Sich lösen vom negativen Lebensplan
Warum lebt eine Frau wiederholt mit gewalttätigen Partnern zusammen? Und wie kommen wir vom „Kind-Ich“und „Eltern-Ich“zu uns selbst?
Die Ärztin Martha Hüsgen-Adler arbeitet als Therapeutin mit der Methode der Transaktionsanalyse. Im SN-Gespräch erläutert sie, wie ein Mensch autonom werden kann. SN: Was ist das Besondere, das die Transaktionsanalyse zur seelischen Gesundheit beitragen kann? Hüsgen-Adler: Der Begründer der Transaktionsanalyse, Eric Berne, hat sich von den drei Ebenen der Psychoanalyse Es, Ich und Über-Ich speziell dem Ich gewidmet – jenem Persönlichkeitsanteil, der sich mit der Realität auseinandersetzen soll. Dieses Ich hat aber auch unbewusste Anteile aus dem, was man als Kind ungut erlebt hat. Dieses „KindIch“bleibt ein Leben lang wirksam und trübt das Erleben im Hier und Jetzt. Dazu kommt das „Eltern-Ich“, die Erfahrungen, die man mit den engsten Bezugspersonen gemacht hat. Soweit sie ungut waren, beeinflussen auch sie das realitätsgerechte Denken, Fühlen und Handeln, zum Beispiel durch Vorurteile. SN: Eric Berne hat sich auch mit dem sogenannten Wiederholungszwang auseinandergesetzt. Warum werden ungute Erfahrungen immer wieder reinszeniert? Wir sprechen in der Transaktionsanalyse von „Spielen“. Menschen wiederholen negative Erfahrungen in der Hoffnung, dass es dieses Mal besser ausgeht. Tatsächlich kommt aber meistens das heraus, was man erwartet und unbewusst herbeiführt. Ein Beispiel ist eine Frau, die immer wieder mit gewalttätigen Männern zusammenkommt. Sie hofft immer neu, dass sie es dieses Mal schafft, den armen Kerl zu retten oder von ihm verstanden zu werden. Und scheitert dann doch.
Eric Berne hat das den unbewussten Lebensplan genannt, das Skript. Menschen haben aus ihrem Kind-Ich und Eltern-Ich früh einen Lebensentwurf geschaffen, von dem sie meinen, das Leben werde dadurch vorhersehbar und sie hätten es im Griff. Sie nehmen dadurch aber die Realität verzerrt wahr. SN: Wie komme ich von meinem unbewussten Skript zu einer bewussten Selbststeuerung meines Lebens? Ein Ziel der Transaktionsanalyse ist die Autonomie. Jeder Mensch will das Gute und Positive. Wenn er seine Grundbedürfnisse erfüllt bekommt, entwickelt er eine Erwartung für sein Leben, die heißt: „Ich bin o.k. Du bist o.k.“(Buchtitel von Thomas A. Harris, Anm.). Wenn das nicht gelingt, heißt es, ich bin okay, du nicht – das ist der narzisstische Mensch. Oder es heißt, ich bin nicht okay, aber du bist okay – das ist der depressive Mensch. Oder ich bin nicht okay und du bist nicht okay, die Welt ist ein schlechter Platz – das führt zur Verachtung sich und anderen gegenüber.
