Wie die Erben Zugriff auf den digitalen Nachlass bekommen
Jeder Mensch hinterlässt Fußspuren, analoge und digitale. Bisher ist aber nur der analoge Nachlass rechtlich klar geregelt. Was Privatpersonen daher tun sollten.
Juristisch steckt der digitale Nachlass noch in den Kinderschuhen. Obwohl das Wort Digitalisierung heute nahezu jede Veranstaltung prägt, wird darunter oft Verschiedenes verstanden. Unter digitalem Nachlass versteht man generell die Summe aller vererblichen digitalen Inhalte. Dazu zählen Websites, EMail-Accounts, Social-Media-Profile auf Facebook, Google, Twitter, YouTube, Blogs, Streaming-Rechte bei Onlineplattformen zum „Downloaden“von Musiktiteln, Videos, Hörbüchern, Klingeltönen oder Podcasts zum Beispiel bei iTunes, Amazon, Musicload, Media Markt oder Napster. Unter das digitale Erbe fallen aber auch Vermögenswerte wie Onlinebanking-Accounts, Bitcoin- oder Ethereum-Guthaben.
Grundsätzlich sind die Bestimmungen über das Erbrecht auch auf diese Inhalte/Werte anzuwenden. Allerdings ergeben sich beim digitalen Nachlass vor allem zwei praktische Probleme, die sich nur sehr schwer lösen lassen: Das erste Problem ist das Auffinden der digitalen Inhalte, da diese weltweit verstreut auf irgendwelchen Servern von international handelnden Unternehmen liegen. Das zweite Problem besteht darin, dass es in Österreich keine Real-Name-Policy gibt und die User zum größten Teil nicht mit ihrem echten Namen im „Netz“präsent sind. Somit ist eine Zuordnung digitaler Inhalte an bestimmte natürliche Personen fast unmöglich.
Kann man digitale Inhalte eindeutig einem Verstorbenen zuordnen, ergeben sich sofort weitere Probleme. Vor allem die Frage, wann und an wen eine Internetplattform überhaupt die Daten verstorbener Menschen weitergeben muss, ist nicht geklärt.
Besonders drastisch zeigt sich die Problematik in einem aktuellen Fall in Deutschland. Eine Mutter wollte mit den ihr bekannten Zugangsdaten auf das Facebook-Konto ihrer verstorbenen minderjährigen Tochter zugreifen, die von einer U-Bahn überfahren wurde. Sie konnte das aber nicht, da Facebook das Benutzerkonto in den Gedenkzustand versetzt hatte. Sie hoffte, über den Facebook-Account ihrer Tochter etwaige Hinweise über mögliche Absichten oder Motive ihrer Tochter für den Fall zu erhalten, dass es sich bei dem Tod um einen Suizid handelte.
Facebook verweigerte jedoch die Herausgabe der Daten und den Zugriff auf das Profil der verstorbenen Tochter, unter anderem mit Hinweis auf den Datenschutz. Das Gericht erster Instanz entschied, dass die Eltern als Erben Anspruch auf einen Zugang zu dem BenutzerAccount der verstorbenen Tochter hätten. Das Gericht zweiter Instanz änderte die Entscheidung hingegen zugunsten von Facebook. Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde zugelassen.
Ein weiteres Problem liegt in den „Nutzungsbedingungen“vieler, meist US-amerikanischer Anbieter, da diese eine Erbfolge bei den Accounts meist nicht vorsehen. Mit dem Tod des Account-Inhabers werden dessen digitale Inhalte gelöscht oder Nutzungsrechte an digitalen Inhalten gehen nicht auf Erben über. Aber nicht immer hat der digitale Nachlass nur einen ideellen Wert. Musiksammlungen, Fotos und deren Rechte, Streaming-Rechte, Inhalte von Clouds oder auch digitale Depots können durchaus auch einen reellen Wert haben. Die Zukunft wird zeigen, ob derartige Geschäftsbedingungen einer Inhaltskontrolle standhalten.
Empfehlenswert ist es aber jedenfalls, auch den digitalen Nachlass mit einer letztwilligen Anordnung zu regeln und Zugangsdaten und Passwörter für wichtige Online-Accounts beim Notar zu hinterlegen.
Eine Gruppe von Juristen und Professoren fordert darüber hinaus, die EU müsse Legislativvorschläge präsentieren, um Internetplattformen dazu zu verpflichten, die Daten verstorbener Menschen an ihre Angehörigen weiterzugeben. Unter den Verfechtern einer EU-weiten Lösung für den digitalen Nachlass ist auch das European Law Institute, das darauf hinweist, dass für US-amerikanische Unternehmen bereits ein vergleichbares Gesetz gilt. Vorbild für eine entsprechende EURichtlinie könnte etwa das Datennutzungsgesetz sein, das Frankreich 2016 erlassen hat. Dieses ermöglicht es Personen festzulegen, wie mit ihren Daten nach ihrem Tod umgegangen werden soll. Dieses Gesetz ist eines der wenigen Datenschutzgesetze weltweit, das Personen ein solches Recht einräumt. Die Zeit drängt; der digitale Nachlass ist ein immer dringlicheres Thema. Claus Spruzina ist Notar in Hallein und Präsident der Notariatskammer für Salzburg. Dieser Tage fanden in Salzburg die Europäischen Notarentage mit rund 300 Rechtsexperten aus ganz Europa unter anderem zu obigem Thema statt.