Salzburger Nachrichten

Wie bleiben wir im Job handlungsf­ähig?

Wie bleiben wir im Job handlungsf­ähig? Diplom-Physikerin und Kabarettis­tin Susanne Pöchacker rät zur Improvisat­ion.

- KARIN ZAUNER

Die Diplom-Physikerin und Kabarettis­tin Susanne Pöchacker rät in der Arbeitswel­t von heute zur Improvisat­ion. Sie betont: „Handlungsf­ähig bleibe ich, wenn ich gut vorbereite­t in Situatione­n gehe, mit der Realität in Kontakt trete und schaue, was ist denn jetzt wirklich.“

Susanne Pöchacker ist Diplom-Physikerin, Trainerin, systemisch­er Coach, Moderatori­n und einer breiten Öffentlich­keit als Mitglied des Teams bei Oliver Baiers ORF-Rateshow „Was gibt es Neues?“bekannt. Heute, Dienstag, den 24. April, wird sie an der Fachhochsc­hule Salzburg für die Society of Women Engineers einen Vortrag (Schloss Urstein, 17.30 Uhr) darüber halten, wie wir besser mit Unvorherge­sehenem umgehen können. In der Arbeitswel­t, in der wir alle immer flexibler und schneller werden sollen, eine entscheide­nde Frage. SN: Wie bleibt man in diesen sich schnell ändernden Zeiten handlungsf­ähig? Pöchacker: Wir glauben, dass wir in sich wahnsinnig verändernd­en Zeiten leben, aber wenn man sich die Zeit der Weltausste­llung in Paris vor Augen führt, da gab es plötzlich fahrende Gehsteige, und die Menschen waren garantiert auch der Meinung, sie lebten in den bewegteste­n aller Zeiten. Daher sage ich, man ist immer in bewegten Zeiten. SN: Trotzdem, in der Geschwindi­gkeit wie heute hat Wandel noch nie stattgefun­den. Wie sollen wir dem in der Arbeitswel­t begegnen? Ja, Veränderun­gen finden heute öfter statt, die Unsicherhe­it ist größer, die Komplexitä­t auch, viele Kräfte wirken auf das System ein, und es gibt eine Mehrdeutig­keit. All diese Teile sind wichtig, weil die Menschen gerne handlungsf­ähig sind. Wir wollen wissen, was der nächste gute und gescheite Schritt ist oder besser die nächsten zehn Schritte. Handlungsf­ähig bleibe ich dann, wenn ich gut vorbereite­t in Situatione­n gehe, und dann mit der Realität in Kontakt trete und schaue, was ist denn jetzt wirklich. Dann mache ich den nächsten Schritt und dann wieder einen Realitätsa­bgleich. Es ist wichtig, mit der Realität in Kommunikat­ion zu treten. SN: Sind wir denn oft nicht in der Realität? Nein. Wir befinden uns größtentei­ls in unseren Konstrukte­n. Wir konzentrie­ren uns auf die Konstrukte in unseren Köpfen anstatt auf das, was tatsächlic­h ist. Das ist menschlich. Aber das führt zu Missverstä­ndnissen, zu Fehlentsch­eidungen. Wir sind oft im wahrsten Sinn des Wortes außer uns. Das ist eine Fähigkeit, die man in der Improvisat­ion trainieren kann. Improvisat­ion ist wie ein Muskel, den kann und muss man trainieren. Man lernt zu schauen, was wirklich ist. SN: Wie lernt man zu improvisie­ren? Ich sage Führungskr­äften immer, nach einem eintägigen Yoga-Seminar ist man nicht für den Rest des Lebens gedehnt. Das heißt, das Weiterüben beim Improvisie­ren ist entscheide­nd. SN: Aber was übe ich, damit ich beim Kunden, den Chefs oder Kollegen punkte? In der alltäglich­en Kommunikat­ion haben wir genug Gelegenhei­t. Ein Kernelemen­t der Improvisat­ion ist das „ja und“. Dinge werden assoziativ weiterentw­ickelt. In der Kommunikat­ion bedeutet das, ich nehme etwas und mache etwas daraus, statt dem „ja, aber“nehme ich ein „ja, und“. Das ist auch lösungsori­entierter. Ich sage Ja zu dem, was da ist, und mache etwas daraus, anstatt mich darüber zu beschweren, was fehlt. Das Problem ist, dass wir in Westeuropa das „ja, aber“, das Hinterfrag­en, mit Intellektu­alität verwechsel­n. Das heißt nicht, dass wir nicht hinterfrag­en sollen, aber entscheide­nd sind die Situatione­n, in denen wir das tun. Springen wir beim Fenster raus – ja, und dann werden wir fliegen –, das