Frisieren geht über studieren
Heute schon in den Spiegel geschaut? Der Körper ist ein work in progress – und der Schönheitsbegriff ein Phänomen.
WIEN. Schönheit liegt im Auge des Betrachters, heißt es. Aber wie ist das beim Blick in den Spiegel, wenn man sich selbst gegenübersteht? Lässt sich da was verbessern? Was will man ausstrahlen, wie will man auf die Mitmenschen wirken? Was sich manche Menschen dabei denken, die „gestylt“, wie man heute sagt, durch die Gegend gehen, ist ohnehin ein Rätsel, obwohl die bunten Punks ziemlich abgenommen haben und heute eher der Hipster-Typ um Auffälligkeit bemüht ist, und sei es unter seinesgleichen. Moden kommen und gehen, das ist gewiss, aber kaum je an einem Platz so deutlich dargestellt wie in der neuen Ausstellung im Wien Museum. Eine haarige Sache, wie schon der Eintritt durch einen Fadenvorhang andeutet.
Die Kuratorin Susanne Breuss kennt sich aus mit der Materie, allein das umfangreiche Begleitbuch lässt keine Problemzone unbeachtet. Aufgeteilt ist die Schau auf vier Kapitel, und wie es sich für ein Museum gehört, wurden da allerlei Raritäten aus der Sammlung zusammengesucht, darunter gar köstliche Exponate der technischen Frühzeit. Denn es geht nicht nur um Haut und Haar, sondern auch darum, was wir daraus machen. Oder, um es mit der Kuratorin auszudrücken: „Die Gestaltung von Haut und Haaren wird dabei nicht nur als Schönheitshandeln oder als Ausdruck von Mode begriffen, sondern als ein vieldimensionales Kommunikationsmittel, das neben ästhetischen Kompetenzen auch den sozialen Status, Geschlecht, Alter, politische Einstellungen und vieles mehr anzeigt.“
Rund 500 Exponate wurden zusammengetragen, zeitlich einzuordnen vom Jahr 1800 bis in die Gegenwart. Immer schon gab es eine Unzahl von Produkten, um das Ergebnis der Natur zu verbessern und zu verschönern. Und sei es durch Tricks: Wenn man das Ölporträt des Wiener Bürgermeisters Karl Lueger sieht, der sich 1902 von Adolf Mayrhofer ins Bild setzen ließ, kommt niemand auf die Idee, dass „der schöne Karl“damals bereits 68 Jahre alt war. Photoshop anno dazumal, sozusagen. Nicht zufällig wird auch der Zusammenhang hergestellt zwischen den Wartezeiten im Friseursalon und den dort aufliegenden Illustrierten, von deren Titelblättern schon vor Jahrzehnten die Role-Models lächelten, denen man mit viel Aufwand nacheifer- te. Schon 1888 wurde in Wien die erste Schönheitskönigin gewählt, die aus den USA übernommene Folklore ist bis heute nicht abgeflaut. Stolz war Österreich auf Lisl Goldarbeiter, die Wienerin wurde 1929 gar „Miss Universe“.
Ein historischer Friseursalon bietet Geräte, die eher nach Folter ausschauen, die Dauerwellenmaschine könnte auch eine Melkmaschine sein. Von Franz Grillparzers Rasiermesser bis zu Kaiserin Elisabeths Schönheitsrezepten, von einer Perücke der Song-Contest-Gewinnerin Conchita bis zu Schaufensterbüsten und Kämmen reicht das Anschauungsmaterial. Auch Akteure auf historischen Fotografien gibt es wie Perückenmacher, Bader oder Barbiere. Allein die Gestaltung der Haarpracht ist durch die Jahre eine ModeZeitreise, die amüsieren kann.
Welche Haare gelten als schön? Und seit wann tragen die Frauen kurze Haare? Oder die Männer Bärte? Es ist ja kaum zu glauben, dass die „Rotzbremse“, die ein gewisser „Führer“trug, einmal Mode war, zumindest bei seinen Fans. Aber einschlägige Fotografien zeigen anschaulich, welch Entwicklung dieser Bart vom „normalen“Schnurrbart, den Adolf Hitler 1916 trug, bis hin zum typischen schwarzen Quadrat in den frühen 1920ern nahm: „Ein Antlitz – vom Kampf geformt“, steht über der Doppelseite mit 16 Hitler-Porträts.
Und dann gibt es noch die Abteilung für Tabus. Wie kann man Haare entfernen, speziell die Haare von Damen an Stellen und Körperteilen, an denen quasi das Diktat gilt: Haare sind pfui. Waxingstudios blühen – und müssen auch von etwas leben. Dafür kommt wieder mehr Haut ans Tageslicht, und wem die Sonne nicht genug scheint, kann sich per Solarium die gewünschte Bräune holen. Auch in der Kosmetik gilt: Es gibt nichts, das es nicht (schon) gibt.