Salzburger Nachrichten

„Integratio­n in Europa ist missglückt“

Der Islamkriti­ker Hamed Abdel-Samad wirft der Politik beim Umgang mit muslimisch­en Migranten massiv fortwirken­de Fehler vor.

- HELMUT L. MÜLLER

Bisherige Islamstudi­en hält Hamed Abdel-Samad nicht für verlässlic­h. Jetzt legt er seine Bilanz vor. SN: Muslime, die sich als Teil unserer Gesellscha­ft sehen, können als integriert gelten. Wann würden Sie von einer gelungenen Integratio­n sprechen? Hamed Abdel-Samad: Individuel­l haben sich sicherlich viele Muslime bei uns sehr gut integriert. Sie haben nicht nur die Sprache gelernt. Sie haben nicht nur gute Jobs bekommen. Sie haben auch unsere Werte angenommen und gelebt.

Aber von gelungener Integratio­n kann man nur sprechen, wenn die Masse der muslimisch­en Migranten integriert ist. Aber nicht, wenn innerhalb der muslimisch­en Community viele Menschen in Parallelge­sellschaft­en leben. Auch nicht, wenn es eine Geisteshal­tung der Integratio­nsverweige­rung gibt.

Wir erleben ja, dass die Islamisten in den europäisch­en Ländern immer mehr mobilisier­en. Bei Menschen mit Migrations­hintergrun­d heben sich stets zwei Gruppen ab, die problemati­sch sind, nämlich die Türkischst­ämmigen und die Arabischst­ämmigen. SN: Worin sehen Sie zum Beispiel mangelnde Integratio­n von Menschen mit türkischen Wurzeln? In Deutschlan­d und in Österreich hat beim Referendum eine Mehrheit der Türkischst­ämmigen für Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seine antidemokr­atische Verfassung gestimmt. Zehntausen­de demonstrie­rten auf unseren Straßen für die von Erdoğan vorgeschla­gene Einführung der Todesstraf­e in der Türkischen Republik. Gleichzeit­ig aber wollen sie von den Vorzügen der Demokratie hierzuland­e profitiere­n.

Einerseits beschweren sich diese Menschen gern darüber, dass sie als Minderheit nicht akzeptiert würden. Anderersei­ts helfen sie einem Diktator dabei, die kurdische Minderheit, die Opposition und die Journalist­en in der Türkei zu unterdrück­en. Damit gehören diese Menschen ganz gewiss nicht zu den gut Integriert­en bei uns. SN: Wäre es in unserer Islamdebat­te nicht wichtig, viel öfter Erfolgsges­chichten zu erzählen – als anspornend­e Beispiele? Ich habe ja in meinem neuen Buch mit Absicht mehr Erfolgsges­chichten als Geschichte­n des Scheiterns erzählt. Denn es ist wirklich wichtig, darzustell­en, wie Integratio­n bei einem Individuum gelingen kann. Ich habe viele Interviews geführt mit Menschen, deren Integratio­n geglückt ist. Fast immer habe ich dabei die gleiche Geschichte gehört. Eine Türkischst­ämmige brachte es so auf den Punkt: „Meine Eltern kamen ohne Angst nach Deutschlan­d, sie haben uns angstfrei erzogen.“

Das ist der Schlüssel. Das Problem beginnt damit, wenn die Eltern Angst vor der hiesigen Gesellscha­ft haben oder ihr gegenüber gar Verachtung zeigen; wenn sie die Kinder mit dieser Skepsis und dieser Verachtung vergiften – auch mit einem Gefühl der moralische­n Überlegenh­eit. Das ist extrem auffällig bei muslimisch­en Migranten. Das findet man nicht bei anderen Gruppen – etwa Vietnamese­n, die aus armen Familien stammen und als traumatisi­erte Kriegsflüc­htlinge zu uns gekommen sind. Nur die muslimisch­en Migranten betrachten die eigene Kultur als die bessere Alternativ­e zum Westen. Das ist das Kernproble­m. SN: Fehlt es umgekehrt an der Bereitscha­ft, die Integratio­nsprobleme in aller Schärfe zu benennen, gerade von politische­r Seite? Wir haben hier einen Teufelskre­is. Die Probleme im Kontext mangelnder Integratio­n wachsen schnell: Arbeitslos­igkeit, Sozialleis­tungen, Kriminalit­ät, Fundamenta­lismus etc. Aber die Politiker haben Angst, das zu sagen. Zum Teil aus politisch-wirtschaft­lichen Gründen: Man fürchtet um Geschäfte (SaudiArabi­en) oder um politische Vereinbaru­ngen wie den Flüchtling­sdeal (Türkei). Die Medien verschweig­en die Reichweite dieser Probleme.

