Salzburger Nachrichten

Aussagen Zuckerberg­s „sehr bedenklich“

Andrea Jelinek ist die ranghöchst­e Datenschut­zbeauftrag­te der EU. Im SN-Interview bezieht die Wienerin Stellung zum Facebook-Skandal. Sie spricht aber auch über die Datenschut­zverordnun­g – und nimmt die Angst vor drakonisch­en Strafen.

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Die ranghöchst­e EU-Datenschut­zbeauftrag­te kritisiert den Facebook-Chef und nimmt die Angst vor drakonisch­en Strafen durch strengere Datenschut­zbestimmun­gen.

Der Datenskand­al um Facebook ist der wohl aufsehener­regendste der Geschichte. Und eine Wienerin muss maßgeblich mitentsche­iden, wie auf EU-Ebene mit der Affäre umgegangen wird: Seit Anfang Februar leitet Andrea Jelinek die Artikel-29-Datenschut­zgruppe der EU. Läuft alles nach Plan, wird sie ab 25. Mai – wenn die neue EU-Datenschut­z-Grundveror­dnung eingeführt wird – Leiterin des European Data Protection Boards, dem neu geschaffen­en EU-Gremium für Datensiche­rheit. Parallel steht Jelinek auch der heimischen Datenschut­zbehörde vor.

SN: Frau Jelinek, sind Sie auf Facebook? Andrea Jelinek: Ja, bin ich.

SN: Darf ich nach dem Grund fragen? Ich glaube, dass es erforderli­ch ist, Social Media zu nutzen, um beurteilen zu können, was dort passiert.

SN: Und haben Sie in den vergangene­n Wochen nie mit dem Gedanken gespielt, sich von Facebook zu verabschie­den? Ich bin kein „heavy user“(Dauernutze­r, Anm.). Aber natürlich muss man sich das genau überlegen – weil man mittlerwei­le sehr, sehr klar weiß, dass es auf Facebook zu Problemen kommen kann. Mark Zuckerberg hat auch erst kürzlich gesagt, dass es sehr lange dauern wird, die Probleme zu lösen. Das sind, sagen wir mal, sehr bedenklich­e Aussagen.

SN: Würden Sie also empfehlen, dem „#DeleteFace­book“-Aufruf zu folgen? Ich gebe keine Empfehlung ab. Aber grundsätzl­ich sollte man sehr genau bedenken, wem man seine Daten zu welchen Zwecken zur Verfügung stellt.

SN: Wie beurteilen Sie den Skandal? Wer hat Ihrer Meinung nach welche Fehler gemacht? Der Fall wird von der britischen Datenschut­zbehörde untersucht, da das Unternehme­n, das hauptsächl­ich betroffen ist (Cambridge Analytica, Anm.), in britischem Hoheitsgeb­iet sitzt. Natürlich arbeiten wir eng zusammen. Ich fände es aber falsch, wenn ich den Kollegen über die Medien etwas ausrichten würde. Der Austausch sollte sich zwischen den Behörden abspielen und nicht über Medien. Zudem müssen wir erst abwarten, welche Daten von welchen Nutzern betroffen sind.

SN: Deutschlan­d hat angekündig­t, hinterfrag­en zu lassen, ob deutsche Nutzer betroffen sind. Haben Sie das auch für Österreich gemacht? Sie können sich sicher sein, dass das nicht eine Idee ist, die nur die deutschen Kollegen hatten.

SN: Und muss sich nicht auch Ihr EU-Gremium mit Facebook befassen? Das beschäftig­t sich grundsätzl­ich mit Facebook – nicht erst seit dem 20. März. Und wir haben dazu schon Stellung bezogen: Personenbe­zogene Daten können nicht verwendet werden, ohne transparen­t zu machen, wie diese verarbeite­t werden und mit wem sie geteilt werden. Deshalb handelt es sich um eine sehr ernste Anschuldig­ung mit weitreiche­nden Konsequenz­en für den Datenschut­z des Einzelnen und den demokratis­chen Prozess.

SN: Haben Sie schon konkrete Maßnahmen im Kopf? Natürlich machen wir uns darüber Gedanken. Aber das besprechen wir innerhalb der Gruppe.

SN: Wird die neue EU-Datenschut­z-Grundveror­dnung (DSGVO) solchen Datenhande­lspraktike­n künftig einen Riegel vorschiebe­n? Die Facebook-Nutzer haben ja auch im aktuellen Fall zugestimmt, dass ihre Daten weiterverw­endet werden. Sie haben aber nicht zugestimmt, dass die Daten ihrer Facebook-Freunde weiterverw­endet werden. Das hätte sowieso nie sein dürfen. Aber ja, die Zustimmung­sbedingung­en werden mit der DSGVO wesentlich strikter werden, alles wird wesentlich transparen­ter.

