Europa wird macronisiert
Wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei der nächsten Europawahl die Macht im Europäischen Parlament erringen und die traditionellen Parteistrukturen aushebeln will.
Eltern, die dieser Tage ihre Kinder von der französischen Schule in Wien abholen, müssen damit rechnen, ein paar Fragen über ihre Haltung zu Europa gestellt zu bekommen. Es sind keine professionellen Meinungsforscher oder Agenten der EU, die sich dafür interessieren, sondern Anhänger von La République En Marche (LREM), der „Bewegung“hinter Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Sie wollen die Auslandsfranzosen dafür gewinnen, zur Europawahl in einem Jahr zu gehen und für die Macron-Partei zu stimmen.
„Wir sprechen sie vor Schulen an, vor Kulturinstituten oder vor den Bahnhöfen, in denen die TGV ankommen“, sagt Isabelle Negrier, Referentin von LREM für Deutschland und Österreich. Ein Prozent der rund 150.000 Franzosen in den beiden Ländern habe sich registriert, erzählt die Energiemanagerin mit Wohnsitz in Bonn und Macron-Aktivistin der ersten Stunde.
Die Mobilisierung der zwei Millionen Auslandsfranzosen ist nur ein kleiner Teil des „Langen Marsches für Europa“, den LREM vor zwei Wochen gestartet hat. In ganz Frankreich gehen noch bis 9. Mai Tausende freiwillige „Marcheurs“von Tür zu Tür und fragen die Menschen, was sie von Europa erwarten. Wo sie klingeln und was sie fragen, ist genau ausgetüftelt, um ein möglichst breites Bild der Bevölkerung zu bekommen, von EU-Euphorikern bis zu solchen, die noch nie gewählt haben.
Vorige Woche fand nahe Straßburg zudem die erste Bürgerkonsultation statt, bei der Macron nach seinem Auftritt im EU-Parlament 350 Interessierten Rede und Antwort zum Thema Europa stand.
Mit den Hausbesuchen und Versammlungen will Frankreichs Präsident die EU verändern – und nicht zuletzt die klassische Parteienlandschaft im Europaparlament. „Wir können 2019 nach dem Brexit nicht mehr so weitermachen“, sagt Pieyre-Alexandre Anglade, Europasprecher bei LREM. Die politischen Gruppierungen seien „künstlich, intern zersplittert und unbefriedigend“. Ohne die „Neugründung der EU“, die Macron propagiert, werde es zu einem weiteren Aufstieg der Rechten und der EU-Gegner kommen, die alles blockieren. Daher wolle En Marche die „progressiven Kräfte“vereinen und neue Strukturen schaffen. Bei der Frage, wie diese ausschauen könnten, gibt sich Anglade wortkarg. Es bestünden vorerst nur „informelle Kontakte“.
Insbesondere die Liberalen (zu denen die österreichische Neos-Abgeordnete Angelika Mlinar zählt) und allen voran Fraktionschef Guy Verhofstadt versuchen mit Macron gemeinsame Sache zu machen. Doch bisher hat sich En Marche zu keiner Parteienfamilie bekannt. Macron hat sich, zum Missfallen der Europa-Parlamentarier, auch gegen das System ausgesprochen, wonach der Spitzenkandidat der stimmenstärksten Fraktion quasi automatisch EU-Kommissionspräsident wird.
Wer für En Marche in Frankreich antreten wird, ist bis dato völlig offen. Die für Deutschland und Österreich zuständige Aktivistin Negrier erklärt das mit dem völlig anderen Zugang der Bewegung: Zunächst werde aus den Ergebnissen aller Befragungen und Debatten bis Herbst das Programm für die EU-Wahl erstellt. Erst dann werde über Kandidaten und mögliche Allianzen entschieden, denn diese müssten die Projekte und Ideen reflektieren. „Das ist das Neue bei uns“, sagt sie. Andere Parteien müssten verdienstvolle Mitglieder mit Posten belohnen. Mitglied und Unterstützer von La République En Marche könne jeder werden, sagt Aktivist Alexandre Aidara. Solange er oder sie die Werte respektiert und sich registriert.
Jeder könne sich nach seinem Willen engagieren und bei den Onlineabstimmungen mitmachen.
„Wir können nach dem Brexit nicht mehr so weitermachen.“Pieyre-Alexandre Anglade, Europasprecher von En Marche