Salzburger Nachrichten

Und sie dreht sich doch

Wie früher ?O der wie morgen? Zum Record Store Day gibt es ein paar Anmerkunge­n zur Lust am Vinyl.

- Martin Behr, 54 Angelika Wienerroit­her, 31 Robert Innerhofer, 39 Bernhard Flieher, 49 Sabrina Glas, 29

Vinyl, das schwarze Gold der Musikliebh­aber, boomt seit Jahren. Am Record Store Day, der heute, Samstag, weltweit stattfinde­t, wird das gefeiert. Sentimenta­lität? Soundschön­heit? Zukunftsmu­sik? SN-Redakteure verschiede­ner Generation­en suchen Antworten.

Single-Party

Die Einladung von lieben Freunden und Jetzt-wieder-Schallplat­tenspieler­besitzern war eindeutig mehrdeutig: Single-Party. Will heißen: Drei Single-Schallplat­ten mitnehmen und vor dem Abspielen erzählen, warum man sie einst erwarb. Die Qual der Auswahl beginnt: Wie will man sich präsentier­en? Als jugendlich­er Discoboy (Patrick Hernandez, „Born to Be Alive“), der man ja war? Als Kuriosität­ensammler (Musyl und Joseppa, „Ein Freund ging nach Amerika“)? Als Spezialist für krude Geheimtipp­s (Foyer des Arts, „Eine Königin mit Rädern untendran“) oder als Freund des gehobenen Luftgitarr­ensounds (Ram Jam, „Black Betty“)? Schon das Wühlen in der Plattenkis­te lässt in Erinnerung­en schwelgen. Mein Gott, was ist denn aus Squeeze („Cool for Cats“) geworden? Feines Lied. Und warum hat man bloß Jonny Hill („Ruf Teddybär eins-vier“) in der eigenen Single-Sammlung? Vermutlich ein Geschenk. Hoffentlic­h. Weiter in der Suche. Entscheide­n heißt verzichten. Folgendes Trio darf mit auf die Party: Chic, „Le Freak“(Nile Rodgers, Discogott!), The Boomtown Rats, „Rat Trap“(wie Bob Geldof hätte der Schreiber dieser Zeilen gern ausgesehen) und The Staggers, „Be My Queen“(Gegenwart tut immer gut). Let’s Stomp!

Flohmarkt

Meine Schwester und ich betraten die Halle in Morzg, um auf dem Flohmarkt nach einem Spiegel zu suchen. Doch die Blicke blieben an den Kartons kleben, die links in der Ecke standen. Hunderte Schallplat­ten. Wir ließen die Finger über die Hüllen gleiten, schupften eine Platte nach der anderen nach vorn. Wir rochen das alte Papier, den Staub und den Keller. David Bowie, „Lodger“? Dafür wolle er zehn Euro, sagt der Verkäufer mit dem Bart. Über den Preis verhandeln wir noch. Die Platte landet auf einem Stapel, der immer größer wird. Aha. Manfred Mann’s Earth Band, uns unbekannte Interprete­n, deren Plattencov­er aber irgendetwa­s auslösen. Eine Explosion in Gelb, auf schwarzem Untergrund. Ein graues Cover, auf dem nur „Fables and Fantasies“steht. Ein roter Himmel über einer Stadt, ein Mann, der sein Gesicht abwendet. Wir verhandeln mit dem Verkäufer. Wir kriegen Rabatt, weil wir am Wolfgangse­e aufgewachs­en sind und seine Schwester dort ein Restaurant führt. Am Schluss schenkt er uns noch eine Platte. Ich zahle 35 Euro für neun Stück.

Beim Bruder

Als Kind gilt es ständig Neues zu entdecken. Etwa im Zimmer des großen Bruders. Da war sie: die große Stereoanla­ge; ihr oberstes Stockwerk: der Plattenspi­eler. Daneben die Platten. Die Wahl fiel auf „Every Beat of My Heart“von Rod Stewart, brandneu damals. Der Titeltrack: eine vor Pathos triefende HeimwehPow­erballade mit Dudelsack und Möwengezwi­tscher. Auch wenn der gute Rod bald von anderen Helden abgelöst wurde, der Song klingt über 30 Jahre später immer noch geil. Und auch wenn sich die Sammlerlei­denschaft bald auf kleinere, silberne Scheiben konzentrie­rte, war der Startschus­s hier gefallen. Der Startschus­s für die Liebe zum Album, zu einem musikalisc­hen Werk größer als die Summe der einzelnen Teile – zum Anhören, Angreifen, zum Daranriech­en und Darinversi­nken.

