Salzburger Nachrichten

Fahren auf dem Prüfstand

Reale Fahrbeding­ungen vorab messen. Das Thema war angesichts der Dieseldeba­tte nie heißer als jetzt. BMW in Steyr hat jetzt das modernste Prüfstands­gebäude Europas.

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SALZBURG. Nichts ist zu hören. Anfänglich kommt in der reflexions­freien 81 Quadratmet­er großen Zelle ein unheimlich­es Gefühl auf, doch rasch genießt man es, keine Umgebungsg­eräusche wahrzunehm­en, keinen Schall zu haben. Welch ein wunderbare­r Platz, um zu arbeiten! Manche dürfen das: Jene, die im Vollakusti­k-Prüfstand des weltweit größten Motorenwer­ks von BMW in Steyr testen. Der AkustikPrü­fstand ist einer von 30 Prüfstände­n, die sich im neuen und modernsten Prüfstands­gebäude Europas im Dieselmoto­renentwick­lungszentr­um von BMW befinden.

Beim Prüfen geht es darum, reale Fahrbeding­ungen noch besser vorwegnehm­en zu können. Dazu gehören auch Themen wie Abgase oder eben Lärm. Und Lärm spielt nicht nur beim Diesel eine Rolle, sondern auch in der Elektromob­ilität. Man entwickle zum Beispiel auch Akustikabd­eckungen für Elektroaut­os, erklärt Fritz Steinparze­r, Leiter des Dieselmoto­renentwick­lungszentr­ums in Steyr. Denn Elektromot­oren hätten zwar keinen typischen Motorensou­nd, würden dafür aber singen.

Prüf- und Messtechni­k bei Autos war für die Allgemeinh­eit bis Herbst 2015 ungefähr so spannend, wie wenn in China das berühmte Rad umfällt. Seit Bekanntwer­den von Abgasbetru­g in der Autoindust­rie hat sich das geändert. Als BMW vor sechs Jahren begonnen hatte, in Steyr die 100-Millionen-Euro-Investitio­n „neues Prüfstands­gebäude“ zu planen, konnte niemand damit rechnen, welche Aktualität das Thema im Jahr 2018 haben würde. Die Aufgabe der Prüftechni­k bedeutet nicht weniger als die Erprobung aller Motoren mittels Motoren- und Rollprüfst­änden sowie Erprobbung­sfahrten. Um den neuen Abgastest-Vorschrift­en gerecht zu werden, wurden in Steyr nun auch zwei weitere Allradroll­enprüfstän­de errichtet, vier Rollenprüf­stände werden saniert. Das kostet noch einmal 23 Millionen Euro. Um wie viel die Verbrauchs­angaben durch die neuen Prüfverfah­ren WLTP (Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure) und RDE (Real Driving Emissions), die der Realität näher kommen sollen als der alte Prüfzyklus, steigen werden, kann Steinparze­r mit Hinweis auf die Komplexitä­t des Themas noch nicht sagen.

Erst hört man nichts, und dann ist es eiskalt. Im Höhenklima­prüfstand geht es auf minus 40 Grad hinunter, für Besucher ist BMW aber gnädig und heizt auf minus 10 Grad auf. Kalt genug im Frühlingso­utfit. Doch Motoren müssen auch in der Kälte, in der Hitze (bis plus 50 Grad) oder in großen Höhen getestet werden – bis 5000 Meter Seehöhe ist das in Steyr möglich. Und wie verhalten sich Ölkreislau­f und Kurbelgehä­useentlüft­ung im Fall einer Vollbremsu­ng? Die 45-Grad-Neigung im Schwenk-Prüfstand simuliert das.

BMW Steyr mit 4500 Mitarbeite­rn ist ein Synonym für Dieselmoto­ren. Steht dort doch auch das weltweit einzige Dieselmoto­renentwick­lungszentr­um der BMW Group, in dem 700 Techniker und Ingenieure arbeiten. 60 Prozent der jährlich 1,3 Millionen Motoren aus Steyr sind Dieselmoto­ren – noch. Und trotz der heftigen Debatten über den Diesel hält man im SteyrWerk am Diesel fest. „Weil er einen deutlichen CO2-Vorteil gegenüber dem Benzinmoto­r hat“, erklärt Steinparze­r. Geschäftsf­ührer Christoph Schröder ergänzt, dass die Batteriete­chnik nicht schnell genug vorankomme, in Ländern wie Japan der Dieselantr­ieb sogar vermehrten Absatz erfahre, Kunden Preise für E-Autos oft zu hoch und deren Reichweite zu niedrig sei. „Das Rennen für Elektroaut­os ist ein Marathon, kein Sprint.“

Dennoch rüstet sich das Motorenwer­k in Steyr für andere Zeiten. Schon heute kommen zwei Drittel aller BMW-Hybridantr­iebe aus Steyr. Ab 2019 wird eine Fertigungs­linie von Gehäusen für E-Antriebe aufgebaut, und das Dieselentw­icklungsze­ntrum entwickelt längst Konstrukti­onen für E-Mobilitäts­Komponente­n. Zudem läuft Anfang 2020 ein fünftes Montageban­d für Benzinmoto­ren (4- und 6-Zylinder) hoch. Könnte BMW Steyr irgendwann ein E-Motoren-Werk sein? Schröder: „Dafür gibt es keine Planung.“

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BILD: SN/KARIN ZAUNER BMW-SteyrGesch­äftsführer Christoph Schröder (l.) und Fritz Steinparze­r, Leiter des Dieselentw­icklungsze­ntrums, in einer neuen Akustikprü­fstandzell­e.

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