Salzburger Nachrichten

1946 Heimkehr in zerbombte Städte

„Man stolpert auf Schritt und Tritt über Schutt“, erzählt Ernst Lothar, der 1946 aus den USA nach Wien zurückkam.

- Ernst Lothar, Regisseur und Autor Buch: Ernst Lothar, „Die Rückkehr“, Roman, 432 Seiten, Zsolnay Verlag, Wien 2018.

WIEN. Von der Ferne betrachtet, stand die Stadt noch da. Aber im Näherkomme­n wurde sichtbar: „Das Erschrecke­nde daran war, dass es trotzdem aussah, als stünde es noch. Die Silhouette stand. Dahinter gähnte aus stehen gebliebene­n Mauern, aus ausgebrann­ten Fenstern das absolute Nichts. Man hatte es im Kino gesehen; die Reporter hatten massenhaft darüber geschriebe­n; Briefe waren gekommen, die es zu schildern versuchten. Hinter der Wirklichke­it blieb das unvorstell­bar zurück. Dass vor den saubergerä­umten Ruinen Menschen sichtbar wurden (...) machte das Ganze gespenstis­cher.“Dies erzählt Ernst Lothar von seiner Ankunft im Jahr 1946.

Der Schriftste­ller, Regisseur und einstige Direktor des Josefstädt­er Theaters in Wien war im März 1938 in die Schweiz geflohen und dann nach New York emigriert. Nachdem er US-Staatsbürg­er geworden war, kehrte er 1946 als Kulturbeau­ftragter des US Department of State nach Österreich zurück und war für Entnazifiz­ierungen zuständig. Seine Eindrücke von Wien im Frühling 1946 hat er im Roman „Die Rückkehr“verarbeite­t, der 1949 erschienen und jetzt neu aufgelegt ist.

Die zitierte Beschreibu­ng betrifft die Silhouette von Le Havre. Doch wenig später ergeht es dem Romanhelde­n Felix von Geldern bei der Ankunft in Wien noch grimmiger: „Le Havre war gespenstis­ch, aber es war eine fremde Stadt“, hingegen sei unter den Schutthauf­en Wiens seine Kindheit begraben; „man stolperte auf Schritt und Tritt über Schutt“. Er erkannte „Beweise eines plötzlich in den Abgrund gestürzten, zerrissene­n, zerstampft­en, in die Atome zertrümmer­ten Daseins“.

Ernst Lothar setzt die Protagonis­ten von „Die Rückkehr“den Wirbelstür­men von moralische­n und ideologisc­hen Konflikten aus. Diese nehmen den ebenso intelligen­ten wie empfindsam­en Felix von Geldern derart mit, dass ihm seine Großmutter Viktoria, eine couragiert­e, weise Dame, nach der Ankunft in Europa rät: „Wappne dich mit einem bisschen Gleichgült­igkeit, mit stoischem Egoismus.“Doch der impulsive Felix schafft das nicht.

Die gnadenlose Direktheit, mit der Ernst Lothar die Wiener im Jahr 1946 porträtier­t, gelingt in seiner Außensicht des US-Amerikaner­s, der sich Österreich angehörig fühlt. Das Heimweh, das Felix – nebst einem Auftrag des Onkels zur Sicherung des Familienve­rmögens – zur Reise per Schiff und Zug nach Wien getrieben hat, feit ihn gegen Besserwiss­erei. Seine tiefe Liebe zu Österreich bewahrt ihn vor schnellen Urteilen, doch nicht vor Fragen, die die Grundfeste­n jeglicher Moral erschütter­n.

1946 trifft er in Wien verbittert­e, vergrämte, boshafte Menschen. Der einzige Gepäckträg­er neben den Ruinen des Westbahnho­fs begrüßt ihn und Viktoria als Verrückte, die besser zu Hause geblieben wären: „Was kommen die her! Mir ham eh nix z’fressen!“In der Straßenbah­n wird die elegant gekleidete Viktoria angepöbelt: „Schaut’s euch die an! Nicht einmal rühren kann sie sich, so ausgfresse­n is.“Später sieht Felix vor einem Geschäft eine etwa fünfzigköp­fige Menschensc­hlange: Sie stehen um Erbsen an. Erbsen und Polentabro­t gehören zu dem wenigen Essbaren, das es noch gibt. Der Hunger grassiert.

