Musikfans werden durchleuchtet
Überall, wo Menschen eine Wahl haben, sind Datensammler schnell zur Stelle: Auch im Konzertgeschäft werden Informationen über die Vorlieben der Musikkonsumenten immer wertvoller.
Dass eine halbe Million Menschen auf eine Wiese pilgern, um eine Mischung aus musikalischen Überraschungen, Stau und kreativem Chaos zu erleben, ist heute nur mehr schwer vorstellbar. Trotzdem gilt das Festival, das 1969 in Woodstock stattfand, nach wie vor als Inbegriff aller Rock-Ereignisse. Doch wie wäre Woodstock wohl abgelaufen, wenn es nicht in der Hippie-Ära stattgefunden hätte, sondern im Zeitalter der unvermeidbaren digitalen Vernetzung?
Den legendären Stau hätte es dann vielleicht nie gegeben. Mit den Kontaktdaten aller Fans in der Datenbank hätten die Veranstalter ja zeitgerecht alternative Möglichkeiten zur Anreise vorschlagen können.
Vielleicht würden die Besucher aber auch gar nicht mehr von Musik und freier Liebe träumen, sondern lieber gleich anderen Verlockungen folgen: Der Hinweis, dass die „Happy Hour“beim Bierstand schon begonnen hat, käme ja als Push-Nachricht ebenfalls direkt aufs Smartphone.
Nichts dem Zufall überlassen: Mit diesem Motto wollen auch in der Konzertbranche Veranstalter ihre Zielgruppen möglichst eng an sich binden. Mit der digitalen Revolution ist nicht nur die Sehnsucht nach dem Live-Erlebnis wieder stark gestiegen. Die Möglichkeiten, das Verhalten der Konsumenten zu durchleuchten, sind mitgewachsen. Spezialisten versprechen, das Wahlverhalten der Konsumenten beim Konzertbesuch zu verstehen – und beeinflussen zu können.
„Fesseln Sie Fans und sammeln Sie Daten!“, empfiehlt etwa das USUnternehmen Umbel, das sich auf die Beobachtung der Zielgruppen bei Entertainment- und Sportveranstaltungen spezialisiert hat. Die Strategie wird offen dargelegt: Wer nicht nur Alter, Geschlecht und Kaufkraft der Konsumenten kenne, sondern genauer über deren Vorlieben, Netzaktivitäten und Kaufentscheidungen Bescheid wisse, könne sie gezielter bewerben, also mehr Tickets verkaufen, und mit dieser Bilanz wiederum Sponsoren besser beeindrucken.
Außerdem ließen sich auf Basis typischer Kundenprofile sogenannte „lookalikes“suchen, also Konsumenten mit ähnlichem Profil, und ebenfalls punktgenau umwerben. „Der Heilige Gral in unserem Geschäft ist die komplette soziale Vermessung der Zielgruppen“, heißt es in einer Presseaussendung des Unternehmens mit Sitz in Austin. Der Dienst setzt auf Gewinnspiele, FanUmfragen, Surfverhalten und Informationen aus sozialen Medien, die Nutzer preisgeben.
Wenn Konzertbesucher ihre Eintrittskarten bezahlt haben, ist die Datensammlung für Veranstalter freilich noch nicht komplett. Auch das Verhalten der Konsumenten während des Ereignisses macht Marketingstrategen neugierig. Viele große Festivals haben bereits Systeme für das bargeldlose Bezahlen auf dem Gelände eingeführt. Manche setzen auf Armbänder mit einem Funk-Chip (RFID). Vor dem Besuch laden die Nutzer das Armband mit einem Wertguthaben auf. Der Chip speichert somit das Konsumverhalten: Ob ein Konzertbesucher fünf Bier und einen Hotdog gekauft hat, ist digital dokumentiert.
Bei einem Podiumsgespräch, das auf der Salzburger „Karajan Music Tech Conference“stattfand, erkannte Expertin Fiona McMartin darin noch keinen Grund zur Besorgnis: „Nach fünf Bier bekommen viele Lust auf einen Hotdog“, wandte sie in der Debatte um die Überwachbarkeit der Besucher scherzhaft ein. In dem Gespräch erörterten Branchenprofis die Fragen, wie Datensammel-Technologien den Konzertsektor verändern und wie sich die heuer in Kraft tretende Datenschutz-Grundverordnung im Musikbetrieb auswirken könnte.
In London, berichtete Moderatorin Kathleen Alder, hätten einzelne Veranstalter längst begonnen, ihre Klientel mit maßgeschneiderten Angeboten einzudecken: etwa mit Informationen zu Verkehr und Parksituation am Ereignistag, wenn in der Datenbank gespeichert sei, dass der Konsument am liebsten mit dem Auto zum Konzert komme. Auch ein Hinweis auf die Happy Hour in der Bar nebenan sei denkbar, wenn man ohnehin schon wisse, dass der Besucher auch Gin-Tonic-Fan sei. Woodstock war einmal.
Im Klassikbetrieb könnte das wachsende Datenwissen unterdessen auch organisatorisch viel verändern, sagte Ole Baekhøj, Chef des Berliner Boulez-Saals. Bisher würden klassische Veranstalter in Saisonprogrammen denken. Wer seine Zielgruppe genauer kenne, könne „Konzerte auch kurzfristig ansetzen und kommunizieren“.
Überraschend sensibel zeigte sich der Heavy-Metal-Sektor: „Wir gehen mit Daten sehr vorsichtig um“, sagte Leander Schlicht vom Veranstalter des Wacken Open Air: „Beim Festivalbesuch wollen Fans das Gefühl von Privatheit haben.“
„Die Vermessung der Zielgruppe ist der Heilige Gral dieses Geschäfts.“