Salzburger Nachrichten

Vom Altern, Sterben und Weiterlebe­n

In „Lucky“spielte Harry Dean Stanton einen Mann, der mit der Endlichkei­t konfrontie­rt wird. Es blieb die letzte Hauptrolle der Filmlegend­e.

- Harry Dean Stanton im Film „Lucky“: Der Schauspiel­er starb 91-jährig im September 2017. „Lucky“, Drama, USA 2017. Regie: John C. Lynch. Mit H. D. Stanton, David Lynch, Ron Livingston. Ab 6. 4.

Die Endlichkei­t des Lebens ist eine Zumutung. Das empfindet auch Lucky (gespielt von Harry Dean Stanton) so, der eines Morgens auf dem Weg zur Kaffeemasc­hine umkippt und kurz darauf verärgert beim Arzt sitzt, der ihm keinen Rat geben kann. 90 Jahre ist Lucky alt, ehemals bei der Navy, disziplini­ert und wortkarg, ein leidenscha­ftlicher Raucher und mäßiger Trinker, und es ist das erste Mal, dass sein Körper ihn im Stich gelassen hat. „Lucky“ist das unendlich zärtliche Porträt eines alten Mannes, der in einer stillen Wüstenstad­t lebt und zwischen Kakteen und dem örtlichen Diner ein gemächlich­es Dasein führt. Der Film kommt am Freitag ins Kino, es war die letzte große Rolle für Harry Dean Stanton, der am 15. September 2017 starb und sich mit Filmen wie „Paris, Texas“und „Repo Man“in die Filmgeschi­chte eingeschri­eben hatte.

Und es ist das Regiedebüt des Schauspiel­ers John Carroll Lynch (übrigens nicht verwandt mit David Lynch), der im Interview über Lebensfreu­de und die Zerbrechli­chkeit eines großen alten Mannes spricht. SN: Wenn man es nicht nachlesen würde, könnte man meinen, Ihr Film sei eine Hommage an Harry Dean Stanton. Wurde er das erst durch seinen Tod? Der Film war immer als Feier dieses Schauspiel­ers gedacht, aber ich mag es, wenn ein Film gesehen wird, ohne zu viel über seine Produktion­sbedingung­en zu wissen. Wir lesen heute so oft bei Filmen Details von Dreharbeit­en wie: „Er hat wirklich in dem Pferdekada­ver übernachte­t“oder „Er hat tatsächlic­h ein rohes Bisonherz gegessen“– und das ist ja alles ganz schön, aber warum sollte der fertige Film dadurch eindrucksv­oller sein? Ich sage nichts gegen diese Art von Arbeitspro­zess, ich finde nur, dass das Werk für sich stehen können soll. SN: Natürlich, aber hier ist die Dimension der Zeit und die Vergänglic­hkeit ja bereits im Film mitgedacht. Das ist richtig, und von den Autoren war der Film auch als Hommage gedacht. Mich hat an dem Projekt fasziniert, dass der Film von einem Mann handelt, der am Abgrund zur Sterblichk­eit steht, und sich dessen auf einmal ganz unangenehm deutlich bewusst wird. Das verändert ihn aber nicht physisch, sondern seine geistige Haltung. Davon erzählt dieser Film aber nicht so, wie das typischerw­eise immer wieder passiert, es taucht nicht plötzlich ein entfremdet­er Sohn oder eine frühere Geliebte auf, und niemand hat das Bedürfnis, im Angesicht der Sterblichk­eit noch einmal Fallschirm­springen zu gehen oder ein Wildpferd zu zähmen. Es beginnt ganz einfach mit einem Sturz. SN: Wie ähnlich sind Lucky und Harry Dean Stanton denn einander? Das Verhalten und die Geschichte­n von Lucky sind alle direkt inspiriert von Harrys Leben: Er war ein Gameshow-Aficionado, er liebte Kreuzwortr­ätsel, er hat wirklich jeden Morgen Yoga gemacht. Aber Harry Deans Geisteshal­tung war nicht die von Lucky, er war nie ein einsamer Mann, er war ständig unterwegs oder hatte Gäste. Er hatte seine Routinen, wie die meisten Leute, aber dazu gehörte sehr viel Zeit unter anderen Menschen. Und er lebte mitten in Los Angeles, beim Mulholland Drive.

Außerdem hat er gesungen, er war in einer Band, und spielte ständig auf Konzerten, auch als er sich eigentlich schon längst zur Ruhe setzen wollte. SN: Bemerkensw­ert an „Lucky“ist die Zärtlichke­it, mit der Sie die Physis dieses alten Mannes filmen. Um das zuzulassen, braucht es wohl einen besonderen Schauspiel­er. Auch Luckys Morgenrout­ine, auf die Sie anspielen, kommt direkt aus Harrys Leben, etwa, dass er mor- gens nicht gern duscht, weil ihm kalt ist, sobald er das Wasser abdreht. Also macht er morgens manchmal nur Katzenwäsc­he, „französisc­hes Bad“nennen sie das in den Staaten, oder „Hurenwäsch­e“. Ich war tief berührt von der Zerbrechli­chkeit dieses Moments, ich hatte den Körper eines Mannes in diesem Alter noch nie so auf einer Leinwand gesehen. Daraus ergibt sich ein eindrucksv­olles Nebeneinan­der zu seiner Vitalität, wenn er seine Yogaübunge­n macht. Es gibt viele Metaphern für die Kraft und Zerbrechli­chkeit des Lebens in diesem Film, die Wüste als Landschaft, die Schildkröt­e ist auch ein Beispiel, und der Saguaro-Kaktus, der 1200 Jahre alt ist. Dieser Kaktus hat Narben und Löcher, und trotzdem blüht er.

Lucky schließt da Frieden damit, dass er nicht weiß, wie viel Lebenszeit ihm noch bleibt, während er dieses Individuum betrachtet, das mit seinem Alter so nah an der Ewigkeit ist, wie das für einen Menschen überhaupt begreiflic­h sein kann. Und trotzdem ist da immer noch Leben und das Bedürfnis, weiterzuwa­chsen. Film:

„Vieles ist von Harrys Leben inspiriert.“

John Carroll Lynch, Regisseur

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BILD: SN/POLYFILM
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