Brasiliens Präsident Temer ist noch korrupter
Ex-Staatschef Lula sitzt in Haft. Doch seine Vergehen wirken im Vergleich mit denen des Amtsinhabers harmlos.
Es gab kaum jemanden, der sich in den vergangenen Tagen im Streit um die Inhaftierung von Brasiliens Ex-Präsident Lula da Silva nicht zu Wort gemeldet hätte. Politiker, Leitartikler, Abgeordnete – fast jeder äußerte seine Meinung zu dem Fall. Und die Fernsehsender übertrugen das Drama um Lula, das phasenweise einer Telenovela glich, über Tage live.
Nur einer, der sonst an diesem Punkt wenig verlegen ist, hat sich zurückgehalten. Präsident Michel Temer ließ erst am Samstag von sich hören. Auf einem Event in Foz do Iguaçu sagte Temer, er wünsche sich für sein Land Frieden. Spätestens nach der Präsidentenwahl Anfang Oktober müssten sich „für das Wohl des Landes“alle zusammenraufen und die Spaltung Brasiliens überwinden. Er verschwieg, dass er mit dem von ihm mit betriebenen Amtsenthebungsverfahren gegen Dilma Rousseff vor eineinhalb Jahren sehr viel zur tiefen Spaltung beigetragen hatte.
Zu den Korruptionsvorwürfen gegen seinen Vorvorgänger hielt sich Temer aus gutem Grund bedeckt. Schließlich steht der konservative Staatschef selbst im Fokus mehrerer Korruptionsermittlungen, so wie auch weite Teile des brasilianischen Kongresses.
Im Zuge der Untersuchungen nahm die zuständige brasilianische Bundespolizei Ende März sieben Personen fest, darunter einen ExMitarbeiter Temers sowie einen ExOffizier, die beide dem 77 Jahre alten Staatschef nahestehen und für ihn als Strohmänner fungiert haben sollen. Die Logistikfirma Rodrimar, die im Zentrum der Ermittlungen steht, bestätigte zudem die Festnahme ihres Chefs Antonio Celso Grecco. Die Ermittler prüfen, ob der Präsident mit der Unterzeichnung eines Dekrets die Firma Rodrimar und andere Unternehmen gegen Annahme von Bestechungsgeldern begünstigt hat.
Temer, Mitglied der Mitte-rechtsPartei PMDB, hat sich schon aus zwei Ermittlungen wegen Korruption befreien können, weil die Abgeordnetenkammer mit der Mehrheit der ihn unterstützenden Parteien einen Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Ermittlungen gegen den Präsidenten abschmetterte. Dabei wiegen die Vorwürfe gegen ihn weit schwerer als jene gegen Rousseff, die Ende August 2016 wegen Haushaltsunregelmäßigkeiten ihres Amtes enthoben wurde.
Die Schlinge zieht sich aber zu. In den vergangenen Wochen sind die Staatsanwälte nicht nur im Fall Rodrimar, sondern auch im Korruptionsskandal um den Bauriesen Odebrecht dem Präsidenten immer näher gekommen. Temers Fraktion fürchtet nun, ihm könnte ein drittes Ermittlungsverfahren vor Ende seiner Amtszeit Ende des Jahres drohen.
Zumindest könnten die jüngsten Ermittlungen helfen, dass Temer von einer erneuten Kandidatur bei der Präsidentenwahl im Oktober Abstand nimmt. Er hätte ohnehin kaum Chancen: Lediglich fünf Prozent der Brasilianer bescheinigen ihm, seine Arbeit zufriedenstellend zu machen. Noch nie traf ein Staatschef des Landes auf so breite Ablehnung wie Temer. Sollte Lula da Silva, der in allem Meinungsumfragen führt, nicht antreten dürfen, gilt der ultrarechte Jair Bolsonaro als Favorit.