Wenn das eigene Leben kein Zuhause bietet
Sie heißt Christine und wäre lieber eine andere: „Lady Bird“, Greta Gerwigs oscarnominiertes Regiedebüt, kommt ins Kino.
WIEN. Um ganz ehrlich zu sein: Wirklich begabt ist Lady Bird (im Film gespielt von Saoirse Ronan) in keinem Schulfach. In die Theatergruppe geht sie nur, weil ihre beste Freundin auch hingeht, und als sie bei der Berufsberatung Mathematik als mögliches Studienfach nennt, schmunzelt die Beraterin. Sie ist fast 18, sie lebt in Sacramento, das sie als langweiligste Stadt Kaliforniens empfindet. Sie möchte in den kultivierten Osten der USA, sie behauptet neuen Freunden gegenüber, dass sie im teuren Teil der Stadt lebt, obwohl sie auf der anderen Seite der Eisenbahnschienen in einem etwas schäbigen Bungalow wohnt. Ihre Mama (fantastisch: Laurie Metcalf) schiebt Doppelschichten als Krankenschwester, ihr Papa ist depressiv, ihre Kleidung secondhand, und als sie ihr erstes Mal Sex erlebt, ist es nicht halb so grandios, wie sie sich das erträumt hat. Lady Bird fühlt sich nicht zu Hause in ihrem Leben, nichts ist ihr gut genug, und wenn sie gegen die schuftende Mutter aufbegehrt, und die ihr mit harten Worten Undankbarkeit vorwirft, hat sie im nächsten Moment auch noch ein unendlich schlechtes Gewissen.
Es ist nicht leicht an der Schwelle zum Erwachsenwerden, und „Lady Bird“erzählt das mit großer Aufrichtigkeit. Der Film ist das Solo-Regiedebüt der Schauspielerin und Autorin Greta Gerwig, und ein solider erster Film, der über das klassische Coming-of-Age-Drama hinaus von einer glaubwürdig komplizierten Mutter-Tochter-Beziehung handelt, die gern noch mehr Raum hätte bekommen können. Über weite Strecken ist der Film autobiografisch geprägt, indem er von einer Jugend in Sacramento berichtet, wo auch Gerwig aufwuchs. Und der Film erzählt von der Pein, seine Teenagerjahre in Armut zu verbringen und sich dafür im Grunde stets zu genieren. „Lady Bird“spielt in einer Schicht, die im Unterhaltungskino kaum vorkommt und von der früher im TV etwa mit Vorabendserien wie „Roseanne“erzählt wurde. Da werden auf einmal arme Leute zu Protagonisten, die sich selbst nie als arm bezeichnen würden, weil die Zugehörigkeit zur Mittelschicht eine Frage des Selbstbewusstseins ist und Armsein als selbst verschuldeter Makel wahrgenommen wird in einer Gesellschaft, die aufs Vorankommen ausgerichtet ist. Das ist, mehr als die Geschichte vom Erwachsenwerden, die Besonderheit des Films, der aber dann doch etwas inkonsequent mit einer Aufstiegsfantasie endet. Bei den Oscars brachte das der Regiedebütantin Nominierungen für Regie, Drehbuch, Haupt- und Nebendarstellerin und den besten Film ein. Film: