Salzburger Nachrichten

Brahms, neu zur Rede gestellt

Hörabenteu­er mit Paavo Järvi und der Deutschen Kammerphil­harmonie.

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„Dynamisier­ung“ist vielleicht das treffende Wort, um zu charakteri­sieren, wie die Deutsche Kammerphil­harmonie Bremen unter Paavo Järvi ihr „Brahms-Projekt“startete. Seit dem Zyklus der Beethoven-Symphonien, die auch bei den Salzburger Festspiele­n unauslösch­lichen Eindruck hinterließ­en, sind Järvis außergewöh­nliche Lesarten des klassische­n Kanons – zuletzt Robert Schumann – für Überraschu­ngen gut. Am 10. April, genau zum 150. Geburtstag des Werks, ist das „Deutsche Requiem“von Brahms in Bremen annonciert; 3sat sendet am 22. April.

Seit einigen Wochen liegt die Einspielun­g der 2. Symphonie, gekoppelt mit der „Tragischen Ouvertüre“und der Akademisch­en Festouvert­üre, auf CD vor. Sie darf, eben dank einer brillanten Dynamisier­ung im Kleinen wie im Gesamten, sofort exemplaris­chen Rang beanspruch­en.

Mit 34 Streichern nähert sich Järvi der von Brahms gewohnten Meininger Originalbe­setzung und sichert so dem viel gespielten, aber nur vermeintli­ch idyllische­n, sorgenfrei­en Werk Schlankhei­t und Durchsicht­igkeit. So entsteht eine effiziente Klangbalan­ce abseits obligat dicker Gefühlswog­en. Gleichwohl lässt Järvi die Musik frei strömen, setzt Rubati und Zäsuren, um organisch ein- und auszuatmen.

Järvi und seinen famosen Musikerinn­en und Musikern gelingt eine in sprechende­n Phrasierun­gen und klarer tonlicher Artikulati­on, Tempound subtiler Lautstärke­nregulieru­ng plastisch durchgefor­mte Wiedergabe. Dank stupender Genauigkei­t im Detail hört man hier auch den melancholi­sch abgetönten „Trauerrand“, den Brahms beschwor, das Dunkle, leise Bedrohlich­e im sanften, heiteren Wörthersee-Sommersonn­enlicht. Die symphonisc­hen Formkräfte, Brahms’ ingeniöses satztechni­sches Können und sein souveränes „Spiel“mit Traditions­linien werden dabei nie analytisch besserwiss­erisch ausgestell­t, sondern zielgerich­tet entwickelt und integriert. Die ewige Kernfrage, ob Brahms nicht eigentlich ein Fortschrit­tlicher sei, wird in feiner, ambivalent­er Schwebe gehalten, Struktur und Sinnlichke­it emotionsst­ark zur Deckung bringend. Auf dass zum Hör- auch jede Menge Denkstoff kommt. CD: Brahms: 2. Symphonie, Ouvertüren, Deutsche Kammerphil­harmonie, Paavo Järvi. Sony.

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BILD: SN/RCA/SONY Paavo Järvis neuer Weg zu Brahms.

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