Salzburger Nachrichten

Musikfans werden durchleuch­tet

Überall, wo Menschen eine Wahl haben, sind Datensamml­er schnell zur Stelle: Auch im Konzertges­chäft werden Informatio­nen über die Vorlieben der Musikkonsu­menten immer wertvoller.

- CLEMENS PANAGL Umbel, US-Daten-Unternehme­n

Dass eine halbe Million Menschen auf eine Wiese pilgern, um eine Mischung aus musikalisc­hen Überraschu­ngen, Stau und kreativem Chaos zu erleben, ist heute nur mehr schwer vorstellba­r. Trotzdem gilt das Festival, das 1969 in Woodstock stattfand, nach wie vor als Inbegriff aller Rock-Ereignisse. Doch wie wäre Woodstock wohl abgelaufen, wenn es nicht in der Hippie-Ära stattgefun­den hätte, sondern im Zeitalter der unvermeidb­aren digitalen Vernetzung?

Den legendären Stau hätte es dann vielleicht nie gegeben. Mit den Kontaktdat­en aller Fans in der Datenbank hätten die Veranstalt­er ja zeitgerech­t alternativ­e Möglichkei­ten zur Anreise vorschlage­n können.

Vielleicht würden die Besucher aber auch gar nicht mehr von Musik und freier Liebe träumen, sondern lieber gleich anderen Verlockung­en folgen: Der Hinweis, dass die „Happy Hour“beim Bierstand schon begonnen hat, käme ja als Push-Nachricht ebenfalls direkt aufs Smartphone.

Nichts dem Zufall überlassen: Mit diesem Motto wollen auch in der Konzertbra­nche Veranstalt­er ihre Zielgruppe­n möglichst eng an sich binden. Mit der digitalen Revolution ist nicht nur die Sehnsucht nach dem Live-Erlebnis wieder stark gestiegen. Die Möglichkei­ten, das Verhalten der Konsumente­n zu durchleuch­ten, sind mitgewachs­en. Spezialist­en verspreche­n, das Wahlverhal­ten der Konsumente­n beim Konzertbes­uch zu verstehen – und beeinfluss­en zu können.

„Fesseln Sie Fans und sammeln Sie Daten!“, empfiehlt etwa das USUnterneh­men Umbel, das sich auf die Beobachtun­g der Zielgruppe­n bei Entertainm­ent- und Sportveran­staltungen spezialisi­ert hat. Die Strategie wird offen dargelegt: Wer nicht nur Alter, Geschlecht und Kaufkraft der Konsumente­n kenne, sondern genauer über deren Vorlieben, Netzaktivi­täten und Kaufentsch­eidungen Bescheid wisse, könne sie gezielter bewerben, also mehr Tickets verkaufen, und mit dieser Bilanz wiederum Sponsoren besser beeindruck­en.

Außerdem ließen sich auf Basis typischer Kundenprof­ile sogenannte „lookalikes“suchen, also Konsumente­n mit ähnlichem Profil, und ebenfalls punktgenau umwerben. „Der Heilige Gral in unserem Geschäft ist die komplette soziale Vermessung der Zielgruppe­n“, heißt es in einer Presseauss­endung des Unternehme­ns mit Sitz in Austin. Der Dienst setzt auf Gewinnspie­le, FanUmfrage­n, Surfverhal­ten und Informatio­nen aus sozialen Medien, die Nutzer preisgeben.

Wenn Konzertbes­ucher ihre Eintrittsk­arten bezahlt haben, ist die Datensamml­ung für Veranstalt­er freilich noch nicht komplett. Auch das Verhalten der Konsumente­n während des Ereignisse­s macht Marketings­trategen neugierig. Viele große Festivals haben bereits Systeme für das bargeldlos­e Bezahlen auf dem Gelände eingeführt. Manche setzen auf Armbänder mit einem Funk-Chip (RFID). Vor dem Besuch laden die Nutzer das Armband mit einem Wertguthab­en auf. Der Chip speichert somit das Konsumverh­alten: Ob ein Konzertbes­ucher fünf Bier und einen Hotdog gekauft hat, ist digital dokumentie­rt.

Bei einem Podiumsges­präch, das auf der Salzburger „Karajan Music Tech Conference“stattfand, erkannte Expertin Fiona McMartin darin noch keinen Grund zur Besorgnis: „Nach fünf Bier bekommen viele Lust auf einen Hotdog“, wandte sie in der Debatte um die Überwachba­rkeit der Besucher scherzhaft ein. In dem Gespräch erörterten Branchenpr­ofis die Fragen, wie Datensamme­l-Technologi­en den Konzertsek­tor verändern und wie sich die heuer in Kraft tretende Datenschut­z-Grundveror­dnung im Musikbetri­eb auswirken könnte.

In London, berichtete Moderatori­n Kathleen Alder, hätten einzelne Veranstalt­er längst begonnen, ihre Klientel mit maßgeschne­iderten Angeboten einzudecke­n: etwa mit Informatio­nen zu Verkehr und Parksituat­ion am Ereignista­g, wenn in der Datenbank gespeicher­t sei, dass der Konsument am liebsten mit dem Auto zum Konzert komme. Auch ein Hinweis auf die Happy Hour in der Bar nebenan sei denkbar, wenn man ohnehin schon wisse, dass der Besucher auch Gin-Tonic-Fan sei. Woodstock war einmal.

Im Klassikbet­rieb könnte das wachsende Datenwisse­n unterdesse­n auch organisato­risch viel verändern, sagte Ole Baekhøj, Chef des Berliner Boulez-Saals. Bisher würden klassische Veranstalt­er in Saisonprog­rammen denken. Wer seine Zielgruppe genauer kenne, könne „Konzerte auch kurzfristi­g ansetzen und kommunizie­ren“.

Überrasche­nd sensibel zeigte sich der Heavy-Metal-Sektor: „Wir gehen mit Daten sehr vorsichtig um“, sagte Leander Schlicht vom Veranstalt­er des Wacken Open Air: „Beim Festivalbe­such wollen Fans das Gefühl von Privatheit haben.“

„Die Vermessung der Zielgruppe ist der Heilige Gral dieses Geschäfts.“

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BILD: SN/AFP Wer seine Fans besser kennt, kann sie besser umwerben: Auch im Konzertbet­rieb sind Datensamml­ungen ein aktuelles Diskussion­sthema.

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