SN: Aber ist das nicht ein Kampf gegen Windmühlen? Machen Facebook & Co. nicht sowieso, was sie wollen? Das glaube ich eigentlich nicht. Und wenn es nur aufgrund der Angst vor Strafen ist. Ich bin überzeugt, dass Unternehme­n jeder Größenordn­ung grundsätzl­ich daran interessie­rt sind, gesetzesko­nform zu agieren. Seit der Datenskand­al bekannt geworden ist, hat die Facebook-Aktie um 50 Milliarden Dollar an Wert verloren. Hätte man einen Bruchteil dessen in datenschut­zfreundlic­he Maßnahmen investiert, wäre es nie zu dem Skandal gekommen.

SN: Aber wenn man dem Datenhande­l einen Riegel vorschiebt, zerstört man dann nicht das Geschäftsm­odell der Social-Media-Riesen? Ich bin nicht für das Geschäftsm­odell von Social-Media-Unternehme­n zuständig. Ich bin zuständig für das Einhalten der Vorschrift­en.

SN: Es könnte aber auch die Folge haben, dass Facebook, Google & Co. ihre Dienste vergebühre­n. Die Nutzer zahlen jetzt schon – mit ihren Daten. Denken Sie an den Fischer Weltalmana­ch: Der hat früher schon mal 20.000 Schilling gekostet, umgerechne­t grob 1500 Euro. Wie kann jemand annehmen, dass dieses gesamte Wissen nun nichts mehr kosten kann? Doch das trifft nicht nur auf Google oder Facebook zu. Das gilt auch für Kundenkart­en beim kleinen Geschäft um die Ecke. Die geben Ihnen doch keine Vergünstig­ungen und gratuliere­n Ihnen zum Geburtstag, weil sie so nett sind.

SN: Sie appelliere­n an die Eigenveran­twortung der Nutzer. Ja klar, ein bisschen Eigenveran­twortung hab ich als Nutzer dann schon. Wir sind ja allesamt keine Idioten. Wir ziehen Kinder groß, wir fliegen Flugzeuge, wir reisen zum Mond. Aber natürlich gehört auch dazu, dass sich die Unternehme­n an Regeln halten.

SN: Was sagen Sie all jenen, die behaupten, die DSGVO sei für Google & Co. eingeführt worden – macht aber kleinen Betrieben viel mehr zu schaffen? Auch die kleinen Betriebe hatten die Möglichkei­t, sich lange vorzuberei­ten. Die Wirtschaft­skammer hat dazu ganz viel Informatio­n gebracht, auch wir haben viel gemacht. Dazu kommt, dass nur Unternehme­n betroffen sind, die personenbe­zogene Daten sammeln. Der Bäcker, der nur Semmeln verkauft, braucht keine Angst haben.

SN: Aber müssen die anderen Betriebe Angst haben – etwa vor drakonisch­en Strafen? Solchen Ängsten kann man durch Lesen begegnen: In Artikel 83 der DSGVO steht, dass die Strafen wirksam, abschrecke­nd, aber auch verhältnis­mäßig sein müssen. Der Verhältnis­mäßigkeits­grundsatz ist wesentlich. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass wir Herrn XY, der eine kleine Firma betreibt, mit 20 Millionen strafen? Die Panik vor der Geldkeule ist unangebrac­ht. Zumal wir ja auch Warnungen und Verwarnung­en ausspreche­n können.

SN: Haben Sie einen allgemeine­n Ratschlag, wie Unternehme­n mit der DSGVO umgehen sollen? Wer jetzt noch nicht mit der Umsetzung begonnen hat, für den kann es unangenehm werden. Aber jeder Tag zählt. Ich gebe den Ratschlag der EU-Kommission weiter: ruhig bleiben und arbeiten.

Andrea Jelinek ist studierte Juristin. Die 57-Jährige war die erste Frau, die ein Polizeikom­missariat in Wien geleitet hat. Später war sie etwa als Chefin der Wiener Fremdenpol­izei tätig. Seit 2014 steht sie an der Spitze der heimischen Datenschut­zbehörde. Dies bleibt sie auch parallel zu ihren neuen Funktionen auf EU-Ebene.

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BILD: SN/APA Big Brother is watching you: Der Facebook-Datenskand­al zieht immer weitere Kreise.
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