Wie schmeckt ein Vulkanausbruch?
Hans Hollein blieb in Österreich weitgehend unverstanden, dafür wurde er weltweit verehrt. Er meinte, Architektur sei kultisch, ein Mal, Symbol, Zeichen und Expression. Womit er nebenbei den Vorgang der Nahrungsaufnahme beschrieb.
PETER GNAIGER (TEXT) MARCO RIEBLER (BILDER) HENNDORF.
Emanuel Weyringer breitet seine Zutaten auf der Anrichte aus. Heute soll in seinem Henndorfer Restaurant das „Vulcania“-Museum“von Hans Hollein in der Auvergne kulinarisch übersetzt werden. Vor uns liegen Erdäpfel, ein französischer Blauschimmelkäse namens Bleu d’Auvergne, Tintenfische, Reis, eine Flasche Fischsauce, Tintenfischfarbe, Erdnussöl – und jede Menge Gewürze ... Der Salzburger Architekt Robert Wimmer studiert die „Bauteile“aufmerksam, dann atmet er tief durch und meint lapidar: „Ich sage ja immer: Am besten hat man als Architekt nichts mit dem Bauen zu tun.“
Auch der Jahrhundertkoch Karl Eschlböck mustert die Zutaten. Dann klopft er Weyringer auf die Schulter und sagt: „Sehr gut.“Allein schon die Idee, Reiskörner schwarz einzufärben, um sie dann zu backen und so lang zu frittieren, bis der Reis auspuffe, sei ein Feuerwerk der Kreativität. Und erst der TomKha-Gai-Sud mit roten Chilis: eine wunderbare Hommage an die Lava. „Aber wo kommen in der Auvergne die Tintenfische daher?“, fragt Eschlböck. „Das sind Tiefseemonster aus der Urzeit. Hab ich bei Jules Verne nachgelesen“, sagt Weyringer mit einem Augenzwinkern. Eschlböck ist beeindruckt: „Das wird eine Eruption.“
Für Kulinarik hatte Hans Hollein einen siebten Sinn. So entwarf er 1991 in Frankfurt das Museum für Moderne Kunst. Es musste auf einem dreieckigen Grundstück Platz haben. Als es fertig war, sah es aus wie ein Tortenstück. So wird es auch bis heute genannt.
Das „Vulcania“-Museum haben die architektonisch übrigens sehr aufgeschlossen denkenden Franzosen ausgerechnet dem konservativen Denken österreichischer Politiker zu verdanken. Denn diese waren nicht an Holleins spektakulärem Entwurf des Salzburger Guggenheim-Museums auf und im Mönchsberg interessiert. Also hatte Hollein plötzlich die Zeit, dem Wunsch von Valéry Giscard d’Estaing nachzugehen. Der ehemalige konservative französische Präsident und gebürtige Auvergnat wollte seiner Heimat mit diesem Museum ein zukunftsweisendes Geschenk bereiten.
Auch Roland Gnaiger, der Leiter des Architektur-Instituts der Linzer Kunstuni befindet: „Hollein war international bedeutsamer als in Österreich.“Und: „Seine Handschrift konnte man nicht nachahmen, ohne in ein billiges Epigonentum abzugleiten.“Beim Kochen sei das ähnlich, merkt Weyringer an. „Da bringt Kopieren nichts.“„Aber jeder kann sich selbst bemühen“, fügt Eschlböck hinzu. Weyringers „Kochanleitung“war ein Text des Architekturhistorikers Wolfgang Pehnt. Er schrieb: In Holleins Museums- und Themenpark Vulcania (2002) klingen archaische Rituale an, der Abstieg in den Hades, Dantes Inferno, Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde. Gelegentlich grollt es unterirdisch. Rot glühende Dämpfe steigen auf, die einen bevorstehenden Vulkanausbruch suggerieren. Gediegene wissenschaftliche Informationen werden mitgeteilt, aber drastische Effekte nicht gescheut. Kulmination dieser artifiziellen Landschaft à la Hollein ist ein Kegelstumpf mit gespaltener Wandschale, außen mit Basalt verkleidet, innen mit goldfunkelndem Titanzink. Eschlböck runzelt die Stirn und sagt: „Das erinnert mich an den Regency Club in Los Angeles von David Murdock. Ich hab da im obersten Stockwerk des Skyscrapers als Souschef im Members-onlyClub gekocht. Hollein wollte einen Tisch für drei Gäste reservieren. Mit Hilfe von Thomas Klestil ist das nach Stunden auch gelungen. Und dann – ist er nicht erschienen.“„Da stand der Vulkan Eschlböck wohl kurz vor dem Ausbruch“, kommentiert Wimmer. „Aber wo“, sagt Eschlböck. „Dem hat wahrscheinlich der Skyscraper nicht gefallen.“
Der Vulkanausbruch à la Weyringer hielt übrigens geschmacklich, was der Titel versprach. Er hielt sich einfach an Hollein: „Architekten müssen aufhören, nur in Bauwerken zu denken.“„Beim Kochen und Essen verändern sich auch die Formen. Der geschmacklichen Eruption folgt später ganz woanders eine zweite ...“ Nächste Woche übersetzen wir das Projekt „Brasília“von Oscar Niemeyer.