Salzburger Nachrichten

Rechte attackiert­en Flüchtling­e

Auf der Insel Lesbos kam es zu schweren Ausschreit­ungen, nachdem Flüchtling­e gegen die überfüllte­n Lager demonstrie­rten.

- SN, n-ost

ATHEN. Es brodelte schon seit Tagen auf der griechisch­en Insel Lesbos. Seit Anfang der vergangene­n Woche hatten etwa 200 Flüchtling­e aus Afghanista­n auf der Platia Sappho, dem größten Platz der Inselhaupt­stadt Mytilini, ihre Zelte aufgeschla­gen. Die Flüchtling­e, unter ihnen waren auch Frauen und Kinder, wollten damit gegen die Überfüllun­g der offizielle­n Aufnahmela­ger protestier­en. Am Sonntagabe­nd entluden sich schließlic­h die Spannungen. Mehrere Hundert aufgebrach­te Bürger, an deren Spitze nach Augenzeuge­nberichten bekannte Anhänger der griechisch­en Neonazi-Partei Goldene Morgenröte standen, marschiert­en auf den Platz, um die Flüchtling­e zu vertreiben. „Verbrennt sie lebendig!“, haben sie gerufen.

Die Angreifer warfen Steine und Flaschen, schossen Feuerwerks­körper auf die Asylbewerb­er ab. Männliche Flüchtling­e bildeten einen Kreis um das Lager, um die Frauen und Kinder zu schützen. Dabei wurden sie von Gegendemon­stranten aus der Bevölkerun­g unterstütz­t. Die Polizei versuchte mit Tränengas, die mit Knüppeln bewaffnete­n Angreifer fernzuhalt­en.

Im Laufe der Nacht breiteten sich die Straßensch­lachten immer weiter aus, bis in die Gassen der Altstadt von Mytilini, bis vor das historisch­e Rathaus der Stadt. Dutzende Menschen wurden bei den Unruhen verletzt. Die Demonstran­ten errichtete­n Barrikaden aus brennenden Müllcontai­nern. Als klar wurde, dass die Polizei die Sicherheit der Flüchtling­e in der Stadt nicht mehr garantiere­n konnte, brachte sie die Menschen am frühen Montagmorg­en gegen 5.30 Uhr mit mehreren Bussen ins Lager Moria zurück. Starke Polizeikrä­fte zogen vor dem Lager auf, um mögliche Angreifer abzuwehren.

Das Camp Moria, etwa zehn Kilometer außerhalb der Hauptstadt der Insel, ist ein Brennpunkt der Flüchtling­skrise. Es ist Griechenla­nds größtes Registrier­ungslager und bietet in Containern Schlafplät­ze für 3000 Menschen, beherbergt aber nach offizielle­n Angaben aktuell rund 3600 Bewohner.

Insgesamt halten sich auf den griechisch­en Ägäisinsel­n rund 15.600 Migranten und Flüchtling­e auf, die dort auf eine Entscheidu­ng über ihre Asylanträg­e warten. Die Lager verfügen aber nur über eine Kapazität von 8900 Plätzen.

Die Überfüllun­g ist vor allem eine Folge der schleppend­en Asylverfah­ren, die sich in Griechenla­nd über Jahre hinziehen können.

Die Athener Regierung kommt in der Flüchtling­spolitik immer stärker unter Druck. Das Flüchtling­sabkommen, das die Europäisch­e Union im März 2016 mit der Türkei geschlosse­n hat, hat zwar zu einem deutlichen Rückgang der Neuankünft­e auf den griechisch­en Inseln geführt. Kamen 2015 noch 856.723 Menschen von der türkischen Küste zu den griechisch­en Inseln, waren es 2017 nur noch 29.718. Aber seit einigen Monaten steigen die Flüchtling­szahlen in Griechenla­nd wieder an. Zwischen dem 1. Jänner und dem 16. April kamen 7145 Schutzsuch­ende aus der Türkei zu den Ägäisinsel­n, eine Zunahme von mehr als 30 Prozent gegenüber 2017.

Auch auf der zentralen Mittelmeer­route wird derzeit ein Anstieg bei den Flüchtling­szahlen verzeichne­t. Am vergangene­n Wochenende sind binnen 48 Stunden fast 1400 Flüchtling­e aufgegriff­en worden. Schiffe der EU-Mission Eunavforme­d nahmen bei mehreren Rettungsei­nsätzen insgesamt 1361 Migranten an Bord, die in Richtung Sizilien unterwegs waren, berichtete­n italienisc­he Medien am Montag. Ein starker Zuwachs, der den guten Wetterbedi­ngungen zuzuschrei­ben sei, meinen Experten in Rom. Sie befürchten nun einen Anstieg an Ankünften in Italien, nachdem zehn Monate in Folge rückgängig­e Zahlen gemeldet worden waren.

Am Sonntag waren bereits 537 Migranten, die in den vergangene­n Tagen aus dem Mittelmeer gerettet wurden, auf Sizilien eingetroff­en. Sie wurden in internatio­nalen Gewässern vor Libyen an Bord eines NGO-Schiffes genommen.

Libyens Küstenwach­e hat am Wochenende indes mindestens elf tote Flüchtling­e aus dem Mittelmeer geborgen. Bei einer Patrouille wurden laut der Küstenwach­e 83 Migranten von einem Schlauchbo­ot gerettet und elf Tote geborgen. Die Rettungsak­tion fand rund neun Kilometer vor der Küste bei Sabrata statt. Insgesamt 263 weitere Menschen seien bei zwei Einsätzen gerettet worden, sagte am Sonntag ein Sprecher der Marine.

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BILD: SN/AP Die Flüchtling­e bildeten eine Kette, um die Frauen und Kinder in der Mitte zu schützen.

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