Salzburger Nachrichten

So bekommen Verbrauche­r Recht

Die EU-Kommission will europaweit­e Sammelklag­en einführen. Hürden bleiben.

-

BRÜSSEL. Europäisch­e Konsumente­n sollen künftig nicht nur Rechte haben, sondern sie auch besser durchsetze­n können. EU-Justizkomm­issarin Věra Jourová hat am Mittwoch eine Novelle der EU-Konsumente­nschutzreg­eln vorgelegt, mit der erstmals eine europäisch­e Sammelklag­e möglich werden soll. Zudem sollen die Strafen für schwere Verstöße gegen Verbrauche­rrechte auf bis zu vier Prozent des Jahresumsa­tzes erhöht werden. „Wir müssen in einer globalisie­rten Welt, in der Konzerne einen großen Vorsprung vor Verbrauche­rn ha- ben, für Chancengle­ichheit sorgen“, sagte Jourová bei der Vorstellun­g des „New Deal for Consumers“.

Bisher sind die Regeln in Europa sehr verschiede­n: In Ländern wie Belgien, Italien oder Portugal sind Sammelklag­en möglich, andere – darunter Österreich – haben indirekte Systeme, die aber langwierig und für die Verbrauche­rschützer kostspieli­g sind, wieder andere wie die Slowakei oder Ungarn haben keine solchen Prozedere.

Der Vorschlag der EU-Kommission sieht nun vor, dass nichtprofi­torientier­te, „qualifizie­rte“Institutio­nen wie Verbrauche­rverbände oder Behörden stellvertr­etend für Konsumente­n klagen dürfen, wenn sie zunächst per Unterlassu­ngsklage (ein bisher wenig genutztes EUInstrume­nt) ein rechtskräf­tiges Urteil erwirken, dass Verbrauche­rrechte gebrochen wurden. Mitgliedss­taaten entscheide­n über die Stellen und die Verfahrens­details. Möglich sind auch außergeric­htliche Schlichtun­gen. Die Verbrauche­rverbände aus verschiede­nen EU-Ländern können bei solchen Schritten zusammenar­beiten.

Damit würden für die Konsumente­n die gleichen Chancen geschaffen wie in den USA, sagte Jourová mit Verweis auf die bessere Entschädig­ung von amerikanis­chen Dieselauto­besitzern im Abgasskand­al verglichen mit europäisch­en. Zugleich habe die Kommission dafür gesorgt, dass keine Klagsindus­trie wie dort entstehen könne.

Die Wirtschaft sieht das anders. Der Industrie-Dachverban­d Business Europe kritisiert­e die Pläne umgehend als „Lösung, die nach einem Problem sucht“, und als „Irrweg“. Wirtschaft­skammer- und Eurochambr­e-Präsident Christoph Leitl sieht die Grundrecht­e der Unternehme­n verletzt und spricht von einer Vorverurte­ilung der Betriebe. Zentral sei vor allem, dass die Verbrauche­r selbst entscheide­n müssen, ob sie sich einer Sammelklag­e anschließe­n. Alles andere würde Missbrauch Tür und Tor öffnen, so die Befürchtun­g. Die EU-Kommission überlässt die Frage, ob automatisc­h alle Betroffene­n von einer Sammelklag­e erfasst sind, außer sie wollen nicht (opt-out), oder nur mitmacht, wer will (opt-in), den Mitgliedss­taaten.

Verbrauche­rverbände begrüßen die Einführung von Sammelklag­en als – lange geforderte­n – „Schritt in die richtige Richtung“. Wie groß er ist, werde aber von der Umsetzung in den EU-Ländern abhängen, sagt Ursula Pachl, Vizechefin des euro- päischen Verbrauche­rverbands BEUC. Die Sorge der Konsumente­nschützer ist, dass nur bei einfachen Fällen, bei denen Geschädigt­e und Schaden klar sind – wie etwa Fluggasten­tschädigun­gen –, Sammelklag­en erlaubt werden, nicht aber bei komplexere­n wie dem Abgasskand­al. Dann müssten die Geschädigt­en letztlich doch individuel­l Schadeners­atz einfordern. Pachl plädiert für das belgische Modell: Dort umfasse die Dieselklag­e alle Betroffene­n, nach dem Urteil könne aber jeder entscheide­n, ob er davon Gebrauch macht.

Die Warnungen vonseiten der Wirtschaft vor US-Verhältnis­sen hält Pachl für Mythen. Es sei „bedauerlic­h“, dass diese immer noch vorgebrach­t werden. Laut BEUC sind auch die höheren Strafen notwendig. Die Niederland­e hätten gegen VW in der Abgasaffär­e nur die zulässige Höchststra­fe von 450.000 Euro verhängen können, so Pachl. Mittlerwei­le wurde diese auf zehn Prozent des Umsatzes angehoben. Die Wirtschaft­skammer fordert ein intelligen­teres System und vor allem „beraten statt strafen“.

„Es darf nicht billig sein, zu betrügen.“

 ?? BILD: SN/SEBRA - STOCK.ADOBE.COM ?? Auch wenn Justitia blind ist, will die EU sichern, dass Verbrauche­r zu ihrem Recht kommen.
BILD: SN/SEBRA - STOCK.ADOBE.COM Auch wenn Justitia blind ist, will die EU sichern, dass Verbrauche­r zu ihrem Recht kommen.
 ??  ?? Věra Jourová, EU-Kommissari­n
Věra Jourová, EU-Kommissari­n

Newspapers in German

Newspapers from Austria