„Bis in die Zehenspitzen radikalisiert“
Lorenz K. soll im Namen des „Islamischen Staats“Terroranschläge geplant haben. Wie sich der 19-Jährige vor Gericht verantwortet.
WIEN. Lorenz K. trug Vollbart, war an den Armen tätowiert und machte einen auftrainierten Eindruck. Nichts erinnerte daran, dass er erst 19 Jahre alt ist. Seinetwegen herrschte am Mittwoch im Wiener Straflandesgericht höchste Alarmstufe. Vor dem Gerichtssaal wurde eine zweite Sicherheitsschleuse errichtet, die Justizwache marschierte mit schusssicheren Westen auf.
Die Vorwürfe gegen den Teenager mit albanischen Wurzeln sind massiv: Laut Anklage wollte Lorenz K. im November 2016 einen zwölfjährigen Buben zu einem Selbstmordanschlag auf einen Weihnachtsmarkt im deutschen Ludwigshafen anstiften. Danach habe er ein weiteres Attentat mittels Rohrbombe auf den Militärstützpunkt Ramstein geplant. Der Staatsanwalt umrahmte sein mehr als einstündiges Eröffnungsplädoyer mit zahlreichen drastischen Formulierungen. Den Beschuldigten bezeichnete er etwa als „bis in die Zehenspitzen radikalisiert“. Der damals 17-jährige K. knüpfte via Internet Kontakte zur Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) und wurde Mitglied, indem er einen Eid ablegte. In unzähligen Chats mit Gleichgesinnten versicherte man sich: Der Feind, den es zu bekämpfen gilt, sind die „Kuffar“, die sogenannten Ungläubigen. „Die sozialen Netzwerke sind die Brutstätte der Radikalisierung“, legte der Ankläger nach. Anschließend war Lorenz K. eine weitere Stunde zum Schweigen verurteilt. Denn sein Verteidiger wurde nicht müde zu betonen, dass der Angeklagte vor allem eines sei – ein Opfer. Der wahre „Strippenzieher“sei dessen IS-Kontaktmann gewesen. Sowohl K. als auch der Zwölfjährige seien „Marionetten“gewesen, die der große Unbekannte habe „tanzen lassen“. Der Anwalt sprach von Gehirnwäsche und Manipulation im großen Stil. Die von K. geäußerten Anschlagspläne titulierte er als „jugendliche Hirngespinste“. Selbst eine in einem Park in Neuss (Nordrhein-Westfalen) gezündete Testbombe sei nicht mehr als ein „besserer Böller“gewesen.
Als Lorenz K. schließlich zu Wort kam, erzählte der 19-Jährige von einer behüteten und konfessionslosen Kindheit in Neunkirchen (Niederösterreich). Der Wendepunkt sei 2014 gekommen, als er auf „die falschen Leute“getroffen sei. Es folgten Körperverletzung, Nötigung und schlussendlich schwerer Raub, der den Jugendlichen für insgesamt neun Monate hinter Gitter brachte. Dort sei er mit dem Islam in Kontakt gekommen. „Er hat mir Kraft gegeben“, sagt Lorenz K. Die ersten Videos von Hasspredigern sah er allerdings erst in den Unterrichtspausen in der Berufsschule. K. schloss positiv ab und bekam eine Lehrstelle. Dass er im Gefängnis saß, verschwieg er seinem Chef. Als der davon erfuhr, warf er K. raus.
Der Teenager zog sich zurück und verbrachte nur noch Zeit am Computer. In der virtuellen Welt knüpfte er fatale Verbindungen. Bevor sein Schützling in Ludwigshafen mit einem Bombengürtel Richtung Weihnachtsmarkt marschierte, chattete Lorenz K. drei Tage fast ohne Unterbrechung mit ihm. Auch seine „Ehefrau“lernte K. im Netz kennen. Als die beiden von einem „Hinterhof-Imam“(Zitat Verteidiger) getraut wurden, hatten sie sich kurz davor das erste Mal gesehen.
Dass es der mittlerweile 14-Jährige, der heute, Donnerstag, mittels Videokonferenz zugeschaltet werden soll, nicht schaffte, den Sprengsatz am Weihnachtsmarkt zu zünden, war laut Staatsanwalt „eine glückliche Fügung“. Denn die mit Nägeln gespickte Bombe, so fanden Gutachter wenig später heraus, war funktionstüchtig.