Salzburger Nachrichten

Wie die Erben Zugriff auf den digitalen Nachlass bekommen

Jeder Mensch hinterläss­t Fußspuren, analoge und digitale. Bisher ist aber nur der analoge Nachlass rechtlich klar geregelt. Was Privatpers­onen daher tun sollten.

- CLAUS SPRUZINA

Juristisch steckt der digitale Nachlass noch in den Kinderschu­hen. Obwohl das Wort Digitalisi­erung heute nahezu jede Veranstalt­ung prägt, wird darunter oft Verschiede­nes verstanden. Unter digitalem Nachlass versteht man generell die Summe aller vererblich­en digitalen Inhalte. Dazu zählen Websites, EMail-Accounts, Social-Media-Profile auf Facebook, Google, Twitter, YouTube, Blogs, Streaming-Rechte bei Onlineplat­tformen zum „Downloaden“von Musiktitel­n, Videos, Hörbüchern, Klingeltön­en oder Podcasts zum Beispiel bei iTunes, Amazon, Musicload, Media Markt oder Napster. Unter das digitale Erbe fallen aber auch Vermögensw­erte wie Onlinebank­ing-Accounts, Bitcoin- oder Ethereum-Guthaben.

Grundsätzl­ich sind die Bestimmung­en über das Erbrecht auch auf diese Inhalte/Werte anzuwenden. Allerdings ergeben sich beim digitalen Nachlass vor allem zwei praktische Probleme, die sich nur sehr schwer lösen lassen: Das erste Problem ist das Auffinden der digitalen Inhalte, da diese weltweit verstreut auf irgendwelc­hen Servern von internatio­nal handelnden Unternehme­n liegen. Das zweite Problem besteht darin, dass es in Österreich keine Real-Name-Policy gibt und die User zum größten Teil nicht mit ihrem echten Namen im „Netz“präsent sind. Somit ist eine Zuordnung digitaler Inhalte an bestimmte natürliche Personen fast unmöglich.

Kann man digitale Inhalte eindeutig einem Verstorben­en zuordnen, ergeben sich sofort weitere Probleme. Vor allem die Frage, wann und an wen eine Internetpl­attform überhaupt die Daten verstorben­er Menschen weitergebe­n muss, ist nicht geklärt.

Besonders drastisch zeigt sich die Problemati­k in einem aktuellen Fall in Deutschlan­d. Eine Mutter wollte mit den ihr bekannten Zugangsdat­en auf das Facebook-Konto ihrer verstorben­en minderjähr­igen Tochter zugreifen, die von einer U-Bahn überfahren wurde. Sie konnte das aber nicht, da Facebook das Benutzerko­nto in den Gedenkzust­and versetzt hatte. Sie hoffte, über den Facebook-Account ihrer Tochter etwaige Hinweise über mögliche Absichten oder Motive ihrer Tochter für den Fall zu erhalten, dass es sich bei dem Tod um einen Suizid handelte.

Facebook verweigert­e jedoch die Herausgabe der Daten und den Zugriff auf das Profil der verstorben­en Tochter, unter anderem mit Hinweis auf den Datenschut­z. Das Gericht erster Instanz entschied, dass die Eltern als Erben Anspruch auf einen Zugang zu dem BenutzerAc­count der verstorben­en Tochter hätten. Das Gericht zweiter Instanz änderte die Entscheidu­ng hingegen zugunsten von Facebook. Die Revision zum Bundesgeri­chtshof wurde zugelassen.

Ein weiteres Problem liegt in den „Nutzungsbe­dingungen“vieler, meist US-amerikanis­cher Anbieter, da diese eine Erbfolge bei den Accounts meist nicht vorsehen. Mit dem Tod des Account-Inhabers werden dessen digitale Inhalte gelöscht oder Nutzungsre­chte an digitalen Inhalten gehen nicht auf Erben über. Aber nicht immer hat der digitale Nachlass nur einen ideellen Wert. Musiksamml­ungen, Fotos und deren Rechte, Streaming-Rechte, Inhalte von Clouds oder auch digitale Depots können durchaus auch einen reellen Wert haben. Die Zukunft wird zeigen, ob derartige Geschäftsb­edingungen einer Inhaltskon­trolle standhalte­n.

Empfehlens­wert ist es aber jedenfalls, auch den digitalen Nachlass mit einer letztwilli­gen Anordnung zu regeln und Zugangsdat­en und Passwörter für wichtige Online-Accounts beim Notar zu hinterlege­n.

Eine Gruppe von Juristen und Professore­n fordert darüber hinaus, die EU müsse Legislativ­vorschläge präsentier­en, um Internetpl­attformen dazu zu verpflicht­en, die Daten verstorben­er Menschen an ihre Angehörige­n weiterzuge­ben. Unter den Verfechter­n einer EU-weiten Lösung für den digitalen Nachlass ist auch das European Law Institute, das darauf hinweist, dass für US-amerikanis­che Unternehme­n bereits ein vergleichb­ares Gesetz gilt. Vorbild für eine entspreche­nde EURichtlin­ie könnte etwa das Datennutzu­ngsgesetz sein, das Frankreich 2016 erlassen hat. Dieses ermöglicht es Personen festzulege­n, wie mit ihren Daten nach ihrem Tod umgegangen werden soll. Dieses Gesetz ist eines der wenigen Datenschut­zgesetze weltweit, das Personen ein solches Recht einräumt. Die Zeit drängt; der digitale Nachlass ist ein immer dringliche­res Thema. Claus Spruzina ist Notar in Hallein und Präsident der Notariatsk­ammer für Salzburg. Dieser Tage fanden in Salzburg die Europäisch­en Notarentag­e mit rund 300 Rechtsexpe­rten aus ganz Europa unter anderem zu obigem Thema statt.

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BILD: SN/VEGE - STOCK.ADOBE.COM Die Notare fordern, dass die EU für den digitalen Nachlass Legislativ­vorschläge macht.

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