Und sie dreht sich doch
Wie früher ?O der wie morgen? Zum Record Store Day gibt es ein paar Anmerkungen zur Lust am Vinyl.
Vinyl, das schwarze Gold der Musikliebhaber, boomt seit Jahren. Am Record Store Day, der heute, Samstag, weltweit stattfindet, wird das gefeiert. Sentimentalität? Soundschönheit? Zukunftsmusik? SN-Redakteure verschiedener Generationen suchen Antworten.
Single-Party
Die Einladung von lieben Freunden und Jetzt-wieder-Schallplattenspielerbesitzern war eindeutig mehrdeutig: Single-Party. Will heißen: Drei Single-Schallplatten mitnehmen und vor dem Abspielen erzählen, warum man sie einst erwarb. Die Qual der Auswahl beginnt: Wie will man sich präsentieren? Als jugendlicher Discoboy (Patrick Hernandez, „Born to Be Alive“), der man ja war? Als Kuriositätensammler (Musyl und Joseppa, „Ein Freund ging nach Amerika“)? Als Spezialist für krude Geheimtipps (Foyer des Arts, „Eine Königin mit Rädern untendran“) oder als Freund des gehobenen Luftgitarrensounds (Ram Jam, „Black Betty“)? Schon das Wühlen in der Plattenkiste lässt in Erinnerungen schwelgen. Mein Gott, was ist denn aus Squeeze („Cool for Cats“) geworden? Feines Lied. Und warum hat man bloß Jonny Hill („Ruf Teddybär eins-vier“) in der eigenen Single-Sammlung? Vermutlich ein Geschenk. Hoffentlich. Weiter in der Suche. Entscheiden heißt verzichten. Folgendes Trio darf mit auf die Party: Chic, „Le Freak“(Nile Rodgers, Discogott!), The Boomtown Rats, „Rat Trap“(wie Bob Geldof hätte der Schreiber dieser Zeilen gern ausgesehen) und The Staggers, „Be My Queen“(Gegenwart tut immer gut). Let’s Stomp!
Flohmarkt
Meine Schwester und ich betraten die Halle in Morzg, um auf dem Flohmarkt nach einem Spiegel zu suchen. Doch die Blicke blieben an den Kartons kleben, die links in der Ecke standen. Hunderte Schallplatten. Wir ließen die Finger über die Hüllen gleiten, schupften eine Platte nach der anderen nach vorn. Wir rochen das alte Papier, den Staub und den Keller. David Bowie, „Lodger“? Dafür wolle er zehn Euro, sagt der Verkäufer mit dem Bart. Über den Preis verhandeln wir noch. Die Platte landet auf einem Stapel, der immer größer wird. Aha. Manfred Mann’s Earth Band, uns unbekannte Interpreten, deren Plattencover aber irgendetwas auslösen. Eine Explosion in Gelb, auf schwarzem Untergrund. Ein graues Cover, auf dem nur „Fables and Fantasies“steht. Ein roter Himmel über einer Stadt, ein Mann, der sein Gesicht abwendet. Wir verhandeln mit dem Verkäufer. Wir kriegen Rabatt, weil wir am Wolfgangsee aufgewachsen sind und seine Schwester dort ein Restaurant führt. Am Schluss schenkt er uns noch eine Platte. Ich zahle 35 Euro für neun Stück.
Beim Bruder
Als Kind gilt es ständig Neues zu entdecken. Etwa im Zimmer des großen Bruders. Da war sie: die große Stereoanlage; ihr oberstes Stockwerk: der Plattenspieler. Daneben die Platten. Die Wahl fiel auf „Every Beat of My Heart“von Rod Stewart, brandneu damals. Der Titeltrack: eine vor Pathos triefende HeimwehPowerballade mit Dudelsack und Möwengezwitscher. Auch wenn der gute Rod bald von anderen Helden abgelöst wurde, der Song klingt über 30 Jahre später immer noch geil. Und auch wenn sich die Sammlerleidenschaft bald auf kleinere, silberne Scheiben konzentrierte, war der Startschuss hier gefallen. Der Startschuss für die Liebe zum Album, zu einem musikalischen Werk größer als die Summe der einzelnen Teile – zum Anhören, Angreifen, zum Daranriechen und Darinversinken.
