„Integration in Europa ist missglückt“
Der Islamkritiker Hamed Abdel-Samad wirft der Politik beim Umgang mit muslimischen Migranten massiv fortwirkende Fehler vor.
Bisherige Islamstudien hält Hamed Abdel-Samad nicht für verlässlich. Jetzt legt er seine Bilanz vor. SN: Muslime, die sich als Teil unserer Gesellschaft sehen, können als integriert gelten. Wann würden Sie von einer gelungenen Integration sprechen? Hamed Abdel-Samad: Individuell haben sich sicherlich viele Muslime bei uns sehr gut integriert. Sie haben nicht nur die Sprache gelernt. Sie haben nicht nur gute Jobs bekommen. Sie haben auch unsere Werte angenommen und gelebt.
Aber von gelungener Integration kann man nur sprechen, wenn die Masse der muslimischen Migranten integriert ist. Aber nicht, wenn innerhalb der muslimischen Community viele Menschen in Parallelgesellschaften leben. Auch nicht, wenn es eine Geisteshaltung der Integrationsverweigerung gibt.
Wir erleben ja, dass die Islamisten in den europäischen Ländern immer mehr mobilisieren. Bei Menschen mit Migrationshintergrund heben sich stets zwei Gruppen ab, die problematisch sind, nämlich die Türkischstämmigen und die Arabischstämmigen. SN: Worin sehen Sie zum Beispiel mangelnde Integration von Menschen mit türkischen Wurzeln? In Deutschland und in Österreich hat beim Referendum eine Mehrheit der Türkischstämmigen für Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seine antidemokratische Verfassung gestimmt. Zehntausende demonstrierten auf unseren Straßen für die von Erdoğan vorgeschlagene Einführung der Todesstrafe in der Türkischen Republik. Gleichzeitig aber wollen sie von den Vorzügen der Demokratie hierzulande profitieren.
Einerseits beschweren sich diese Menschen gern darüber, dass sie als Minderheit nicht akzeptiert würden. Andererseits helfen sie einem Diktator dabei, die kurdische Minderheit, die Opposition und die Journalisten in der Türkei zu unterdrücken. Damit gehören diese Menschen ganz gewiss nicht zu den gut Integrierten bei uns. SN: Wäre es in unserer Islamdebatte nicht wichtig, viel öfter Erfolgsgeschichten zu erzählen – als anspornende Beispiele? Ich habe ja in meinem neuen Buch mit Absicht mehr Erfolgsgeschichten als Geschichten des Scheiterns erzählt. Denn es ist wirklich wichtig, darzustellen, wie Integration bei einem Individuum gelingen kann. Ich habe viele Interviews geführt mit Menschen, deren Integration geglückt ist. Fast immer habe ich dabei die gleiche Geschichte gehört. Eine Türkischstämmige brachte es so auf den Punkt: „Meine Eltern kamen ohne Angst nach Deutschland, sie haben uns angstfrei erzogen.“
Das ist der Schlüssel. Das Problem beginnt damit, wenn die Eltern Angst vor der hiesigen Gesellschaft haben oder ihr gegenüber gar Verachtung zeigen; wenn sie die Kinder mit dieser Skepsis und dieser Verachtung vergiften – auch mit einem Gefühl der moralischen Überlegenheit. Das ist extrem auffällig bei muslimischen Migranten. Das findet man nicht bei anderen Gruppen – etwa Vietnamesen, die aus armen Familien stammen und als traumatisierte Kriegsflüchtlinge zu uns gekommen sind. Nur die muslimischen Migranten betrachten die eigene Kultur als die bessere Alternative zum Westen. Das ist das Kernproblem. SN: Fehlt es umgekehrt an der Bereitschaft, die Integrationsprobleme in aller Schärfe zu benennen, gerade von politischer Seite? Wir haben hier einen Teufelskreis. Die Probleme im Kontext mangelnder Integration wachsen schnell: Arbeitslosigkeit, Sozialleistungen, Kriminalität, Fundamentalismus etc. Aber die Politiker haben Angst, das zu sagen. Zum Teil aus politisch-wirtschaftlichen Gründen: Man fürchtet um Geschäfte (SaudiArabien) oder um politische Vereinbarungen wie den Flüchtlingsdeal (Türkei). Die Medien verschweigen die Reichweite dieser Probleme.