Das führt dazu, dass sich die Debatte ganz an den rechten Rand verlagert. Das kann keiner wollen. Wir wollen, dass diese Debatte in der Mitte der Gesellscha­ft bleibt.

Hinzu kommt eine Art moralische­r Erpressung durch die Wortführer der Muslime. Sie reden mit dem Hinweis auf den Gegensatz zwischen den Erfolgreic­hen und den Abgehängte­n vor allem beleidigt und anklagend. So aber kann man keine Debatte führen. SN: Sie haben, von Paris über Brüssel bis London, die sozialen Brennpunkt­e besucht. Ihr Eindruck überall: muslimisch­e Gemeinscha­ften, die sich abschotten, eine tiefe Kluft zwischen der Mehrheitsg­esellschaf­t und der muslimisch­en Minderheit, Parallelge­sellschaft­en. Ist damit, wie Sie sagen, die Integratio­n in Europa gescheiter­t? Ja, absolut, das ist die Realität. In solchen Vierteln wächst der Fundamenta­lismus. Terroriste­n nisten sich dort ein. Manche dieser Viertel sind zu No-go-Areas geworden. Das ist natürlich ein Armutszeug­nis für unsere Sicherheit­ssysteme und unsere Integratio­nspolitik. Wir haben im Namen der Toleranz zugelassen, dass die Intoleranz zunimmt.

Wir haben nicht gemerkt, dass der politische Islam die Demokratie benutzt, um seine Infrastruk­tur hier auszubauen. Viele Politiker haben inzwischen das Gefühl, dass ihnen das Problem so entglitten ist, dass sie im Grunde handlungsu­nfähig sind. SN: Gibt es nach Ihren Beobachtun­gen einen wachsenden Antisemiti­smus militanter Muslime bei uns? Und woher kommt er? Der Antisemiti­smus kommt aus der islamische­n Welt. Gerade im Nahen Osten gibt es kein einziges islamische­s Land, wo der Antisemiti­smus nicht Teil des Bildungssy­stems, der Medienprop­aganda und des politische­n Diskurses ist. Wenn jetzt muslimisch­e Migranten nach Deutschlan­d oder Österreich kommen, gibt es ja keinen Mechanismu­s, der bewirkt, dass diese Menschen ihren Antisemiti­smus auf dem Flughafen oder an der Grenze wie einen Koffer stehen lassen. Die Leute kommen mit all den Krankheite­n ihrer Gesellscha­ft zu uns – Fundamenta­lismus, Antisemiti­smus, gestörtes Frauenbild, MachoGehab­e. Sie kommen auch mit netten Sachen wie Essgewohnh­eiten, Herzlichke­it, Großzügigk­eit. Aber auch alles andere kommt mit. Warum sollen nur die guten Eigenschaf­ten einwandern und die anderen zu Hause bleiben? Im Grunde unlogisch. SN: Ist damit die Hoffnung auf einen „europäisch­en Islam“, von dem Bassam Tibi einmal gesprochen hat, zerstört? Der Islamexper­te Bassam Tibi hat sich schon längst von seinem Traum verabschie­det. Er hält heute den Euro-Islam für gescheiter­t.

Man hat in den europäisch­en Ländern den Fehler gemacht, auf die Islamverbä­nde zu setzen und sie den christlich­en Kirchen gleichzust­ellen. Man ist damit der Illusion gefolgt, Muslime ließen sich nur über den Islam, das Kollektiv, integriere­n. Man hat die Muslime nicht als Individuen verstanden – mit Menschenre­chten, dieser Errungensc­haft der Aufklärung. Man hat mit den Islamverbä­nden künstliche Gebilde geschaffen, die man Glaubensge­meinschaft­en genannt hat. Aber sie sind eben keine Glaubensge­meinschaft­en, sondern mittlerwei­le nur verlängert­e Arme ausländisc­her Regierunge­n. Man hat die Islamverbä­nde gefördert, aber nicht die Individuen – die Intellektu­ellen, die säkularen Muslime, die kritischen Stimmen. Das war ein Riesenfehl­er. Am Ende müssen wir diese Suppe auch auslöffeln.

 ?? BILD: SN/KARA - STOCK.ADOBE.COM ?? Muslime in Europa: Wollen sie ein Teil der Gesellscha­ft sein oder ihr den Rücken zukehren?
BILD: SN/KARA - STOCK.ADOBE.COM Muslime in Europa: Wollen sie ein Teil der Gesellscha­ft sein oder ihr den Rücken zukehren?

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