Super Trouper
Silver Speed 60. Eine Audiokassette. Vom Radio selbst Songs aufnehmen. Das war Freiheit! Erstes Lied auf der A-Seite der ersten Kassette: „Super Trouper“von Abba. Das Vinyl des gleichnamigen Albums war Jahre später der Kollateralschaden eines Tauschhandels, bei dem es um ein ganzes Konvolut früherer 80er-Jahre-Scheiben (Post-Punk, New Wave usw.) ging. Das Abba-Album blieb bis heute unaufgelegt, denn die Hitparaden-Aufnehmerei endete schon recht bald nach der Silver-Speed-Phase mit dem ersten Vinyl-Kauf. Vinyl war zu teuer und zu wichtig, als dass man da ins Mittelmäßige oder Massenhafte investiert hätte. Joy Division, Ramones, Bowie, die frühen U2 – das leistete ich mir auf Vinyl. Kassetten taugten nur mehr, um Mixtapes für angehimmelte Mädels (meist ohne Erfolg) zusammenzubasteln. Und dann sah ich im Vorjahr beim Record Store Day tatsächlich wieder Kassetten. Metallica! Ich nahm sie mit – nicht aus künstlerischen, sondern aus nostalgischen Gründen. Die Kassette ist bisher so ungespielt wie Abba. Ich habe kein Kassettendeck mehr.
Ohne Verstärker
Die Nadel gleitet langsam nach unten. „Blood on the Tracks“, „Harvest“, „Another Side of Bob Dylan“ein paar wichtige Platten hatte ich auf Flohmärkten, in Record Stores, bei Freunden ergattert. Ich würde gern das Knistern hören, das die ersten Zeilen von „Tangled Up in Blue“begleitet. Das Warten wäre vergebens. Es fehlt der Verstärker. Der Onkel eines Freundes entsorgte kürzlich einen Plattenspieler aus seinem Dachbodenschatz. Ich war eine glückliche Abnehmerin. Nur: Für so ein altes Modell kann man halt nicht in den nächstbesten Elektromarkt gehen und einen Verstärker besorgen. Ich versuchte es trotzdem. Das Resultat waren amüsierte, fast mitleidige Blicke der Verkäufer. Alt. Nicht mehr lieferbar. Was ich brauche, ist ein XLR-Stecker. Ein fünfpoliger, um genau zu sein. Das Verbindende war nicht verfügbar. Es ist schlicht aus der Mode. Der Plattenspieler aus einer anderen Zeit. In der schönen neuen Elektromarktwelt bemühte man sich dennoch: Die fände ich wohl am ehesten auf dem Flohmarkt. Neue Plattenspieler gäbe es aber im Angebot. Wie kann etwas, auf dem sich die Ewigkeit dreht, an Altersschwäche scheitern?
Nostalgisch
Wie fängt man eine Musiksammlung an? Wer ein Streaming-Abo hat, muss sich so eine Frage nicht mehr stellen. Darum hat es auch etwas Gerechtes, dass zeitgleich mit der Digitalisierung Vinyl wieder Trumpf ist. Wir, die wir im Licht des großen Datenstroms eher alt aussehen, dürfen uns da mit unseren teuer gewordenen LPs wieder ein bisschen avantgardistisch fühlen. „Sticky Fingers“von den Stones? Brauchen wir nicht als JubiläumsEdition, wir haben damals gerade noch ein Original (mit Reißverschluss am Cover) ergattert.
Dass Nostalgie aber auch heißt, einem Gestern nachzuhängen, wo die Zukunft längst begonnen hat, wird klar, wenn man dem Nachwuchs erstmals stolz den Plattenspieler vorführt. Kurz herrscht Andacht bei der langen Live-Version von „When the Music’s Over“der Doors. Dann folgt die Frage: „Wo ist denn beim Plattenspieler die Vorwärts-Taste?“
Genussvoll
Es ist sehr praktisch, wenn man die Lieblingsmusik auf dem Smartphone oder besser als hochwertige Datei auf Festplatte gespeichert hat. Wenn ich einen digitalen Player und Streamer in meiner Hi-Fi-Anlage habe, höre ich öfter Musik. Aber ich höre nicht so konzentriert und aufmerksam wie von der Schallplatte. Das beginnt schon mit dem Intro: Die schwarze Scheibe aus der Hülle nehmen, sie auf den Plattenteller legen und die Nadel in die Rille führen. Dann setzt man sich in aller Ruhe hin und taucht in die Musik ein. Genau das macht das Hören von Schallplatten aus. Es ist kein Happen zwischendurch, sondern genussvolles Speisen. Ohne Ablenkung durch Fernbedienung, ohne Wischen auf dem Handy oder dem iPad, ohne die Versuchung, ständig zur nächsten Nummer zu zappen. Alles retro? Nein, alles entspannt, meditativ und ans Herz rührend.