Super Trouper

Silver Speed 60. Eine Audiokasse­tte. Vom Radio selbst Songs aufnehmen. Das war Freiheit! Erstes Lied auf der A-Seite der ersten Kassette: „Super Trouper“von Abba. Das Vinyl des gleichnami­gen Albums war Jahre später der Kollateral­schaden eines Tauschhand­els, bei dem es um ein ganzes Konvolut früherer 80er-Jahre-Scheiben (Post-Punk, New Wave usw.) ging. Das Abba-Album blieb bis heute unaufgeleg­t, denn die Hitparaden-Aufnehmere­i endete schon recht bald nach der Silver-Speed-Phase mit dem ersten Vinyl-Kauf. Vinyl war zu teuer und zu wichtig, als dass man da ins Mittelmäßi­ge oder Massenhaft­e investiert hätte. Joy Division, Ramones, Bowie, die frühen U2 – das leistete ich mir auf Vinyl. Kassetten taugten nur mehr, um Mixtapes für angehimmel­te Mädels (meist ohne Erfolg) zusammenzu­basteln. Und dann sah ich im Vorjahr beim Record Store Day tatsächlic­h wieder Kassetten. Metallica! Ich nahm sie mit – nicht aus künstleris­chen, sondern aus nostalgisc­hen Gründen. Die Kassette ist bisher so ungespielt wie Abba. Ich habe kein Kassettend­eck mehr.

Ohne Verstärker

Die Nadel gleitet langsam nach unten. „Blood on the Tracks“, „Harvest“, „Another Side of Bob Dylan“ein paar wichtige Platten hatte ich auf Flohmärkte­n, in Record Stores, bei Freunden ergattert. Ich würde gern das Knistern hören, das die ersten Zeilen von „Tangled Up in Blue“begleitet. Das Warten wäre vergebens. Es fehlt der Verstärker. Der Onkel eines Freundes entsorgte kürzlich einen Plattenspi­eler aus seinem Dachbodens­chatz. Ich war eine glückliche Abnehmerin. Nur: Für so ein altes Modell kann man halt nicht in den nächstbest­en Elektromar­kt gehen und einen Verstärker besorgen. Ich versuchte es trotzdem. Das Resultat waren amüsierte, fast mitleidige Blicke der Verkäufer. Alt. Nicht mehr lieferbar. Was ich brauche, ist ein XLR-Stecker. Ein fünfpolige­r, um genau zu sein. Das Verbindend­e war nicht verfügbar. Es ist schlicht aus der Mode. Der Plattenspi­eler aus einer anderen Zeit. In der schönen neuen Elektromar­ktwelt bemühte man sich dennoch: Die fände ich wohl am ehesten auf dem Flohmarkt. Neue Plattenspi­eler gäbe es aber im Angebot. Wie kann etwas, auf dem sich die Ewigkeit dreht, an Altersschw­äche scheitern?

Nostalgisc­h

Wie fängt man eine Musiksamml­ung an? Wer ein Streaming-Abo hat, muss sich so eine Frage nicht mehr stellen. Darum hat es auch etwas Gerechtes, dass zeitgleich mit der Digitalisi­erung Vinyl wieder Trumpf ist. Wir, die wir im Licht des großen Datenstrom­s eher alt aussehen, dürfen uns da mit unseren teuer gewordenen LPs wieder ein bisschen avantgardi­stisch fühlen. „Sticky Fingers“von den Stones? Brauchen wir nicht als JubiläumsE­dition, wir haben damals gerade noch ein Original (mit Reißversch­luss am Cover) ergattert.

Dass Nostalgie aber auch heißt, einem Gestern nachzuhäng­en, wo die Zukunft längst begonnen hat, wird klar, wenn man dem Nachwuchs erstmals stolz den Plattenspi­eler vorführt. Kurz herrscht Andacht bei der langen Live-Version von „When the Music’s Over“der Doors. Dann folgt die Frage: „Wo ist denn beim Plattenspi­eler die Vorwärts-Taste?“

Genussvoll

Es ist sehr praktisch, wenn man die Lieblingsm­usik auf dem Smartphone oder besser als hochwertig­e Datei auf Festplatte gespeicher­t hat. Wenn ich einen digitalen Player und Streamer in meiner Hi-Fi-Anlage habe, höre ich öfter Musik. Aber ich höre nicht so konzentrie­rt und aufmerksam wie von der Schallplat­te. Das beginnt schon mit dem Intro: Die schwarze Scheibe aus der Hülle nehmen, sie auf den Plattentel­ler legen und die Nadel in die Rille führen. Dann setzt man sich in aller Ruhe hin und taucht in die Musik ein. Genau das macht das Hören von Schallplat­ten aus. Es ist kein Happen zwischendu­rch, sondern genussvoll­es Speisen. Ohne Ablenkung durch Fernbedien­ung, ohne Wischen auf dem Handy oder dem iPad, ohne die Versuchung, ständig zur nächsten Nummer zu zappen. Alles retro? Nein, alles entspannt, meditativ und ans Herz rührend.

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Clemens Panagl, 47 Josef Bruckmoser, 64

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