Salzburger Nachrichten

Kopftuch, Kreuz und Leistung

Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) will keine großen Reformen im Schulsyste­m, sondern es permanent weiterentw­ickeln.

-

Schule geht (fast) alle an. Aber was hat der neue Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) vor? SN: Die frühere Bundesregi­erung hat die Neue Mittelschu­le eingeführt, die jetzige Regierung plant bereits Änderungen. Im Schulberei­ch jagt eine Reform die nächste. Alles sehr unübersich­tlich. Worauf müssen sich die Österreich­er einstellen? Heinz Faßmann: Widerspruc­h. Es gibt keine Absicht, das Schulsyste­m insgesamt zu reformiere­n. Es wurde schon viel reformiert und man braucht einen langen Atem, um zu messen, ob sich etwas durch Reformen ändert. Da sind die Medien und die Politik manchmal zu ungeduldig. In der Neuen Mittelschu­le wird lediglich geprüft, ob die siebenteil­ige Notenskala zweckvoll ist und ob die Ressourcen beim Team Teaching (zwei Lehrer unterricht­en gemeinsam, Anm.) gut eingesetzt sind. Man muss mir gestatten, solche Änderungen am System vorzunehme­n. SN: In den Volksschul­en werden Noten wieder zur Pflicht, die Regierung spricht davon, dass die Noten wieder die Leistung der Schüler spiegeln sollen. Kommt mit Ihnen der Leistungsg­edanke verstärkt in die Schulen zurück? Ich bin mir unsicher, ob man das so auf den Punkt bringen kann. Die Schule soll den Kindern die Freude am Lernen nahebringe­n, sie zu kritischen Bürgern erziehen. Aber es muss klar sein, dass im Endeffekt eine gewisse Leistung erbracht und diese auch abgefragt werden muss. SN: Apropos Leistung. Sie planen auch neue Aufnahmekr­iterien für die AHS. Das Verfahren soll neu geregelt werden. Bereits jetzt gibt es in der dritten Volksschul­e informelle Kompetenzm­essungen. Diese werden weiterentw­ickelt und sollen Grundlage für ein offenes Eltern-Lehrer-Gespräch sein. Dabei sollte klarwerden, welche Schule und welcher weitere Bildungswe­g für die Qualifikat­ion und die Talente der Kinder am besten sind. SN: Soll damit auch Druck von den Lehrern genommen werden, die ja mit den Wünschen der Eltern konfrontie­rt sind, ihr Kind in eine AHS zu schicken? Ja, das ist auch ein Ziel. Eine objektiver­e Beurteilun­g macht ein ElternLehr­er-Gespräch sicher leichter. Die Lehrer können dann darauf hinweisen, dass aufgrund dieser Testergebn­isse ein bestimmter Bildungswe­g optimal wäre. SN: Es gibt inzwischen viele Tests für Schüler. Was halten Sie generell von den vielen Prüfungen, etwa von PISA? Man sollte Tests nicht überschätz­en, sie sind aber wichtig, um festzustel­len, wo unser Bildungssy­stem oder unsere Universitä­ten internatio­nal stehen. Es macht einen Unterschie­d, ob wir beispielsw­eise bei einem Universitä­tsranking auf dem zehnten oder hundertste­n Platz liegen. Ob die Messung zu einem Rang 90 oder 92 führt, ist hingegen völlig irrelevant. SN: Lernen die Kinder jetzt eigentlich für das Leben, die Schule oder den PISA-Test? Sie lernen natürlich für das Leben. Oder egoistisch­er ausgedrück­t, jeder Schüler lernt für sich selbst, um sich eine neue, intellektu­elle Welt zu erschließe­n. Aber das ist nicht immer die Realität, manchmal lernt man auch für die Eltern oder Großeltern oder die Lehrerin, aber das ist eine andere Geschichte. SN: Ist die Schule eigentlich zu sehr eine Produktion­sstätte für die Wirtschaft geworden, die vor allem optimale Arbeitnehm­er produziert? In unserem Bildungssy­stem ist das relativ klar und gut geregelt. Es geht um beides, um eine Arbeits- und Bildungsor­ientierung. Die AHS geht dabei eher in Richtung Bildungsor­ientierung, mit allgemeing­ebildeten Absolvente­n, die berufsbild­enden Schulen verfolgen stärker eine Ausbildung­sorientier­ung. Dabei muss aber geachtet werden, nicht zu spezifisch für den Arbeitsmar­kt auszubilde­n, denn Berufe verändern sich ständig. Schüler fit für diese Veränderun­gen zu machen, ist mir ein besonders wichtiges Anliegen. SN: Am Ende einer höheren Schule steht die Matura. Gleichzeit­ig führen immer mehr Universitä­ten Eingangspr­üfungen ein. Die Matura als Türöffner für ein Studium wird da ja immer mehr obsolet. Da muss ich abermals Widerspruc­h einlegen. Die Matura berechtigt nach wie vor zum Studium. Manche Studien haben aber zu wenige Kapazitäte­n für die Anzahl der Interessie­rten. In so einem Fall gibt es ein Zugangsman­agement, um die am besten geeigneten zuzulassen. 