Das führt dazu, dass sich die Debatte ganz an den rechten Rand verlagert. Das kann keiner wollen. Wir wollen, dass diese Debatte in der Mitte der Gesellschaft bleibt.
Hinzu kommt eine Art moralischer Erpressung durch die Wortführer der Muslime. Sie reden mit dem Hinweis auf den Gegensatz zwischen den Erfolgreichen und den Abgehängten vor allem beleidigt und anklagend. So aber kann man keine Debatte führen. SN: Sie haben, von Paris über Brüssel bis London, die sozialen Brennpunkte besucht. Ihr Eindruck überall: muslimische Gemeinschaften, die sich abschotten, eine tiefe Kluft zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der muslimischen Minderheit, Parallelgesellschaften. Ist damit, wie Sie sagen, die Integration in Europa gescheitert? Ja, absolut, das ist die Realität. In solchen Vierteln wächst der Fundamentalismus. Terroristen nisten sich dort ein. Manche dieser Viertel sind zu No-go-Areas geworden. Das ist natürlich ein Armutszeugnis für unsere Sicherheitssysteme und unsere Integrationspolitik. Wir haben im Namen der Toleranz zugelassen, dass die Intoleranz zunimmt.
Wir haben nicht gemerkt, dass der politische Islam die Demokratie benutzt, um seine Infrastruktur hier auszubauen. Viele Politiker haben inzwischen das Gefühl, dass ihnen das Problem so entglitten ist, dass sie im Grunde handlungsunfähig sind. SN: Gibt es nach Ihren Beobachtungen einen wachsenden Antisemitismus militanter Muslime bei uns? Und woher kommt er? Der Antisemitismus kommt aus der islamischen Welt. Gerade im Nahen Osten gibt es kein einziges islamisches Land, wo der Antisemitismus nicht Teil des Bildungssystems, der Medienpropaganda und des politischen Diskurses ist. Wenn jetzt muslimische Migranten nach Deutschland oder Österreich kommen, gibt es ja keinen Mechanismus, der bewirkt, dass diese Menschen ihren Antisemitismus auf dem Flughafen oder an der Grenze wie einen Koffer stehen lassen. Die Leute kommen mit all den Krankheiten ihrer Gesellschaft zu uns – Fundamentalismus, Antisemitismus, gestörtes Frauenbild, MachoGehabe. Sie kommen auch mit netten Sachen wie Essgewohnheiten, Herzlichkeit, Großzügigkeit. Aber auch alles andere kommt mit. Warum sollen nur die guten Eigenschaften einwandern und die anderen zu Hause bleiben? Im Grunde unlogisch. SN: Ist damit die Hoffnung auf einen „europäischen Islam“, von dem Bassam Tibi einmal gesprochen hat, zerstört? Der Islamexperte Bassam Tibi hat sich schon längst von seinem Traum verabschiedet. Er hält heute den Euro-Islam für gescheitert.
Man hat in den europäischen Ländern den Fehler gemacht, auf die Islamverbände zu setzen und sie den christlichen Kirchen gleichzustellen. Man ist damit der Illusion gefolgt, Muslime ließen sich nur über den Islam, das Kollektiv, integrieren. Man hat die Muslime nicht als Individuen verstanden – mit Menschenrechten, dieser Errungenschaft der Aufklärung. Man hat mit den Islamverbänden künstliche Gebilde geschaffen, die man Glaubensgemeinschaften genannt hat. Aber sie sind eben keine Glaubensgemeinschaften, sondern mittlerweile nur verlängerte Arme ausländischer Regierungen. Man hat die Islamverbände gefördert, aber nicht die Individuen – die Intellektuellen, die säkularen Muslime, die kritischen Stimmen. Das war ein Riesenfehler. Am Ende müssen wir diese Suppe auch auslöffeln.