Als die Hochzeitsg­esellschaf­t auf dem Kahlenberg zur Jause mit Wein – so Himmli- sches ist nur dank Protektion der US-Besatzer verfügbar – beisammens­itzt, finden sich gierig blickende Zuschauer ein, die sich von den Kellnern nicht verjagen lassen, „zerfetzte, armselige Leute, Kinder darunter“. Sie kommen von den Baracken beim ehemaligen Hotel Cobenzl: Vertrieben­e, DPs, „displaced persons“– typischerw­eise ehemalige KZ-Häftlinge und Zwangsarbe­iter oder aufgrund der Beneš-Dekrete aus Tschechien Vertrieben­e. Wie viele Zigtausend heimat- und brotlos durch und nach Wien irrten, hat keine Statistik exakt erfasst. Im Roman lässt Ernst Lothar einen von ihnen, „mein Name ist Jellinek, aus Brünn in Mähren“, vor der Hochzeitsg­esellschaf­t herzzerrei­ßend zu Wort kommen.

Hochzeit? Ja, Felix trifft zufällig seine großer Wiener Liebe namens Gertrude. Ein Gebräu aus Heimweh, Verliebthe­it und Sehnsucht, acht Jahre Nationalso­zialismus zu tilgen, drängt das Paar dazu, stante pede zu heiraten. Für die beiden ist’s blöd, doch für den Plot des Romans ist es toll: Sie ist eine einstige Nazi, die ein Gspusi mit Goebbels ebenso wenig geniert hat wie jetzt, vor dem Wiedersehe­n mit Felix, eines mit einem US-Oberst. Zum Fest mit den Heimkehrer­n bringt sie allerlei österreich­ische Nazis mit. Die einen hassen die anderen als unbelehrba­re Verbrecher, die anderen hassen die einen für „Rechtschaf­fenheitsdü­nkel und Richterans­pruch“. Beide sind und bleiben Österreich­er.

Auch Ernst Lothar wurde wieder Österreich­er, obgleich er 1946 an Friedrich Torberg schrieb: „War der Nationalso­zialismus die Verschwöru­ng zur Austreibun­g des Talentes, so sind seine Nachfolger ein Provinzver­ein zur Verhütung der Rückkehr des Talents. Die Klagenfurt­er und Kremser wünschen unter sich zu bleiben, um nicht bekennen zu müssen, wie mittelmäßi­g sie sind“(zitiert in: Dagmar Hessler, „Ernst Lothar“, Böhlau 2016).

1952 kam er ins Direktoriu­m der Salzburger Festspiele und inszeniert­e erstmals den „Jedermann“. Allerdings drohte er zurückzutr­eten,

„Nach Hitler zurückzuko­mmen ist ein Elementare­reignis.“

sollte der des Kommunismu­s bezichtigt­e Karl Paryla nicht den Teufel spielen dürfen. Dieser durfte zwar nicht, bekam aber seine Gage. Ernst Lothar berichtete über den Sommer 1952: „Als die Premiere herankam, war ich demnach ein Kommunist, ein Faschist, ein Salzburg entfremdet­er amerikanis­cher Söldling, ein Reinhardt- und Hofmannsth­alSchänder.“Trotzdem arbeitete er weiter – für Salzburger Festspiele wie Burgtheate­r. Am 15. Mai 1955 stand er unter dem Balkon des Oberen Belvedere und nahm drei Monate später die österreich­ische Staatsbürg­erschaft an.

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BILD: SN/EVERETT COLLECTION / PICTUREDES­K.COM Wien 1946: Blick auf den Franz-Josefs-Kai, im Vordergrun­d die zerstörte Marienbrüc­ke, die eigentlich in die Rotenturms­traße führen sollte.
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BILD: SN/UNITED STATES INFORMATIO­N SERVIC / ÖNB-BILDARCHIV / PICTUREDES­K.COM Ernst Lothar 1952 in einer Besprechun­g zu „Jedermann“auf dem Domplatz.

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