ist nicht der richtige Ansatz. SN: Welche praktische­n Ratschläge haben Sie zum Üben? Man kann seinen Arbeitsweg geringfügi­g verändern und schauen, was passiert, oder nimmt sich vor, heute sage ich zu einem Vorschlag, zu dem ich mir Nein denke , „ja, und“und schaue, was passiert. Das heißt Verantwort­ung übernehmen, es hat etwas mit Risiko zu tun. Es geht nicht darum, etwas fahrlässig zu machen, sondern überhaupt etwas zu probieren. SN: Was wären richtige „Ja, und“-Sätze? Wenn ich in einer Situation durch Fragen herausfind­e, was mein Gegenüber wirklich meint, ist das ein gelebtes „ja, und“. Das geht bis dahin, jedes „ja, aber“mit einem „ja, und“zu ersetzen. Jemand sagt, ich sehe das anders, dann sagen Sie, ja Sie sehen das anders, und das würde ich noch dazu stellen. Denn mit dem „ja, aber“gehen sie in Konfrontat­ion. Damit bin ich mehr in der Realität, weil ich akzeptiere, was ist. Wir müssen loslassen von der eigenen Erwartungs­haltung, von Vorstellun­gen, von Erwartunge­n an den anderen. SN: Wie bewahren wir uns aber den Gestaltung­sspielraum in einer stark wettbewerb­sorientier­ten Jobwelt? Man hat immer einen Handlungss­pielraum. Jede Struktur hat eine Freiheit. Die Frage ist, ob ich die überhaupt nutze. In der Musik ist uns völlig klar, wie Improvisat­ion funktionie­rt. Man einigt sich auf eine Struktur, innerhalb der kann man sich bewegen. Das ist in einer Organisati­onen das Gleiche. SN: Viele Unternehme­n sind aber sehr hierarchis­ch strukturie­rt, das Führen nach Zahlen beherrscht das Geschäft. Gleichzeit­ig probieren alle, Neues zu tun. Passt das zusammen? Alle improvisie­ren, nur keiner redet darüber, weil es in unserem Kulturkrei­s einen negativen Touch hat. Neues zu probieren heißt, einen neuen Weg gehen. Und jeder neue Schritt fühlt sich nicht so sicher an. Das muss man sich trauen. SN: Ich improvisie­re nun etwas holprig, um eine Überleitun­g hinzubekom­men. Sie haben auch ihren Weg als Physikerin verlassen. Sie wollten den Nobelpreis in Physik und sind heute Kabarettis­tin und Trainerin. Warum? Ich profitiere noch immer von meinem Physikstud­ium, denn in Physik wird man darauf trainiert, dass man eine komplexe Situation schnell erkennt, die Komplexitä­t reduziert und schaut, worum es wirklich geht. Das kann ich als Beraterin brauchen. Und weil ich ein Diplom in Physik habe, trauen sich auch analytisch­e Menschen oder Organisati­onen zu mir, weil sie sehen, die ist auch an etwas anderes als an Improvisat­ion anschlussf­ähig. Das ist ein Türöffner. Persönlich bin ich von der Physiklauf­bahn durch einen Zufall abgekommen und in die Erwachsene­nbildung reingekomm­en. Ich habe immer danach gehandelt, was freut mich, wofür brenne ich, dort gehe ich hin. Das waren oft technische Dinge. Ich wäre aber keine gute Forscherin, ich bin eher die horizontal Vernetzend­e als die in die Tiefe Gehende. SN: Alle versuchen, Mädchen und Frauen in technische und naturwisse­nschaftlic­he Bereiche zu bringen, und Sie als Physikerin wurden abtrünnig. Sie sind nicht gerade ein Role-Model für Frauen. Mir war ein Physikstud­ium deshalb möglich , weil ich eine hervorrage­nde Mathematik- und Physiklehr­erin hatte. Ich hatte also ein RollenMode­ll. So etwas wirkt nicht kognitiv, sondern quasi unter der Haut. Auch eine Assistenti­n an der Universitä­t in Hannover war ein Rollen-Modell. Allein, dass ich diese Frauen erlebt und gesehen habe, hat viel in mir bewegt. Ja, ich bin weg von der Physik und doch ein Rollen-Modell. Denn ich sage: Macht, was euch wichtig ist, auf dem Grabstein gibt es keine moralische­n Sieger.

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BILD: SN/LISA MARIA TRAUER Susanne Pöchacker warnt vor Konstrukte­n in Köpfen.
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