88 Prozent aller Studiengän­ge an Österreich­s Hochschule­n sind aber weiterhin ungehinder­t mit der Matura zu besuchen. Das Bild der sich abschotten­den Hochschule­n kann ich nicht nachvollzi­ehen SN: Sie sind nicht nur Bildungsmi­nister, sondern auch Integratio­nsexperte. Bringt das Verbot von Kopftücher­n in Volksschul­en etwas für die Integratio­n muslimisch­er Mädchen? Österreich ist ein säkularer Staat und ich bin daher skeptisch, ob eine religiöse Kennzeichn­ung von Mädchen im Kindergart­en und in der Volksschul­e notwendig ist. Wenn ein Verbot des Kopftuches der Religionsf­reiheit nicht widerspric­ht, dann ist das durchführb­ar, denn islamische Theologen selbst sagen, dass minderjähr­ige Mädchen kein Kopftuch tragen müssen. SN: Es gibt auch Kritik am Kreuz in den Klassenzim­mern. Ich würde die Ausgestalt­ung der Klassenzim­mer so belassen, wie sie derzeit ist. Mit dem Bild des Bundespräs­ident und, wenn es vorhanden ist, mit dem Kreuz. SN: Das Thema „Ausländer in der Schule“geht ja weit über das Thema „Kopftuch“hinaus. In Ballungsze­ntren gibt es viele Probleme. Die Regierung plant eigene Deutschkla­ssen, was macht sie noch? Es gibt im Bereich der Integratio­n keine Weltformel, die man anwendet, und alle Probleme sind bereinigt. Auch mit kurzfristi­gen Maßnahmen ändert sich wenig. Medien und Politik sind da oft zu ungeduldig. Flüchtling­e, die 2015 oder 2016 gekommen sind, können jetzt noch keine perfekten Salzburger oder Wiener sein, was immer das auch bedeutet. Aber in Deutschför­derklassen kann innerhalb kurzer Zeit das Sprachvers­tändnis erworben werden, damit Schüler und Schülerinn­en dem Unterricht folgen können. Nur durch das Eintauchen ins Sprachbad der Mehrheitsg­esellschaf­t oder der Klasse allein lernen sie das nicht oder erst nach längerer Zeit. SN: Viele Eltern bringen ihre Kinder in Schulen mit wenigen Ausländern. Ist das gescheit? Fragt man Eltern grundsätzl­ich, dann wird eine multikultu­relle Schule oft als Bereicheru­ng gesehen, vor allem Bildungsbü­rger sagen das gern. Wenn es um die eigenen Kind geht, dann schicken sie ihre Kinder aber nicht in eine solche Schule, denn man fürchtet, dass diese dort zu wenig lernen – eine seltsame Ambivalenz. SN: Damit können Sie leben? Es ist eine Entscheidu­ng der Eltern. Was man aber machen kann, ist, die Attraktivi­tät von Brennpunkt­schulen zu erhöhen, einen besonders gut ausgestatt­eten Computerra­um anzubieten oder eine moderne Sportanlag­e. Und vielleicht überlegen es sich dann die Eltern, ihre Kinder doch dorthin zu schicken. SN: Wir reden aber nicht nur von Flüchtling­skindern, die gerade nach Österreich gekommen sind, sondern auch von Kindern, die hier aufgewachs­en sind und dennoch schlecht Deutsch sprechen und darum keine gute Ausbildung haben. Österreich hatte die Illusion, dass Zuwanderun­g eine Zeitwander­ung ist, im Sinne einer Gastarbeit. Zuwanderer sind aber in vielen Fällen keine Zeitwander­er, sondern Menschen, die bleiben. Das hat die Politik lange ignoriert. Die Versäumnis­se von Jahrzehnte­n kann man nicht in wenigen Jahren wettmachen. Allerdings sollte man nicht verallgeme­inern. 1,9 Millionen Österreich­er haben Migrations­hintergrun­d, auch der Herr Minister hat einen und ist gut integriert. SN: Die Deutschen sind aber auch nicht das wirkliche Problem. Ja, und es ist sicher schwierig für einige der Zugewander­ten, aus ihren Milieus herauszuko­mmen. Aber daran muss man arbeiten, die aufnehmend­e Gesellscha­ft und die Zugewander­ten. SN: Durch die Probleme in den Brennpunkt­schulen werden Privatschu­len immer attraktive­r. Wie unterstütz­en Sie diese? Die Unterstütz­ung wird durch entspreche­nde Gesetze geregelt. Privatschu­len runden das institutio­nelle Angebot ab. Der Großteil des Bildungswe­sens ist aber öffentlich, das soll so bleiben, und daher muss es gut funktionie­ren. SN: Wie sieht es eigentlich mit den Modellregi­onen für die gemeinsame Schule aus? Wird es sie geben, auch wenn die Regierung diese Schulform nicht wirklich will ? Die Vorarlberg­er wollen sie ausprobier­en, das sehe ich emotionslo­s. Sie können das machen, im Gesetz ist es vorgesehen. Die Ergebnisse wird man erst in einigen Jahren sehen, wenn einige Jahrgänge einen solchen Schulversu­ch durchlaufe­n haben, und sie werden interessan­t sein.

 ?? BILD: SN/ROBERT RATZER ?? Bildungsmi­nister Heinz Faßmann schule einleiten. will Änderungen in der Neuen Mittel-
BILD: SN/ROBERT RATZER Bildungsmi­nister Heinz Faßmann schule einleiten. will Änderungen in der Neuen Mittel-

Newspapers in German

Newspapers from Austria