da immer viele Leute kommen, um sich das anzuhören, glaube ich, dass der Nutzen den Schaden überwiegt. Aber in meinem persönlichen Leben mache ich ganz triviale Dinge: keine Plastiksackerl verwenden, weniger Fleisch essen, Öffis gebrauchen – das sind alles keine unzumutbaren Dinge.
Es hat keinen Sinn zu erwarten, dass wir alle über Nacht Heilige werden. Wir müssen uns nur alle wie erwachsene Menschen verhalten. Natürlich brauchen wir dann auch größere Dinge, einschneidendere Dinge auf höheren Entscheidungsebenen – aber erst einmal müssen wir die Kultur entwickeln und die Prioritäten so verändern, dass wir das unseren Politikern auch abverlangen. Philipp Blom (48) ist in Hamburg aufgewachsen, studierte in Wien Philosophie und Judaistik und promovierte in Oxford in Geschichte. Der Historiker hat mehrere Bücher geschrieben. Sein neuestes Werk über die Konflikte der Gegenwart („Was auf dem Spiel steht“, Hanser Verlag) sorgt für Diskussion. Seit den Recherchen isst Blom weniger Fleisch und achtet darauf, woher seine Kleidung kommt. Dass solch kleine Entscheidungen einen globalen Effekt haben, ist für ihn ein Hoffnungsschimmer. Der Autor lebt in Wien.