Die Transaktionsanalyse geht davon aus, dass der Mensch Verantwortung für sein Denken und Handeln übernehmen kann. Wenn ich einem Menschen schon im ersten therapeutischen Gespräch in dieser Haltung begegne, dann werde ich als Therapeutin sein direktes Gegenüber. Die frühen Störungen, mit denen wir es heute vermehrt zu tun haben, brauchen dieses direkte Ge- genüber. Ich lege den Patienten nicht auf die Couch, wo er frei assoziieren kann, aber sich selbst überlassen ist. Vielmehr begegne ich ihm lebendig, authentisch, unterstützend. Das geht bis zu einer pädagogischen, Rat gebenden Unterstützung, wenn Menschen nicht gelernt haben, sich selbst zu trösten, sich selbst Halt zu geben, selbstständig ihre Pläne zu entwickeln. SN: Ist es das Ziel der Transaktionsanalyse, dass Menschen sich von ihrem unbewussten Lebensplan lösen können? Ja, sich vom unbewussten Lebensplan lösen und sich der heutigen Wirklichkeit offen, neugierig, achtsam, mutig stellen. SN: Man wird aber das Kind-Ich und das Eltern-Ich nicht völlig hinter sich lassen können. Was ist das realistische Ziel? Das Ziel ist eine Autonomie, zu der auch gehört, dass man die Grenzen dessen anerkennt, was man leisten kann – und nicht in einem grandiosen narzisstischen Gefühl verharrt, dass ich alles kann und die Welt mir schuldet, was ich brauche. Eric Berne hat diese Haltung das Warten auf den Weihnachtsmann genannt: Irgendwann bekomme ich alles, dann wird alles gut. Das ist selbstverständlich völlig unrealistisch. Es geht darum, die Grenzen meiner persönlichen Fähigkeiten zu akzeptieren und die Grenzen, die mir meine Lebensverhältnisse und die gesellschaftliche Wirklichkeit setzen. SN: Ich bin okay heißt, ich bin okay auch mit meinen Grenzen? Gerade auch mit meinen Grenzen! Dieses „Ich bin okay“hat nichts Grandioses, sondern eher etwas Demütiges. Das bedeutet, dass ich auch vom anderen nicht verlange, dass er mir als Ehepartner, als Chef, als Kollege alles liefert, was ich gern hätte. Vielmehr ist das Ziel, auch diese anderen in ihren Grenzen zu verstehen, liebevoll mit ihnen umzugehen und mir die Neugier zu erhalten: Was kommt auf mich zu?
Heute sind viele Menschen von einer Optimierungsideologie überfordert, die ihnen sagt, du bist der Schöpfer deines Ich, wenn du scheiterst, bist zu selbst schuld. Man soll hinnehmen, was von gesellschaftlichen Institutionen oder am Arbeitsplatz gefordert wird und sich selbst bestmöglich da hinein pressen. Wenn man sich dabei verbiegt und krank wird, ist das das eigene Scheitern. Das ist eine Perversion des „Ich bin okay“, die dazu führt, dass ich mich ausbeuten lasse. Dagegen gilt es sich aufzulehnen und zu den eigenen Werten zu stehen. SN: Wird uns diese Perversion aufgezwungen oder begeben wir uns freiwillig hinein? Ich hatte kürzlich eine Patientin, die einen sehr interessanten Job in einem Forschungsprojekt an einer Universität hat. Sie fühlt sich aber nicht wohl. Ihr eigenes Bestreben geht in eine andere Richtung. Sie zögerte, das Projekt zu verlängern.
Auf die Frage, was sie in sich selbst höre, sagte sie: Ich höre in mir eine Stimme, die sagt, das ist mir zu viel, ich arbeite mich damit auf. Ich höre aber auch eine Stimme, die
„Ich bin okay – mit meinen Grenzen.“Martha Hüsgen-Adler
sagt, wenn du richtig ackerst, kannst du das schaffen.
Ich habe der Frau gesagt, das glaube ich auch, dass Sie das schaffen, wenn Sie richtig ackern. Die Intelligenz dazu haben Sie. Aber Sie haben vielleicht nicht die Kraft und die innere Motivation, weil dieser innere Antreiber von ihrem ElternIch kommt, das sagt: Du musst das schaffen, nur dann bist du okay. Diese Antreiber führen zur Selbstentwertung, weil man die Bestätigung seines Wertes von außen sucht. Dieses Außen ist als Spiegel wichtig, aber es darf nicht dominieren. Ansonsten entfremde ich mich von meinem eigentlichen Selbst.
Okay-Sein heißt in der Transaktionsanalyse, ich bin fähig, klar zu denken, mich und andere bewusst wahrzunehmen, mich und andere zu achten und zu lieben. Ich bin fähig zu lernen, und es ist okay, dass ich auf der Welt bin.